Nicht zuletzt dank dem Schweizer Marcel Koller hofft Österreichs Nationalteam auf die Qualifikation für die Weltmeisterschaft in Brasilien. Die heimische Liga allerdings macht vor allem durch Peinlichkeiten und Dorfclubs auf sich aufmerksam.
Das Reinigungspersonal im Wiener Ernst-Happel-Stadion konnte einem fast ein wenig leid tun. Für gewöhnlich beginnt ihre Schicht meist unmittelbar nach dem Schlusspfiff, doch an diesem Freitag Abend war zu diesem Zeitpunkt an das grosse Reinemachen nicht zu denken.
Die österreichischen Fussball-Fans wollten in ihrem Siegestaumel und Glücksrausch die Arena einfach nicht verlassen, sie konnten nicht genug kriegen von dieser Nationalmannschaft, die eine Hoffnung und Aufbruchstimmung verkörpert, wie sie rund um das A-Team schon seit Jahren nicht mehr zu spüren war. Selbst nach Mitternacht waren rund um das Happel-Stadion noch Jubelgesänge und optimistische Schlachtrufe zu vernehmen. «Brasilien, wir kommen.»
Die rot-weiss-rote Ekstase in allen Ehren: An die Fussball-Weltmeisterschaft nach Brasilien ist es dann doch noch ein ziemlich weiter und steiniger Weg. Aber immerhin haben die Österreicher mit dem 2:1-Heimsieg gegen Schweden, der vom Boulevard bereits wie die sichere Qualifikation gefeiert wurde, die Chance auf die erste WM-Teilnahme seit 1998 gewahrt und den zweiten Platz in der Gruppe C hinter Favorit Deutschland zementiert.
Der Gegenentwurf zum typischen Österreicher
«Das war sicher ein wichtiger Sieg, aber wir brauchen jetzt nicht über Brasilien reden», wusste denn auch Jungstar David Alaba, der mit seinen 20 Jahren nicht nur abgeklärt spielt, sondern sich auch abseits des Rasens als Realist präsentiert. Ganz im Sinne von seinem Vorgesetzten Marcel Koller, der nach dem Schlusspfiff zwar das Vollbad in der Menge genoss, in den ganzem Trubel aber nie die Bodenhaftung und den sachlichen Ton verlor: «Jubeltrubel durch die Gegend zu laufen, das bin ich nicht. Denn dann ist die Gefahr gross, dass du die Dinge nicht mehr so konsequent machst und nachlässig wirst.»
Der 52-jährige Zürcher, der seit November 2011 auf der österreichischen Trainerbank sitzt, verkörpert mit seiner nüchternen, analytischen und bisweilen emotionslosen Art den Gegenentwurf zum typischen Österreicher. Vielleicht ist Marcel Koller gerade deshalb wie geschaffen für den schwierigen Teamchef-Job in der Alpenrepublik. Er ist kein launischer Sprücheklopfer wie Hans Krankl, einer seiner Vorgänger. Auch kein Kumpeltyp, wie so viele Teamchefs vor ihm.
Mit der berühmten österreichischen Freunderlwirtschaft – der Verhaberung, wie es auf österreichisch gerne heisst – kann und will sich der 52-Jährige partout nicht anfreunden. Dieser Marcel Koller mag vielleicht kein Teamchef zum Anfassen sein, aber dafür packt er ordentlich an und scheut sich auch nicht vor unpopulären und riskanten Entscheidungen, wie er nicht zuletzt im Match gegen die Schweden bewies.
«Schneckerl» kritisiert – das Team gewinnt
Als 90 Minuten vor dem Anpfiff seine Aufstellungsvariante bekannt wurde, erhob der österreichische TV-Experte Herbert «Schneckerl» Prohaska, der 1998 die Mannschaft als Teamchef zur WM geführt hatte, bereits mahnend die Stimme und übte erste Kritik an der Formation.
Denn Koller hatte es doch tatsächlich gewagt, mit Almer, Pogatetz, Fuchs, Arnautovic und Janko fünf Spieler in die Grundelf zu stellen, die bei ihren Vereinen in den vergangenen Monaten kaum bis gar keine Spielpraxis gesammelt hatten. Dafür verzichtete Koller aber auf die aktuellen Meisterspieler von Prohaskas so geliebter Austria aus Wien, allen voran Torschützenkönig Hosiner, der in 36 Ligapartien 32 Mal getroffen hatte.
