Den Aufschwung, den die Schweiz nach 1848 erlebte, verdankt sie ihrer Offenheit und Freizügigkeit. Leider schlichen sich später Fehler ein. Wirtschaftsführer, ihre Verbände und Politiker sollten endlich aus ihnen lernen.
Weihnachten und das neue Jahr stehen vor der Tür. Darum, und weil dies hier meine letzte Kolumne für die TagesWoche ist, erlaube ich mir einen kleinen Wunschtraum.
Ich wünsche mir, dass die Schweiz aufhört, so zu tun, als sei sie eine Insel seeliger Alphirten, umgeben von einem tosenden Meer von Bedrohungen. Ich wünsche mir, dass die Schweiz sich auf ihre wahren Wurzeln und Stärken besinnt. Auf ihre Anfänge als moderner demokratischer Bundesstaat, als eine der damals fortschrittlichsten Gesellschaften weltweit.
Die Geschichte der schweizerischen Einwanderungspolitik nach 1848 beginnt nämlich mit einer langanhaltenden Periode grosser Freizügigkeit, die in einem internationalen Netzwerk bilateraler Verträge abgesichert war. Der mit dieser Offenheit verbundene ständige Zustrom ausländischer Hand- und Kopfarbeiter trug massgeblich zur freiheitlichen Geisteshaltung der Gründerzeit, zum Aufstieg des Werk- und Bildungsplatzes sowie zum Aufschwung der Arbeiterbewegung bei.
Ausgrenzung und Diskriminierung haben sich als untaugliche Mittel erwiesen.
Allerdings: Schon damals sahen viele Unternehmen in der Personenfreizügigkeit bloss ein Vehikel, um billig an geeignete Arbeitskräfte heranzukommen und so ihren Profit zu erhöhen. Die bürgerlich dominierte Politik verpasste es darum, den Einwanderern rechtzeitig gleiche soziale und politische Rechte zu gewähren und die Entwicklung des Arbeitsmarktes zu steuern.
Dies führte zu sozialen Verwerfungen, einem zunehmend ausländerfeindlicheren Überfremdungsdiskurs und schliesslich – unter dem katastrophalen Eindruck zweier Weltkriege und grosser wirtschaftlicher Krisen – zu einem migrationspolitischen Kurswechsel: Mit dem 1931 eingeführten Gesetz über Aufenthalt und Niederlassung (Anag) wurde die «Ausländerfrage» zu einer polizeilichen Angelegenheit.
Aber Ausgrenzung und Diskriminierung erwiesen sich in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts als untaugliche Mittel: Die Wirtschaft holte immer mehr entrechtete, «billige» Arbeitskräfte ins Land. Unwürdige Arbeitsbedingungen, Überausbeutung, verschärfte soziale Konkurrenz und immer aggressivere fremdenfeindliche Strömungen waren die Folge. Die fremdenpolizeiliche Repression der Arbeitsmigration scheiterte kläglich.
Wir können aus den Fehlern der Vergangenheit lernen und es besser machen.
Ich träume weiter und wünsche mir, dass die Wirtschaftsführer, ihre Verbände und ihre Politiker, endlich die Lehren aus unserer Geschichte ziehen: Freiheit braucht soziale Sicherheit – Repression und Ausgrenzung ist keine Alternative.
Mit der Wiedereinführung der Personenfreizügigkeit im Rahmen der bilateralen Verträge mit der EU können wir nicht nur zu den freiheitlichen Wurzeln der schweizerischen Migrationspolitik zurückkehren. Wir können auch aus den Fehlern der Vergangenheit lernen und es besser machen, indem wir allen Arbeitnehmenden gleiche Rechte gewähren und gleichzeitig Löhne und Arbeitsbedingungen schützen. Dafür braucht es wirksame flankierende Massnahmen: Gesamtarbeitsverträge und Gesetze, welche für gleich lange Spiesse im Markt sorgen, sozialen Ausgleich sicherstellen und so den sozialen Frieden und Zusammenhalt in unserem Land sichern.
Ich wünsche mir, dass die Arbeitgebervertreter einen Beitrag zum «Erfolgsmodell Schweiz» leisten. Dass sie zusammen mit Gewerkschaften und Behörden einen verantwortungsvollen Dialog über die Verbesserung und Durchsetzung der flankierenden Massnahmen führen – zum Schutz der Löhne, der Arbeitsbedingungen sowie besonders exponierter Arbeitnehmergruppen, insbesondere der älteren Arbeitnehmenden.
In diesem Sinn wünsche ich uns allen: Frohe Weihnachten und ein gutes neues Jahr!