Alex Wilson hakt sein Saisonziel ab und horcht in sich

100-Meter-Rekordhalter Alex Wilson hat sein Saisonziel, die Weltmeisterschaften in Peking verfehlt. Das ermöglicht ein Umdenken beim Schweizer.

Alex Wilson, centre, Reto Amaru Schenkel, right, and Rolf Malcolm Fongue, left, from Switzerland during the men's 100m race at the International Athletics Meeting in Lucerne, Switzerland, Tuesday, July 14, 2015. (KEYSTONE/Urs Flueeler)

(Bild: URS FLUEELER)

100-Meter-Rekordhalter Alex Wilson hat sein Saisonziel, die Weltmeisterschaften in Peking verfehlt. Das ermöglicht ein Umdenken beim Schweizer.

«So ist das Leben», sagt Alex Wilson. Der Basler Topsprinter hatte gehofft, gebangt und schliesslich registriert, dass hinter seinen Hoffnungen zu viel Optimismus und auch eine Illusion steckte. Nichts wurde aus der Einladung an die Weltmeisterschaften durch den Internationalen Leichtathletik-Verband Iaaf. Im Gegensatz zur U20-Europameisterin und Youth-Olympic-Siegerin Angelica Moser im Stabhochsprung profitiert Wilson nicht.

Hohes Level, aber…Eine gewisse persönliche Tragik schwingt mit. Wilson fühlt sich in Form, schätzt sich fähig, den eigenen Schweizer Rekord von 10,12 Sekunden über 100 Meter und jenen von Kevin Widmer über 200 Meter von 20,41 Sekunden zu unterbieten. Doch jene Plattform, die der 24-Jährige am liebsten dazu genutzt hätte, bietet sich nun nicht. Die ordentliche Qualifikation mit dem Erfüllen der WM-Limite hat er verpasst. Knapp verpasst: um einen Hundertstel über 100 Meter (mit der Zeit von Mitte Juli in La Chaux-de-Fonds), um zwei mit der Finalleistung an den Schweizer Meisterschaften vom letzten Wochenende und um 8 Hundertstel ebendort über 200 Meter.

Bitter für Wilson, dass er dieses Gefühl des Knappscheiterns innert weniger als 24 Stunden doppelt erlebte. Die letzte Qualifikationsmöglichkeit wäre es gewesen. Doch der schnelle Mann mit den jamaikanischen Wurzeln hakte das Scheitern schnell ab und strich stattdessen das Erfreuliche hervor. «Ich konnte erstmals seit Langem wieder richtig losspurten», sagte er, sich selbst analysierend. Und mit Blick auf die Statistik meint er: «Über 100 Meter lief ich in diesem Sommer die zweit-, dritt-, viert- und fünftbeste Zeit meiner Karriere, über 200 Meter die fünftbeste.» Drei Jahre muss er zurückblicken, bis er über die längere Distanz bessere Zeiten findet.

«Das Schöne am Sprinten ist das Fliegen, doch ohne Beschleunigung hebst du nicht ab.»

Und dank den jüngsten Leistungen eröffnen sich neue Perspektiven – Perspektiven, die einen Reiz ausüben, auch ohne WM. Ob Alex Wilson allerdings dieser Verlockung sogleich folgt und beispielsweise bei «Weltklasse Zürich» versucht, gross aufzutrumpfen, stellt er selber in Frage. «Ich muss in mich hineinhören, werde mich mit dem Trainer besprechen und wohl am Wochenende entscheiden.» Auf Gespräche mit Sven Rees deutet er hin, dem Fachmann, dessen wegen er seinen Lebensmittelpunkt nach Stuttgart verschoben hat und sich «auf dem Weg zum noch besseren Sprinter» fühlt.

Vom Wunsch des «Fliegens»

Vieles spricht für den Abbruch. «Ich hatte während der ganzen Saison zu kämpfen», sagt Wilson. Auf seine Probleme mit dem linken Knie spielt er an. Die Schmerzen in der Kniekehle kosteten ihn Wochen. Sie zehrten und zehren an den Kräften. Voll loslaufen nämlich konnte und kann er nur mit Schmerzspritzen. Auf die Dauer kann das nicht gut gehen. Und immer auf geht die Rechnung nicht. «In Luzern und Bellinzona konnte ich nicht beschleunigen», blickt er auf die beiden Startmöglichkeiten vor dem SM-Wochenende zurück. Bildlich illustriert er: «Das Schöne am Sprinten ist das Fliegen, doch ohne Beschleunigung hebst du nicht ab.»

Abheben aber möchte Alex Wilson – und zwar richtig. Und weil er den Blickwinkel über nur wenige Wochen hinaus geschärft hat, spricht auch einiges dafür, dass er die Saison bereits jetzt beendet – und pausiert, regeneriert und sich mit neuem Hunger und Elan dem Aufbau bereits des nächsten Sommers widmet. Durchaus Sinn würde dieser Entscheid machen. Wilson würde Zeit gewinnen. Zeit, die sich nutzen liesse, denn, so ist er sich voll bewusst: «2016 wird ein langes, intensives Jahr.» Ein Jahr mit Europameisterschaften, ein Jahr vor allem aber mit Olympia, mit den Spielen in Rio. Dort will Alex Wilson dabeisein, will er beweisen, wozu er sich befähigt fühlt.

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