«Zvizdan»: Liebe im Schatten des Bürgerkriegs

Vor 20 Jahren ging der Krieg in Kroatien zu Ende. Wie die Gespenster der Vergangenheit noch immer in den Köpfen und Herzen der Menschen spuken, zeigt dieses starke Drama.

Vor 20 Jahren ging der Krieg in Kroatien zu Ende. Wie die Gespenster der Vergangenheit noch immer in den Köpfen und Herzen der Menschen spuken, zeigt dieses starke Drama.

Ein Tag für die Ewigkeit: Die Sonne steht hoch über dem See, die Hitze flirrt, eine Trompete teilt die Stille. «Weiter», fordert die junge Frau ihren Liebhaber auf, doch der mag nicht mehr spielen. Lieber kiffen. Morgen wollen die zwei jungen Leute nach Zagreb ziehen, weg vom Land, wo nur die Landschaft offen ist.

Doch so weit werden sie nicht kommen. Es ist 1991, Jugoslawien hat seine ersten demokratischen Wahlen hinter sich, die Teilrepublik Kroatien will unabhängig werden, Serbien ist dagegen. Männer in schwarzen Uniformen sperren die Strasse mit Stacheldraht ab, auf der einen Seite lebt Jelena, auf der anderen Ivan. 

Romeo und Julia auf dem Dorfe

«Hitler ist zurück», sagt Ivans kroatische Grossmutter und rät ihm, sich in den Bergen zu verstecken. Jelena zieht derweil ihren Bruder beim Essen auf, der von den serbischen Freischärlern rekrutiert wurde und eifersüchtig über die Familienehre wacht. Dass seine Schwester mit dem Feind rummacht, ärgert ihn. Und dann passiert es: Nach einem ungleichen Duell liegt Ivan leblos im Strassenstaub.

Der kroatische Regisseur Dalibor Matanić hat mit «Zvizdan – The High Sun» einen Film über die Grausamkeit eines Bürgerkriegs gedreht, dessen Leid sich nicht mit einer Opferstatistik messen lässt. Der Zerfall des Vielvölkerstaates Jugoslawien, der das friedliche Zusammenleben beendete, wird nicht in Kampfhandlungen erklärt, sondern über die Folgen. Und nirgends sind diese dramatischer als in der Liebe, die doch alle Grenzen überwinden will.

Gespenster der Vergangenheit

«Zvizdan» springt zehn Jahre vorwärts, die Handlung setzt wieder ein. Tihana Lazović, die Schauspielerin von Jelena, kehrt mit ihrer Mutter nach mehrjährigem Exil in die Heimat zurück, aus der sie während des Krieges vertrieben wurden. Ihr altes Zuhause ist demoliert, die zwei Frauen beanspruchen die Hilfe eines jungen Handwerkers. Goran Marković fährt in einem Pickup vor: derselbe Schauspieler, der eben noch Ivan verkörperte. Was ist denn jetzt?




Auch Goran Marković spielt in «Zvizdan» drei verschiedene Rollen.

Wie die junge Frau trägt auch er plötzlich einen neuen Namen, spielt eine andere Figur. Was umständlich in Worten zu fassen ist, macht intuitiv Sinn. Ante (Marković) und Nataša (Lazović) werden nicht nur von den Gespenstern der Vergangenheit heimgesucht, sie sind selbst wie Geister in einem Land, dessen Schönheit auf unheimliche Weise vergiftet ist: Alles scheint gleich wie zuvor, aber der Krieg macht den grossen Unterschied.

Zwischen Nataša und Ante ist es nicht Liebe auf den ersten Blick, eher ein Nahkampf. Die junge Frau fühlt sich von dem Handwerker angezogen, gleichzeitig verachtet sie ihn – und sich selbst für ihr Begehren. Hin und her geht das, bis zu einem Höhepunkt, der mehr Übergriff ist als ein Übereinkommen.

Die Zeit der Fliegen

Die dritte Episode spielt im Jahr 2011, diesmal fährt Student Luka (Marković) mit seinen Kumpels aufs Land, um dort an einer Party teilzunehmen. Der Weg führt ihn auch zurück zum Haus seiner Eltern, das er im Streit verlassen hat – und zu Marija (Lazović).

Luka hat die Mutter seines Sohnes auf Druck seiner Familie verlassen, weil Marija eben «eine von denen» ist, eine Serbin. Das Ressentiment ist anderthalb Jahrzehnte nach Kriegsende noch da, aber auch die Einsicht, dass es irgendwie weitergehen muss.

«Zvizdan» wirkt mitunter fast dokumentarisch, aber zufällig ist an diesem beklemmenden Film nichts.

Die Kamera streift fast beiläufig um diese wortlosen Menschen, deren Gefühle noch immer im Kriegszustand sind. Bei aller Konstruiertheit wirkt der Stil von «Zvizdan» dokumentarisch, zufällig ist an diesem beklemmenden Film aber nichts: Regisseur Matanić setzt seine Metaphern präzise ins Bild.

Etwa die Fliegenklatschen, die im Film wiederholt zu sehen sind. Sie sind zwar harmlos, aber vom Totschlagen von Fliegen zum Totschlagen von Menschen ist es, um mit Erich Fried zu sprechen, ja oft nur eine Frage der Zeit.

In «Zvizdan» arbeitet die Zeit allerdings auch für die Menschen: Zuletzt steht die Zukunft offen, wie eine Türe.
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«Zvizdan» läuft ab Donnerstag in den Schweizer Kinos.

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