Der Schweizer Grand-Slam-Rekordsieger ist selbst überrascht, dass er an den ATP World Tour Finals in den Gruppenspielen gegen Novak Djokovic in zwei Sätzen gewonnen hat. Dass er auch mit Mitte 30 nach wie vor in der Weltspitze mitspielt, erstaunt derweil niemanden mehr.
Die Zeit, als Roger Federer zum ersten Mal zu einer Tennis-Weltmeisterschaft fuhr, liegt schon eine kleine Ewigkeit zurück. Es war im November des Jahres 2002, das Saisonfinale hiess noch Masters Cup, und die acht Besten der Spielzeit machten sich auf den beschwerlich langen Weg ins Expo Center der chinesischen Boommetropole Schanghai.
Andre Agassi war am Start, gleich drei Spanier mit Albert Costa, Juan Carlos Ferrero und Carlos Moya, dazu der feurige Russe Marat Safin, der Tscheche Jiri Novak und der damalige Weltranglisten-Erste Lleyton Hewitt. Er, Hewitt, der WM-Champion 2002 und Freund von Federer, geht Anfang nächsten Jahres nach einer langen, auszehrenden Karriere auch in den Ruhestand. So wie (fast) alle anderen Pokalkämpfer des damaligen Spektakels schon vor ihm.
Aber einer, der in Schanghai sein Debüt als WM-Kämpfer feierte und in respektabler Weise gleich ins Halbfinale vorstiess, eben jener Roger Federer, ist immer noch und immer wieder dabei. Und nicht nur einfach als Teilnehmer des Championats, sondern mit inzwischen 34 Jahren weiterhin als einer der Titelkandidaten. Als einer, der sich über die Jahre seiner erlesenen Karriere stets neu erfunden hat, sich aber treu geblieben ist in seinem Ehrgeiz. Und in seiner Leidenschaft und seinem unverbrüchlichen Siegeshunger.
Mit perfektem Spiel die Halbfinalteilnahme gesichert
Federer hat sie kommen und gehen sehen, Stars und Sternchen der Branche, ehemalige Weggefährten, Altverdiente und neu Ambitionierte – aber er ist seit nunmehr fast anderthalb Jahrzehnten die grosse Konstante im Welttennis.
Der Mann, der bei seiner 14. WM-Teilnahme hintereinander dieser Tage in Londons O2-Arena gastiert, ist als Phänomen der Branche noch für alle Überraschungen gut. Wie sehr das stimmt, zeigte Federer seinen Fans und seinen Pokalkonkurrenten am späten Dienstagabend, als er den eigentlich alle und alles überragenden Weltranglisten-Ersten Novak Djokovic im Vorrundenspiel mit 7:5, 6:2 abkanzelte.
Als erster Spieler sicherte sich Federer mit diesem Sieg die Halbfinalteilnahme.
Für Djokovic war es die erste Niederlage nach zuletzt 23 Siegen, die erste Niederlage in einem Hallenmatch seit November 2012. «Es war ein perfektes Spiel für mich. Eines, das mir noch mal einen Schub geben wird für den Rest des Turniers», sagte Federer, der Vater von Zwillingstöchtern und Zwillingssöhnen.
Mitte 30 genau so ernsthaft wie Mitte 20
In seinem letzten Gruppenspiel kann Federer nun beruhigt gegen den Japaner Kei Nishikori Platz eins und damit eine vermutlich günstige Ausgangsposition für das Halbfinale am Samstag etablieren.
Die WM-Finalrunden werden seit Jahren schon von einer geschlossenen Gesellschaft ausgetragen, zu der viele der hochgeschriebenen Tennis-Talente partout keinen Zugang finden. Fast jede Saison trifft sich ein harter Kern von Elitespielern – eine Spitzengruppe, die allerdings auch noch einmal aufzuteilen ist.
Da sind einerseits Spieler wie Tomas Berdych oder David Ferrer, die eher belanglos mitlaufen bei diesen Festivitäten. Und eben Akteure wie der ewige Federer, der mit Anfang 20 genauso ernsthaft um den Titel spielte wie jetzt in seinen späten Karrierejahren mit Mitte 30. Der Baselbieter steht nicht nur einfach mit seiner Klasse als Ausnahmeerscheinung im Welttennis da, sondern auch mit der Organisation seiner Karriere, mit der Auswahl seines Betreuungs- und Beratungsteams; und mit der Robustheit als Wettkämpfer, verschont von Verletzungen, was von einer ausgezeichneten Trainingsarbeit herrührt.
Djokovic zum dritten Mal niedergerungen
Nur ganz wenige Momente gab es in Federers Tennisleben, in denen auch ihn der Körper ganz heftig plagte. So wie letztes Jahr in London, als er wegen Rückenschmerzen nicht zum WM-Final gegen Djokovic antreten konnte.
Doch 2015 ist Federer schon wieder der gewesen, der den Seriensieger Djokovic am hartnäckigsten bedrängte – auch in der Epoche nach seinem 1000. Karriere-Sieg, festgeschrieben Anfang Januar in Brisbane. Drei Mal hat der alte Meister den Frontmann Djokovic niedergerungen und ausgespielt in dieser Saison, in Dubai im Februar, in Cincinnati im August und jetzt auch in London, beim WM-Schlusspunkt.
Nur ein Vorspiel vor dem Hauptakt im Final?
Auch als Geschlagener, so wie in den Grand-Slam-Finals in London und New York, war er noch der erste und zwingendste Herausforderer Djokovics. Gewiss, Federers Landsmann Stan Wawrinka schien als Djokovic-Bezwinger bei den French Open auf. Aber der Mann aus der französischen Schweiz verfügt nicht über den langen Atem, über die Konstanz, die Federer auch mit 34 Jahren noch auf die weltweiten Courts bringt.
Wen würde es wundern, wenn die Spätvorstellung vom Dienstag nur der Vorlauf für den Hauptakt zwischen Federer und Djokovic wäre. Für einen Final am Sonntag.
Wem das Wiedersehen dann Freude macht, bleibt abzuwarten.