Alle Hoffnung ruht nur auf einem – Cristiano Ronaldo

Der Dritte der Weltrangliste gegen den Siebten, Portugal gegen die Schweiz. Beim letzten Gruppenspiel der WM-Qualifikation scheint beim Europameister Portugal wieder einmal so ziemlich alles an seinem Superstar zu hängen.    

Portugal und Cristiano Ronaldo müssen auf die Zähne beissen: Gegen die Schweiz hilft nur ein Sieg zum Weiterkommen. (Bild: Reuters/Vincent West)

«Das Finale» – unter diesem Claim verkaufen der Fussballverband, der Nationaltrainer und die Spieler in Portugal das WM-Qualifikationsspiel am Dienstag gegen die Schweiz. Und es stimmt: Einen so hochkarätigen Showdown dürfte es in der Geschichte der Vorausscheidungen kaum einmal gegeben haben. Der Weltranglistendritte trifft auf den Weltranglistensiebten. Oder: acht Siege aus neun Spielen auf neun Siege aus neun Spielen.

«Ganz Portugal ist sich der Bedeutung dieses Spiels bewusst», sagt Mittelfeldmann João Mário. Am Montagmorgen gab es nur noch vereinzelte Resttickets für die Partie im Lissaboner Estádio da Luz mit seinen 65’000 Plätzen, das zu solchen Anlässen durchaus einen gewissen Einschüchterungsfaktor ins Spiel bringt. 

Für die WM 2010, die EM 2012 und die WM 2014 musste Portugal dreimal hintereinander in die Barrage. Die Ergebnisse: 1:0, 6:2 (jeweils gegen Bosnien-Herzegowina), 1:0 (Schweden). Alle drei Resultate würden am Dienstag für die Direktqualifikation reichen.


Ansonsten aber scheint angesichts der mässigen Form, der spielerischen Zweifel und auch der historischen Bilanz (21 Duelle, zehn Siege der Schweiz, sechs Portugals) gar nicht so viel für die Gastgeber zu sprechen. Natürlich, da ist die Erfahrung grosser Spiele: Die Portugiesen sind immerhin Europameister. Danach ist man aber auch schon bei Cristiano Ronaldo. Wobei das natürlich ein ziemliches Pfund ist. 

«Mit Ronaldo auf dem Platz verändert sich sogar der Gegner» 

Selbst in Andorra musste es der vier-, bald wohl fünffache Weltfussballer richten. Als er in der ersten Halbzeit geschont wurde, zählte selbst Portugals Trainer Fernando Santos nur zwei portugiesische Torchancen auf dem unangenehmen Kunstrasen im Fürstentum. Als Ronaldo dann notgedrungen zur Pause kam – alles andere als ein Sieg hätte die Schweiz vorzeitig zum Gruppensieger bestimmt –, wurde Portugals Vortrag auch nicht wesentlich schlüssiger. Aber, wie Innenverteidiger Luís Neto sagte: «Mit ihm auf dem Platz verändert sich sogar der Gegner.»

Ein Tor von Cristiano Ronaldo, das wieder einmal alles veränderte: Hier trifft der eingewechselte Superstar auf Kunstrasen in Andorra zur portugiesischen Führung.

Mögliche Panikattacken wegen dem lauernden Tormonster werden sicher zu den grössten Herausforderungen der Schweizer gehören. Andorras Innenverteidiger Ildefons Lima verleiteten sie in der 62. Minute zu einem Querschläger, der den abseits gestellten Ronaldo überhaupt erst in Position brachte. 

Der Rest waren ein formvollendeter Finish und der Dank der Nation: Angefangen von den portugiesischen Emigranten im Stadion von Andorra über Hunderte Fans bei der Ankunft zurück in Portugal vor dem Teamhotel in Cascais bis zur Sportpresse: «Er lässt uns nie im Stich», titelte «A Bola», die grösste Sportzeitung des Landes. 

Weniger euphorisierend ist der Umkehrschluss: Sogar gegen Andorra geht es nicht ohne Ronaldo.

Der kontrollorientierte Fussball von Fernando Santos

Portugals Nationaltrainer Fernando Santos und sein wichtigster Spieler Cristiano Ronaldo.

