Eine Fachtagung thematisiert die Integrationsdebatte. Als Referent und Podiumsteilnehmer geladen ist unter anderem der Neuköllner Bürgermeister Heinz Buschkowsky, der bekannt ist dafür, dass er kein Blatt vor den Mund nimmt.
Die GGG-Ausländerberatung wagte sich gestern mit einer Fachtagung im «Union» an der Klybeckstrasse auf schwieriges Terrain: Es ging um die Frage, wie die Integrationsdebatte im Allgemeinen geführt wird und wie sie geführt werden sollte, um bei diesem viel diskutierten Thema weiterzukommen. Entsprechend dem Titel der Tagung «Integrationsdebatte zwischen Polemik und Schönfärberei» sollten dabei nicht nur die Befeuerung und Bewirtschaftung von Überfremdungsängsten durch rechtspolitische Kreise angesprochen werden, sondern eben auch die «Schönrederei» der Multikulti-Romantiker.
Und mit Heinz Buschkowsky, dem streitbaren Bürgermeister des Berliner Problem-Bezirks Neukölln, mit dem die TagesWoche Anfang Jahr ein Interview führte, hatte die Veranstalterin jemanden eingeladen, der sich garantiert nicht um die Vorgaben irgendwelcher Political Correctness schert. «Ich werde für gewöhnlich als Aufreger eingeladen», bemerkte er denn auch gleich zu Beginn seines Referats, bei dem er in deutlichen und wahrlich ungeschönten Worten die Probleme in deutschen Stadtteilen mit sehr hohen Zuwandererquoten benennt.
Nicht Mutter Teresa
Er spricht von den «Verwerfungen der Bildungsfernen», von den vielen Kindern, die in Hartz-IV-Haushalten – «in staatlich alimentierten Lebenswelten» – aufwachsen und von den 20 Prozent Jugendlichen in Neukölln, die die Schulen «nicht ausbildungsfähig» verlassen.
Er zitiert auch kurz aus seinem Buch «Neukölln ist überall», in dem er schonungslos Missstände in seinem Bezirk beschreibt und ebenso schonungslos an denen Kritik übt, die diese Missstände nicht sehen wollten. Selbstverständlich, so Buschkowsky, gebe es unzählige gelungene Migrationskarrieren. «Aber wenn man das Unfallgeschehen auf einer Verkehrskreuzung analysieren will, widmet man sich auch nicht denen, die es problemlos über die Kreuzung schaffen.»
Es bringe überhaupt nichts, die Augen vor den Problemen zu verschliessen. «Ich muss mich doch nicht um die 300 Abiturienten von Einwanderereltern kümmern, sondern um die Kinder und Jugendlichen, die von zu Hause null Unterstützung erfahren.» Es gehe dabei aber nicht etwa um den Wettbewerb, den Mutter-Teresa-Preis zu gewinnen, sagte Buschkowsky und erntete einige Lacher vom Publikum, «sondern um die Lebensstrategie für unsere Gesellschaft». Darum, einen Benefit aus der Zuwanderung zu erzielen.
Kindergartenpflicht und Tagesschulen
Dabei setzt Buschkowsky, wie andere auch, die grössten Hoffnungen auf Bildung: Auf Kindergartenpflicht und Ganztagesschulen für alle. Die Frage, wer das bezahlen soll, stellt und beantwortet er gleich selbst: «Die Bankenkrise hat uns 300 Milliarden gekostet. Unser aller Kanzlerin hat gesagt, das sei systemrelevant; 20 Milliarden würde der Umbau aller Schulen zu Tagesschulen kosten. Ich würde sagen, das ist extrem systemrelevant.»
Ja, Heinz Buschkowsky erhielt viel Applaus für sein Referat, aber nicht nur. Gleich anschliessend folgte Güvengül Köz Brown, PR- und Kommunikationsspezialistin, und begann mit einer Retourkutsche an die Adresse Buschkowskys. Mit einem Zitat eines Kommentars in der englischen Zeitung «The Guardian» zu den unlängst aufgedeckten Kindsmissbrauchsfällen eines verstorbenen BBC-Mitarbeiters: Es sei an der Zeit, zitierte Köz Brown, «dass wir uns dem sexuellen Missbrauch stellen, der vor allem von weissen Männern begangen werde».
