Ach, Alex! Aus dem Torjäger wird ein Direktor

Der FCB-Stürmer Alex Frei zeichnet ab Mitte April als Sportchef des FC Luzern.

Luzern 19.03.2013 - Alex Frei, new sporting director of FC Luzern after the press conference in the Swissporarena Lucerne. Photo by Mischa Christen (Bild: M. Christen)

Weiss der Mann, auf was er sich einlässt? Er glaubt es zu wissen. Ab 15. April wird aus Alexander Frei, dem Fussballprofi, quasi über Nacht Alexander Frei, der Sportdirektor des FC Luzern. Am Sonntag wird im Heimspiel des FC Basel gegen den FC Zürich eine grosse Spielerkarriere zu Ende gehen, und tags darauf hundert Kilometer weiter in der Zentralschweiz eine nächste, spannende Episode beginnen.

Es sei eine Chance, die er habe ergreifen müssen, sagt Frei: «Als Spieler habe ich immer die Herausforderung gesucht und versucht, sie zu meistern.» Der Sportdirektor Frei macht es nun mit dem Attribut, das ihn auch als Spieler ausgezeichnet hat. Das heisst: «mit dem, was mir immer vorgeworfen wurde – mit meinem Ehrgeiz».

Dann, so möchte man meinen, kann nicht viel schiefgehen. Oder, wie es Alex Frei bei seiner Präsentation am Dienstag dieser Woche im neuen, schmucken Stadion des FC Luzern formulierte: «Wenn ich das übernehme, was mich als Fussballer stark gemacht hat, dann mache ich nicht viel falsch.»

Ach, Alex, möchte man entgegnen: Da gäbe es schon einiges, womit man sich hin und wieder selbst im Weg stehen könnte. Aber das weiss er selbst: Wie ein Politiker zu denken, habe man ihm empfohlen, «und meine Ungeduld muss hinten anstehen».

Alex Freis Stolz

Der Fussballer Alex Frei aus Biel-Benken ist kein von der Natur begnadeter Spieler. Wir werden es dennoch vermissen, wie ihm der Ball bei der Annahme ein bisschen weiter abspringt als gewünscht, wie er sich mit seinen kleinen stampfenden Schritten im Zweikampf behaupten will und im Zweifelsfall immerhin einen Freistoss herausholt. Wie er einem Eins-gegen-Eins aus dem Weg geht, weil er weiss, dass das nicht seine Stärke und er nicht der Schnellste auf Gottes weiter Stürmererde ist.

Aber vor allem werden wir uns daran erinnern, mit welch faszinierender Schusstechnik und sicherem Instinkt er seine Tore erzielt hat. 304 in 597 Spielen für seine Clubs und die A-Nationalmannschaft. Ach, Alex, was für eine Karriere-Quote! Man kann schon verstehen, dass er angesäuert war, sobald er mangelnde Wertschätzung verspürte.

Das war immer so. Das war so, als ihn die Pfiffe der Länderspiel-Zuschauer im St.-Jakob-Park trafen, der Auslöser für seinen Rücktritt aus dem Nationalteam. Das ging bis zuletzt so, als ihm der ehemalige Spielerkollege Murat Yakin als Trainer des FCB klarmachte, dass Einzelschicksale nicht zählen, sondern nur der Erfolg von Mannschaft und Club.

«Es haben mich nicht alle ins Herz geschlossen, aber ich habe es geschafft, mir Respekt zu erobern.»

Man hat seither intern nicht nur gute Laune verströmt, aber dann kam Alex Frei im Februar zurück, wie so oft in seiner Laufbahn. Mit vier Toren. Gefeiert vom Basler Publikum mit grosser Wärme.

Das muss eine grosse Befriedigung gewesen sein, zumal er zu diesem Zeitpunkt schon längst in Verhandlungen mit dem FC Luzern gestanden haben dürfte. «Ich weiss», sagt Alex Frei ­heute, «dass nicht alle hell begeistert waren, als ich 2009 zum FC Basel ­gekommen bin. Und es haben mich auch nicht alle ins Herz geschlossen – aber ich habe es in den drei Dreiviertel Jahren geschafft, mir Respekt zu ­erobern.» Er kann stolz darauf sein, was er mit dem FC Basel im Spätherbst seiner Karriere an Titeln und Erfolgen feiern konnte.

FCB arrangiert den Abschied

Aber all das wird in Luzern schnell in den Hintergrund treten, wenn es nicht läuft. Dann interessieren die Tore des Rekordschützen nicht mehr an einem Standort, der als Fussballhochburg mit grossem Begeisterungspotenzial gilt, aber auch als traditionell sehr nervös. Und darüber hinaus in letzter Zeit – nennen wir es mit Blick auf die Investoren – nicht immer sehr professionell.

Zumindest blauäugig ist es, dass der FC Luzern mit Alex Frei erst einen Vertrag macht und dann beim FC Basel vorstellig wird, um einen vorzeitigen Übertritt zu ermöglichen. Die FCB-Spitze hat das arrangiert. Auch aus dem Motiv heraus, Alex Frei einen rauschenden Abschied von der Basler Bühne zu ermöglichen. Verdient hat ihn sich der Spieler, das ist keine Frage. Aber auch der FCB, der sich finanziell aus dem Fenster gelehnt hatte, um den teuersten Transfer der Club­geschichte realisieren zu können, möchte das Kapitel würdig beenden.