Wo Portugal sich bei der EM halbwegs von seinem Überspieler emanzipiert zu haben schien – von fünf Treffern in der K.o.-Runde erzielte er damals nur einen –, erlebte es in dieser Qualifikation einen Rückfall in alte Zeiten. Als Ronaldo zum Auftakt im St. Jakob Park fehlte, gab es ein 0:2 gegen die Schweiz. Gegen die Färöer, Lettland, Ungarn und Andorra erzielte er dann 15 von 30 portugiesischen Toren. Acht weitere steuerte Sturmpartner André Silva bei. Die beiden eröffneten dabei stets den Score: Ronaldo fünfmal, Silva dreimal. 

Mit anderen Worten: Portugal hängt auf Gedeih, Verderb und noch mehr als im Fussball üblich an seinen Angreifern.

Gegen starke Rivalen stösst der auf defensiver Stabilität und Organisation beruhende Fussball von Nationaltrainer Santos schnell an kreative Grenzen. Dann zieht sich sein Team normalerweise zurück und überlässt dem Gegner das Spiel – das sah man in der K.o.-Runde 2016 und zuletzt auch im Sommer am Confed-Cup beim Halbfinal-Aus gegen Chile. Immer spielte es rein kontrollorientiert und notfalls auf Elfmeterschiessen. Nun muss es in 90 Minuten gewinnen, eine neue Herausforderung. Präsentiert sich die Schweiz auf Augenhöhe, könnte sie Portugal bei dieser Aufgabe ziemlich nervös machen. 

Hochgelobte Talente geraten ins Stocken

Die «Seleção» leidet derzeit auch darunter, dass sich viele ihrer Talente nicht wie erwartet weiterentwickelten. Das eklatanteste Beispiel ist Renato Sanches, an der EM mit entscheidenden Szenen zum Youngster des Turniers gewählt, danach aber bei Bayern München krachend gescheitert und jetzt an den britischen Abstiegskandidaten Swansea City ausgeliehen.

Cristiano Ronaldo und seine talentierten Nebenleute: Joao Mario (links), Andre Silva und Bernardo Silva.

Auch die Karrieren seiner Mittelfeldkollegen João Mário und André Gomes gerieten nach ihren Transfers zu Inter Mailand respektive zum FC Barcelona im Sommer 2016 ins Stocken. Ähnlich ergeht es jetzt den letzte Saison stark aufgerückten Bernardo Silva und André Silva nach ihren jüngsten Wechseln zu Manchester City respektive Milan.

Dazu ist der bei der EM so überragende Linksverteidiger Raphael Guerreiro verletzt und der von Santos hochgeschätzte Mittelfeld-Allrounder Adrien Silva ohne Spielerpass – weil sein Papierkram zwischen Sporting Lissabon und Leicester City am letzten Transfertag 14 Sekunden zu spät fertig wurde.

Ein Ronaldo auf Rekordjagd ist besonders gefährlich

Bei so viel Pech und Pannen hätte jetzt nur noch gefehlt, dass Ronaldo gegen die Schweiz mit einer Sperre aussetzen muss. Um das zu verhindern, hatte Santos in Andorra auf ihn verzichten wollen. Was dann nicht funktionierte. Aber der Superstar riss sich zusammen und ersparte sich die Gelbe Karte, die ihn zum Zuschauen verurteilt hätte.

In Lissabon kann er Robert Lewandowski als erfolgreichsten Torschützen überholen, der ihm momentan um einen Qualifikationstreffer voraus ist. Der Pole hat mit 16 Toren zugleich eine neue Allzeit-Bestmarke in europäischen Ausscheidungen aufgestellt.

Ein Ronaldo auf Rekordjagd ist besonders gefährlich, das ist nichts Neues. Für die Schweiz kann es also nur gut sein, dass sie ansonsten nicht ganz so viel fürchten muss, wie das in einem Auswärtsspiel bei einem Europameister sonst Standard sein mag.

Hier muss die Schweizer Nationalmannschaft am Dienstag bestehen, will sie zur WM-Endrunde 2018 nach Russland: das Estadio da Luz in Lissabon.

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