Medien als Stimmungsmacher
Zuerst habe sie gedacht, erklärte Köz Brown dem verblüfften Publikum, das sei jetzt doch etwas rassistisch. Aber eigentlich mache dieses Beispiel deutlich, wie unbedacht gewisse Stereotypen immer wieder bei unseren ausländischen Mitbürgern zum Zug kämen. Sowohl in der Politik als auch in den Medien würden Menschen mit Migrationshintergrund hauptsächlich in negativem Kontext erwähnt – Zwangsheirat, Kopftuchzwang, Ausländerkriminalität. «Dass die meisten arbeiten und Steuern zahlen, ist kaum Thema, weil sich negative Schlagzeilen besser verkaufen als positive.»
Mit der Integrationsdebatte lasse sich Stimmung machen, wie das Medienecho auf Buschkowskys Buch zeige. Köz Brown sprach den Neuköllner Bürgermeister nun direkt an, ihren Blick richtete sie allerdings an das Publikum im Saal: «Für Ihr Buch und Ihre Kolumne haben Sie Beifall von rechten Blogs erhalten.» Buschkowsky zeigte keine Regung. Köz Brown plädierte für die Schaffung und Verbreitung neuer Bilder und dafür, das Thema nicht Polemikern zu überlassen. Und bei dieser Aussage streifte sie mit ihrem Blick nun doch den immer noch stoisch da sitzenden Buschkowsky.
Nun hatten wir also, wenn man in diesen Schemata denken will, den «Polemiker» und die «Schönrednerin» gehört. Walter Leimgruber, Professor für Ethnologie und Präsident der Eidgenössischen Kommission für Migrationsfragen (EMK), versuchte dann die Brücke zwischen den beiden Positionen zu schlagen, indem er wieder auf das eigentliche Thema der Tagung lenkte. Zunächst mit einer Analyse des Ist-Zustands: In der Migrationsdiskussion gebe es meistens zwei Positionen, «für die eine ist der Ausländer an allem schuld und somit der Täter, für die andere Seite das Opfer, weil er an allem schuld sein soll».
Untaugliches Kategoriendenken
Beide Kategorien, sagte Leimgruber, seien für die Debatte untauglich; das bedeute, in diesem System gefangen zu bleiben, sich im Kreis zu drehen. «Migration ist Alltag und sollte auch so behandelt werden – ohne Dämonisierung und ohne Idealisierung.» Das Beschwören schweizerischer Werte führe uns ebenso wenig weiter, wie alles mit einer bestimmten Kulturzugehörigkeit zu erklären und zu entschuldigen. «Eine Kulturzugehörigkeit hat Prägekraft ja, aber entscheidend ist, was die Menschen damit tun.» Und deutlich sagte Leimgruber, was er von der politischen Korrektheit hält: «Das ist ein Ansatz, der jegliches Denken neuer Formen verhindert.»
In der anschliessenden Podiumsdiskussion, zu dem ausser den Vorrednern auch noch der Basler Stadtentwickler Thomas Kessler und die Rektorin der schulischen Brückenangebote, Dagmar Voith, stiessen, wurde der von Leimgruber gesponnene Faden nochmals aufgenommen und dann ging es weniger um die Art und Weise der Diskussionen als vielmehr um die konkrete Arbeit im Migrationsbereich.
Lob der direkten Demokratie
Basel tue sehr vieles, um allen Kindern und Jugendlichen eine möglichst gute Bildung zukommen zu lassen, sagte Veith und erwähnte die neu eingeführte frühe Sprachförderung bei kleinen Kindern, aber eben auch die Brückenangebote mit teilweise Einzelunterstützung von Jugendlichen mit gewissen Defiziten. «Das ist aber nicht nur ein Migrationsthema – man kann sagen, diese Jugendlichen kommen aus sozial schwachen, bildungsfernen, auch schweizerischen Familien», so Veith.
Die Situation in Basel, generell in der Schweiz, sagte Kessler, sei wohl nicht wirklich vergleichbar mit der von Buschkowsy geschilderten. «Die direkte Demokratie ist zwar anstrengend, sorgt aber für eine kritische Auseinandersetzung mit den Themen, die uns beschäftigen und zwingt die Behörden, Lösungswege aufzuzeigen.»
Es gab dann noch ein paar weitere Bemerkungen über die Rolle der Medien und ihre Mitverantwortung in Sachen Überfremdungsängste, sowohl auf dem Podium als auch aus dem Publikum. «Sie tragen einen Teil der Schuld für diese Vereinfachung», so meldete sich beispielsweise SP-Grossrätin Sibylle Benz zu Wort, die kürzlich mit dem Vorschlag einer Quotenregelung von deutsch- und fremdsprachigen Schülern in Schulhäusern Schlagzeilen gemacht hatte.