Jubelnde Sieger und glückliche Funktionäre: Die Bilder nach WM-Finals ähneln sich. Auf den medienwirksamen erfolgreichen warmen Sommer folgt in Russland nun ein eisiger Winter. So erwarten es Meteorologen.
Auch im übertragenen Sinn müssen sich die Menschen in Russland warm anziehen. Die Mehrwertsteuer soll auf 20 Prozent erhöht werden, und es sind schmerzhafte Einschnitte im Sozialsystem geplant. Eine Rentenreform will das Eintrittsalter der Männer schrittweise von 60 auf 65 Jahre und der Frauen von 55 auf 63 Jahre anheben. Zudem beklagen sich Oppositionelle und – zumindest hinter vorgehaltener Hand – auch viele andere Menschen über ein schlechtes Gesundheitswesen, eine niedrige Lebensqualität, eine zunehmende Verarmung sowie die massiv eingeschränkten Menschenrechte.
Schon wieder «die beste WM»
Von solch wenig verheissungsvollen Ankündigungen wird das kontrollierte Staatsfernsehen in Russland selbstredend absehen. Das gilt natürlich auch für den Fussball-Weltverband Fifa. Dessen Chef Gianni Infantino bezeichnete das Turnier in Russland als «die beste WM aller Zeiten», was sinngemäss schon sein Vorgänger Sepp Blatter nach den vorangehenden Turnieren bilanziert hatte.
Offenbar gilt dieses Fazit immer dann, wenn die Kasse stimmt und die Einnahmen die der vorherigen WM übertroffen haben. Tödlich verunglückte Arbeiter auf den Stadionbaustellen und andere grobe Missstände? Nicht der Rede wert.
Was der Fifa wichtig ist, zeigte sich bei den von ihr verhängten Strafen: Durch die sogenannte «nichtautorisierte Werbung auf Spielerausrüstung» – gemeint war das Tragen falscher Socken – nahm sie bis zum Ende der Halbfinals allein 300’000 Euro ein.
Dass Kroatien Getränke von Nicht-Fifa-Sponsoren auf dem Spielfeld verwendete, sanktionierte der Weltverband mit 60’000 Euro. Serbiens Trainer Mladen Krstajic wurde dagegen nur mit 4300 Euro zur Kasse gebeten, weil er geäussert hatte, man solle den deutschen Schiedsrichter Felix Brych vor das Kriegsverbrechertribunal in Den Haag stellen.
WM-Stadion: Gebaut für vier Wochen
Ebenso wie in Südafrika 2010 und Brasilien 2014 werden in Russland viele Stadien als sogenannte weisse Elefanten in der Landschaft verbleiben. Eine sinnvolle und kostendeckende Nachnutzung ist bei den meisten der sündhaft teuer errichteten Arenen ungeklärt.
Das erstaunlich gute Abschneiden der russischen Nationalmannschaft, die erst im Viertelfinal ausschied, könnte zwar womöglich etwas mehr Fussball-Begeisterung in der Eishockey-Nation nach sich ziehen. Doch am bisherigen Zuschauerschnitt in der russischen Fussballliga von vielerorts nur wenigen Tausend Menschen dürfte sich kaum grundlegend etwas ändern.
Ohnehin sollen nur sechs der WM-Arenen künftig von Erstligisten genutzt werden, die übrigen sechs bestenfalls von unterklassigen Teams. Das Finalstadion Luschniki soll der Sbornaja als Heimstätte dienen – für fünf, sechs Spiele im Jahr.
Derartige Nachwehen soll es in Katar in viereinhalb Jahren den Rück- und Abbauplänen der Organisatoren zufolge nicht geben. Und falls doch, dürfte zumindest die Staatskasse des materiell reichsten Landes der Welt ein paar weisse Elefanten locker verkraften. Ebenso wie die Gesamtkosten in zweistelliger Milliarden-Höhe eines Spektakels, das erstmals auf arabischem Boden stattfinden soll.
Katar: Die WM der kurzen Wege
Bei der skandalumtosten Vergabe 2010 war vorgesehen, das Turnier im Wüstensommer durchzuführen. Davon sieht die Fifa ab und setzt die WM im Spätherbst an, der jedoch immer noch deutlich höhere Durchschnittstemperaturen aufweist als der mitteleuropäische Hochsommer. Vorgesehen ist, dass das Turnier 2022 am 21. November beginnt und am 18. Dezember endet, also am vierten Advent.
Die geringe Dauer von 28 Tagen steht allerdings infrage, nachdem eine Erweiterung von 32 auf 48 Mannschaften und Saudi-Arabien als Co-Gastgeber erwogen wird. Mit dem grossen Nachbarn ist Katar jedoch zutiefst zerstritten – und in der Golf-Region ohnehin insgesamt politisch isoliert.
Was beide Wüstenstaaten verbindet, sind ihr Reichtum und ihre Missachtung der Menschenrechte, die ebenfalls immer wieder angeprangerte Unterstützung des Terrorismus und ihre international allenfalls zweitklassigen Nationalteams. Doch die Fifa-Karawane zieht davon unbeirrt weiter. Hauptsache der Rubel rollt oder 2022 eben der Riyal.
Es werde eine «einzigartige und ganz andere WM als jemals zuvor», versprachen die Organisatoren aus Katar bei ihrer Ausstellung im Moskauer Gorki-Park: eine von mehreren Veranstaltungen zur PR-Einstimmung auf das nächste Weltturnier.
Ein Kontrastprogramm wird die WM 2022 auch logistisch im Vergleich zur Ausgabe von 2018. Wer will, kann zumindest darin einen Vorzug erkennen. Das Turnier mit den bisher geplanten acht Stadien wird ganz anders als in Russland eines der sehr kurzen Wege. Katar mit seinen 2,7 Millionen Einwohnern ist flächenmässig ein gutes Viertel der Schweiz gross. Vier Stadien werden direkt im Stadtgebiet von Doha liegen, die anderen vier sollen von dort aus maximal 35 Kilometer entfernt und in maximal einer Autostunde erreichbar sein.
Auch wenn die traditionelle Falknerei als Nationalsport gilt, ist das Fussball-Interesse in Katar durchaus ausgeprägt. Und das Fazit, das die reich bescherte Fifa in viereinhalb Jahren kurz vor Weinachten ziehen wird, lässt sich schon heute vorausahnen.