233 Stunden im Sattel, 1300 Liter Schweiss, 525’000 Kalorien verbrannt: Die Rückkehr von Lindsey Vonn in Zahlen
Lindsey Vonn ist keine gewöhnliche Skifahrerin, die «Speed-Queen» umgibt eine divenhafte Aura und eine riesige PR-Maschinerie. Heute Freitag zählt dies nun nichts: Sie wagt sich nach zwei Jahren Verletzungspause wieder an den Start.
Lindsey Vonn back on snow on the glacier of Sölden, Austria on October 4th, 2014 (Bild: Erich Spiess/ASP/Red Bull)
Lindsey Vonn ist keine gewöhnliche Skifahrerin, die «Speed-Queen» umgibt eine divenhafte Aura und eine riesige PR-Maschinerie. Heute Freitag zählt dies nun nichts: Sie wagt sich nach zwei Jahren Verletzungspause wieder an den Start.
Es war abzusehen, dass alles so ablaufen würde. Lindsey Vonn wäre nun einmal nicht Lindsey Vonn, hätten sie und ihre PR-Abteilung sich nichts einfallen lassen. So spektakulär, wie sie meist über die Piste rast, so divenhaft, wie sie sich mitunter beim Aprés Ski präsentiert, so hollywoodreif, wie sich ihre Beziehung mit Tiger Woods gestaltet, so dramatisch, wie zuletzt ihre Stürze verliefen, war es klar, dass sie sich nicht mit einer nüchternen Presseerklärung aus dem Krankenstand zurückmelden würde.
Der Weltcup am Wochenende in Beaver Creek (Männer) und Lake Louise (Frauen) im TV (SRF)
Fr, 18.40 Uhr: Abfahrt, Fr Fr, 20.25 Uhr: Abfahrt, Mä Sa, 18.55 Uhr: SuperG, Mä Sa, 20.25 Uhr: Abfahrt, Fr So, 19.25 Uhr: SuperG, Fr So, 20.40 Uhr: Riesenslalom, Mä
So etwas will schon richtig in Szene gesetzt sein. Mit perfekt geschminktem Gesicht und frisch lackierten Fingernägeln, mit grellen Spots und qualmenden Nebelmaschinen, mit wummernden Bässen und einer theaterreifen Kulisse. Das gesamte Salzlager, eine riesige Veranstaltungslocation in Hall in Tirol, 1200 Quadratmeter gross, Platz für 1500 Menschen, war extra angemietet worden, um die internationale Presse davon zu überzeugen, dass Lindsey Vonn wieder ganz die Alte ist. Oder zumindest auf dem besten Weg dorthin.
Es war Anfang Oktober, als die US-Amerikanerin showverdächtig ihre Fitness unter Beweis stellte, indem sie akrobatisch vor einem schweren Pisten-Bully herumturnte, sich in der Abfahrtshocke von einer wilden Windmaschine die Haare durcheinanderwirbeln liess und sich mit Reportern ein Wettrennen lieferte. Davor, dazwischen und danach wurde sie nicht müde zu betonen, dass sich in ihrer Karriere nun endlich alles wieder zum Guten wenden würde. Idealerweise schon am Wochenende bei ihrem offiziellen Comeback auf ihrer Lieblingsstrecke in Lake Louise.
Zurück auf der Abfahrtspiste: Lindsey Vonn am 2. Dezember im Training von Lake Louise. (Bild: Keystone/NICK DIDLICK)
Aber wird es das wirklich? Wird Lindsey Vonn tatsächlich als jene Dominatorin zurückkehren, als die sie vor knapp zwei Jahren bei der Weltmeisterschaft in Schladming abgetreten war? Oder wird sie möglicherweise das gleiche Schicksal erleiden wie schon einige Skistars vor ihr, die nach schweren Knieverletzungen nie mehr richtig auf die Beine gekommen sind?
«Wenn es jemand schaffen kann, dann sie. Mir sind kaum Sportler untergekommen, die so ehrgeizig sind wie Lindsey Vonn», sagt Robert Trenkwalder. Der langjährige Coach der österreichischen Abfahrer ist im Auftrag von Red Bull Mentor und Betreuer der US-Skilady und er weiss um die aussergewöhnlichen Fähigkeiten seines Schützlings.