Die Aufregung vor dem Spiel sollte sich bald als viel Lärm um nichts entpuppen. Und spätestens als dann auch noch Türkei-Legionär Janko das zweite Tor erzielte, der bei bei Trabzonspor seit einem halben Jahr nur mehr zwischen Ersatzbank und Tribüne pendelt, hatte Koller all seine Kritiker verstummt. Mehr noch: Dem 52-Jährigen winkt noch in dieser Woche die vorzeitige Verlängerung des Teamchef-Vertrages. «Wir schätzen Kollers professionelle Einstellung, sein kompetentes Auftreten», erklärte der österreichische Verbandspräsident Leo Windtner.
Nur Auslandsprofis wie der Basler Dragovic in der Startelf
Die Aufstellungs-Variante von Marcel Koller zeigte aber nicht nur die klare Linie, die der Teamchef hat, sie belegte einmal mehr auch, in welch krassem Widerspruch die österreichische Nationalmannschaft zur nationalen Liga steht. Es war kein Zufall, dass gegen Schweden elf Legionäre die Anfangsformation bildeten – darunter auch Aleksandar Dragovic vom FC Basel, der 90 Minute durchspielte.
Im Gegenzug war erstmals seit Fan-Gedenken kein Spieler des österreichischen Rekordmeisters Rapid Wien im Team-Aufgebot zu finden. Zu schwach scheint das Niveau in der Tipp-3-Bundesliga powered by T-Mobile, wie die erste Spielklasse genannt wird, zu oft sorgen die sogenannten Top-Clubs des Landes für Gelächter und Peinlichkeiten.
Wer erinnert sich nicht an das blamable Aus von Red Bull Salzburg in der vergangenen Champions League-Qualifikation gegen die Luxemburger aus Düdelingen? Doch das war bei weitem nicht die einzige Lachnummer in den vergangenen zwölf Monaten: Im österreichischen Cup sorgte der kleine FC Pasching gleichermassen für Erheiterung, Erstaunen und Irritationen. Erstmals in der langen Fussball-Geschichte des Landes gewann ein Drittligist den Cup und vertritt nun Österreichs Farben auf der internationalen Bühne.
Immer mehr Traditionsvereine werden durch Dorfclubs ersetzt
Im Endspiel stolperte Meister Austria über den Verein aus dem 6000-Einwohner-Dorf bei Linz, nachdem die Paschinger zuvor bereits Rapid Wien und Red Bull Salzburg aus dem Bewerb geworfen hatten. Auch die Europacup-Qualifikation von Sturm Graz verlief kurios: Die Steirer waren zwar das schlechteste Frühjahrsteam. Weil die Konkurrenz aber ebenfalls schwächelte und strauchelte, reichte es dennoch zu Platz vier.
Ob das Niveau der Liga in den nächsten Jahren steigen wird, darf bezweifelt werden. Zumal im österreichischen Fussball immer mehr Traditionsvereine von der Bildfläche verschwinden und zunehmend die Dorfclubs am Ball sind.
So wird zum Beispiel im EM-Stadion in Klagenfurt nur mehr drittklassiger Fussball gespielt; so spielt auch der zweite Grazer Grossklub GAK, der 2004 noch den Meistertitel gewonnen hatte, nur mehr in der dritten Liga. Und so ist auch Linz, die drittgrösste Stadt des Landes, in der kommenden Saison erstmals seit einem halben Jahrhundert mit seinen Traditionsvereinen LASK und Blauweiss Linz nicht mehr in den zwei obersten Spielklassen vertreten.
Dafür finden sich nun neue Flecken auf der österreichischen Fussball-Landkarte, die noch vor wenigen Jahren keinem Anhänger ein Begriff waren. Mit dem SV Grödig aus dem Bundesland Salzburg beehrt nun eine Gemeinde die oberste Spielklasse, die gerade einmal 7000 Einwohner hat.
Vor allem die Fahrer der gegnerischen Mannschaftsbusse dürfen sich auf die Anreise zur Untersberg-Arena, die stattlicher klingt, als sie sich mit Platz für 2955 Zuschauer tatsächlich präsentiert, freuen. Weil die Autobahn-Unterführung neben dem Stadion für Busse zu niedrig ist, geht’s über eine Ausweichstrecke. Ein holpriger Feldweg.