Alex Freis Aura

Merkwürdig ist jedoch auch, dass Alex Frei ursprünglich die Saison beim FC Basel zu Ende spielen wollte. Allen Ernstes, das hat er frank und frei eingeräumt. Er liess sich eines Besseren belehren. Und zwar von FCB-Präsident Bernhard Heusler und Sport­direktor Georg Heitz. «Sie haben mir Vor- und Nachteile aufgezeigt, das schätze ich sehr», sagt Frei, «es wäre unseriös und unglaubwürdig, am 4. Juni in Luzern anzutanzen und eine Mannschaft zusammenstellen zu wollen, die auch noch erfolgreich sein soll.»

Dazu brauchte es aber zuerst eine Schärfung des Bewusstseins, eine Art Gehirnwäsche, für die Frei nun Heusler und Heitz «unheimlich dankbar» ist. Und so geht man am 14. April so freundschaftlich auseinander, wie man 2009 zueinander gefunden hat. Als Heitz und Heusler den Coup ein­fädelten, der dann bei den Hochzeitsfeierlichkeiten von Marco Streller in konkrete Bahnen gelenkt wurde. Heute findet Heitz die Konstellation «köstlich», dass er und Frei künftig gleichsam Kollegen wie Konkurrenten als Sportdirektoren sein werden.

Der nervöse Fussball-Standort Luzern wird Alex Frei alles abverlangen.

«Alex hat Charakterzüge, die ihm helfen werden», sagt Heitz, «seine ­Direktheit, seine klare Meinung, und er besitzt eine Aura.» Alles andere ist Knochenarbeit. Frei will mit seiner Familie in Biel-Benken wohnen bleiben und in Luzern eine kleine Wohnung nehmen.

Doch der FCL wird ihm vor Ort alles abverlangen, zumal Alex Frei die Jungprofis an die Kandare nehmen will. «Trainieren und dann sechs Stunden Playstation – das ist vorbei.» So viel hat er von seinem Konzept schon mal preisgegeben. Ein ­Konzept, das Clubpräsident Mike Hauser «brillant» nennt, und mit dem der neue Sportdirektor neue Identifikation stiften will in einem Club, den er einen «Arbeiterverein» nennt, genauso wie den FCB und Borussia Dortmund.

Das schwarz-gelbe Vorbild

Die «Schwarz-Gelben», seine vorletzte Profistation, haben es ihm ohnehin angetan. So wie die Westfalen es ­gemacht haben nach 2004, nachdem sie beinahe bankrott gegangen ­waren, so möchte es Alex Frei auch machen. Das ist ihm ein Erfahrungsschatz – allerdings einer, den er aus der Warte des Profis gesammelt hat.

Gerne ­erzählt er, wie BVB-Chef Hans-­Joachim Watzke und Sport­direktor Michael Zorc ihn beglückwünscht hätten zum Job in Luzern: «Sie haben gesagt: Das passt viel besser zu dir, als Trainer zu sein.» In dieser Rolle hatte ihn der FC Basel eingeplant. «Ich ­hätte ihn gerne in der Nachwuchsabteilung gesehen», bestätigt Georg Heitz.

«Muss ich mich in Zukunft wieder mit allen ­vertragen?»

Nun aber stellt sich der Alex Frei, ein schillernder Exponent des Fussballspiels, in Luzern an den Beckenrand des Fussballbusiness und wagt den Sprung ins kalte Wasser. Ein Netzwerk aufzubauen, nennt er «die kleinste Sorge», Learning by doing lautet sein Credo, er fordert Geduld ein, will keine Luftschlösser bauen, aber einen FC Luzern, «der im eigenen Stadion wieder eine Macht ist».

Am Dienstag, zum Schluss eines Medienmarathons in Luzern, liess Alex Frei mit dem ihm eigenen Schalk eine Frage rhetorisch in den Räumen der Swisspor-Arena stehen: «Muss ich mich in Zukunft wieder mit allen ­vertragen?» Ach, Alex, möchte man ihm zurufen: nö! So schlimm war es nun ja auch wieder nicht mit ihm. Und ein Tag, an dem sich Alex Frei nicht über irgendetwas echauffieren kann, ist schliesslich kein guter Tag.

Die Aufzeichnung der Medienkonferenz zur Präsentation von Alex Frei am 19. März 2013 in Luzern (Quelle: Telebasel)

* Stand: 17.3.2013
Alex Frei – eine Karriere in Zahlen
Saison Club Spiele/Tore national Europacup
1997/98 FC Basel 11/1  
1998/99 FC Thun (Nationalliga B) 34/9  
1999-2001 FC Luzern 53/18  
2001/02 Servette Genf 54/34 12/5
2003-2006 Stade de Rennes 106/50 6/2
2006-2009 Borussia Dortmund 81/37 2/0
2009/10 FC Basel 24/19 10/8
2010/11 FC Basel 37/27 11/6
2011/12 FC Basel 36/28 7/5
2012/13 FC Basel 20/10* 9/3*
Total   456/233 57/29
Dazu kommen als Rekordschütze der Schweizer Nationalmannschaft
42 Tore in 84 Länderspielen (ausserdem 9 Tore in 17 U21-Spielen)
Tore total: 313 in 614 Spielen (Quote: 0,51)

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 22.03.13

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