Ägypten macht gleich zwei Ex-Präsidenten den Prozess. Die Anklagen sind ähnlich, die Ziele ganz unterschiedlich. Recht gesprochen wird wohl in beiden Fällen nicht. Dazu wäre eine Übergangsjustiz erforderlich, von der drei Jahre nach der Revolution noch nichts zu sehen ist.
In der Aula der Polizei-Akademie in Neu-Kairo, gut gesichert in einem Eisenkäfig aus Gitterstäben und Maschendraht, stehen zwei ehemalige ägyptische Präsidenten abwechselnd vor Gericht. Das Verfahren gegen Hosni Mubarak, der mit der Revolution 2011 gestürzt wurde, dauert nun schon über zwei Jahre. Mohammed Mursi, vom Militär nach Massendemonstrationen am 3. Juli entmachtet, trat vor wenigen Tagen erstmals vor den Kadi. Beide Prozesse werden als Jahrhundertprozesse apostrophiert. Die Rolle der Justiz ist aber sehr verschieden.
Mubarak, der seine Macht an den Obersten Militärrat abgetreten hatte, unterwirft sich der Justiz und erhielt jetzt auch erneut Anerkennung für sein «staatsmännisches Verhalten». Mursi dagegen rebellierte gegen den Militärputsch. Er erachtet sich nach wie vor als gewähltes Staatoberhaupt und erkennt das Gericht nicht an. Er und seine mitangeklagten Muslimbrüder haben das Prozedere torpediert und den Abbruch der Sitzung praktisch erzwungen.
Für diese «Standfestigkeit» erhielt er Lob von seinen Anhängern und viel Kritik von seinen Gegnern. Die Polarisierung in der Gesellschaft hat im Gerichtssaal ihre Fortsetzung gefunden. Diesen Widerstand gegen die Justiz wollte das Regime möglichst herunterspielen und hatte deshalb die live-Übertragung im Fernsehen untersagt.
Ähnliche Anklagen, unterschiedliche Ziele
Die Anklagen lauten ganz ähnlich. Beide ehemalige Präsidenten müssen sich für den Tod von friedlichen Demonstranten verantworten. Bei Mubarak kommen noch eine Reihe von Korruptionsvorwürfen hinzu. Mit diesem Prozess sollten 30 Jahre autoritäre Herrschaft juristisch aufgearbeitet werden. Die Erwartungen waren hoch.
Besonders aktiv waren die Familien der über 800 Revolutionsopfer, aber es gab auch einen breiten Konsens in der Gesellschaft und nur wenig Widerstand von Mubarak-Loyalisten. Mursis Prozess hat dagegen ganz eindeutig politische Ziele. Die Anklage hat nichts mit der Kritik an seiner Amtsführung wie Ineffizienz, Unvermögen und zunehmend autoritäre Züge zu tun, die zu den Massenprotesten am 30. Juni geführt hatten.
Die neuen Machthaber benötigen eine juristische Rechtfertigung für die nicht verfassungskonforme Absetzung und seine Inhaftierung. Die Muslimbrüder sollen weiter geschwächt und Druck auf sie ausgeübt werden, damit sie einlenken und die neuen Realitäten akzeptieren.
Politischer Prozess gegen Mursi
Mursi trifft dabei auf einen Justiz- und Sicherheitsapparat, der «unbeschadet» durch die Revolutionswirren gekommen ist. Dessen Hauptaufgabe hatte über Jahrzehnte darin bestanden, die Muslimbrüder und andere islamistische Gruppen in Schach zu halten. In regelmässigen Abständen wurden einige hundert Muslimbrüder mit fadenscheinigen Schuldsprüchen für einige Jahre weggesperrt.
Nach Berichten von Angehörigen führender Muslimbrüder geniessen sie auch jetzt in den Gefängnissen nicht die Fünf-Sterne-Behandlung, die dem Mubarak-Zirkel zukommt. Mubarak dagegen wird umsorgt von einem Apparat, der ihm nach wie vor gewogen ist und der nach den Ereignissen in diesem Sommer noch gestärkt ist. Dass sein Prozess nicht zu einem Ende kommt, hängt insbesondere damit zusammen, dass viele Akten und Dokumente nicht mehr auffindbar sind.
In beiden Verfahren wird wohl kaum Recht gesprochen. Mubaraks Prozess zieht sich nun schon über zwei Jahre dahin. Niemand nimmt mehr davon Notiz und bereits ist klar, dass es keine Aufklärung über die Mechanismen des autoritären Regimes und den korrupten Filz geben wird. Mit dem Putsch im Juli wurden jene Kräfte, die sich für die Ziele der Januar-Revolution einsetzen, völlig an den Rand gedrängt.
Mursis Prozess dürfte ein ähnliches Schicksal widerfahren. Er wird sich endlos dahin ziehen und das Interesse wird nach und nach erlahmen.
Justizreform wäre nötig
Für Gerechtigkeit sorgen könnte nur ein Justizreform und vor allem eine Übergangsjustiz. Das heisst ein ganzes Bündel von juristischen und nicht-juristischen Massnahmen, um die Folgen der massiven Menschenrechtsverletzungen des Sicherheitsapparates und von religiösen Gruppen aufzuarbeiten. Dazu gehören zum Beispiel unabhängige Untersuchungskommissionen und ein Prozess der nationalen Aussöhnung.
Die vom Militär eingesetzte Regierung hat zwar ein Ministerium für «Übergangsjustiz und soziale Versöhnung» geschaffen. Polizei, Sicherheit und Militär wehren sich aber dagegen, dass ihre Autorität eingeschränkt werden könnte. Und so wird die Liste der Toten immer länger und niemand wird dafür zur Verantwortung gezogen.