Trenkwalder weiss allerdings auch, dass eine so lange Zwangspause zwangsläufig ihre Spuren hinterlässt. «Sie hatte in den vergangenen zwei Jahren viel Zeit zum Nachdenken», gibt Trenkwalder zu bedenken. Übersetzt: Niemand könne derzeit vorhersehen, wie sich Vonn in Extremsituationen verhalten wird. Ob die Angst künftig zum lästigen Begleiter wird, ob sich die Stürze negativ auf das Selbstvertrauen und das Selbstverständnis ausgewirkt haben, und ob sie vor allem nach den zwei schweren Knieoperationen immer noch in der Lage sein wird, diese extremen Linien und Kurvenradien zu fahren, die sie stets ausgezeichnet hatten und denen sie den Kosenamen «Speed-Queen» zu verdanken hat.
Die Rückkehr von Lindsey Vonn in Zahlen
Kreuzbandriss, Innenbandriss, Bruch des Schienbeinkopfs – das war die Diagnose nach dem Sturz im WM-Super-G in Schladming im Februar 2013. Kreuzbandriss, Meniskusschaden – das waren die Folgen eines Trainingssturzes im Spätherbst 2013. Die zweite Verletzung, so erklärte Lindsey Vonn, sei sogar die kompliziertere gewesen und habe sie in ein noch tieferes Loch gestossen.
Das verflixte ’13er Jahr hat ihre Karrierepläne völlig über den Haufen geworfen. Einmal noch Olympia in Sotschi, dann als «krönender Abschluss» die Heim-Weltmeisterschaft 2015 in Vail – so hatte es sich Lindsey Vonn ausgemalt. «Ich bin nun auch schon dreissig», erinnert sie. Aber so kann und will eine Speed-Queen nicht abdanken. «Deshalb mache ich bis 2018 weiter.»
Lindsey Vonn hat sich in den vergangenen zwölf Monaten geschunden wie noch nie in ihrer Karriere. Mindestens sechs Stunden am Tag, mitunter sass sie spätabends noch auf dem Rad und war um sechs Uhr früh schon wieder in der Kraftkammer. «Sie ist eine Herausforderung für einen Trainer», berichtet Mentor Trenkwalder. «Sie hinterfragt viel. Ihr kannst du nichts vormachen. Sie würde einen unvorbereiteten Trainer sofort entlarven. Denn sie erwartet von ihrem Umfeld die gleiche Professionalität, die sie an den Tag legt.»
Das Ergebnis der Plagerei ist eine austrainierte und top-fitte Lindsey Vonn. «Ich bin so froh, dass ich das alles hinter mir habe und wieder auf Schnee bin. Skifahren ist mein Leben, jetzt schaue ich nur mehr nach vorne», erklärt die 30-Jährige. Dass sie für ihre Rückkehr in den Weltcup Lake Louise ausgewählt hat, ist kein Zufall. Die Weltcuppiste in Kanada ist sozusagen die zweite Heimat der US-Amerikanerin und sie müsste eigentlich längst Lindsey Vonns Namen tragen. Allein 14 ihrer 59 Weltcupsiege hat sie in Lake Louise gefeiert.
I think Leo is the only one who’s not excited for me to go to Lake Louise today. I’m gonna miss my boy 🙁 pic.twitter.com/BLY6weC7hM
Gerade deshalb trauen ihr Trenkwalder und auch andere Ski-Experten schon bei ihrem Comeback Wunderdinge zu. Alles andere würde auch nicht Lindsey Vonn entsprechen, eine erfolgsverwöhnten Läuferin wie ihr würde es nicht reichen, bei ihrer Rückkehr in den Weltcup einfach nur dabei zu sein und einige Pünktchen zu sammeln. Sie wird, so ist man sich in der Weltcupszene sicher, möglicherweise schon in Lake Louise aufs Ganze gehen. «Mein Ziel im Starthaus ist immer zu gewinnen», versichert sie.
Beobachter behaupten sogar, Vonns körperlicher Zustand sei nach zwölf Monaten auf dem Rad und in der Kraftkammer so gut wie noch nie zuvor. Nach dem ersten Training gab sie jedenfalls schon mal zu Protokoll, sie fühle sich «100 Prozent fit». Das wird freilich auch notwendig sein. Denn auch Vonn ist klar: «So eine Knieverletzung darf mir nicht mehr passieren.» Sonst wird es nichts mit all den Rekorden, die sie in den kommenden vier Jahren noch anstrebt.
Da ist einmal die Bestmarke der Österreicherin Annemarie Moser-Pröll (62 Weltcupsiege), die Vonn (59 Siege) noch in diesem Jahr knacken will. Da ist der Traum von einem weiteren, einem fünften Weltcupgesamtsieg. Und da ist immer noch der Wunsch, sich einmal mit den Herren zu messen. «Das werde ich sicher noch einmal machen», verspricht Vonn.
Und wenn es dann wirklich so weit ist, dann wird sie es gewiss wieder hollywoodreif inszenieren.
