Alles dürfen die Polen, nur verlieren nicht

Zwischen grossem Ehrgeiz der Nationalspieler und turmhohen Erwartungen im Land: Polens Auswahl vor dem Eröffnungsspiel der Euro 2012 am Freitag (18.00 Uhr) gegen Griechenland.

Polens Hoffnungsträger: Jakub Blaszczykowski,Wojciech Szczesny, Marcin Wasilewski, Sebastian Boenisch, Eugen Polanski, Lukasz Piszczek, Rafal Murawski, Damien Perquis, Maciej Rybus, Robert Lewandowski und Ludovic Obraniak. (Bild: Keystone/RADEK PIETRUSZKA)

Zwischen grossem Ehrgeiz der Nationalspieler und turmhohen Erwartungen im Land: Polens Auswahl vor dem Eröffnungsspiel der Euro 2012 am Freitag (18.00 Uhr) gegen Griechenland.

Die Polen wollten vor allem Ruhe. Die haben sie in Lienz in Osttirol gefunden. Weit weg von der grossen Erwartungshaltung daheim und noch weiter weg von den Schlagzeilen über das befürchtete Hooligan-Problem und die Korruptionsskandale im heimischen Fussball. Nach dem Trubel der acht Tage in Belek, als die Familien der Spieler in einem Entspannungs-Trainingslager dabei waren, hat sich die polnische Nationalmannschaft im Grand-Hotel Lienz von der Aussenwelt abgeschottet. So gut es geht.

Dass auch rund 50 Journalisten und viele Fans aus Polen anreisten, liess sich nicht verhindern. Nur ein kleines Schild an der Westeinfahrt zur 12‘000-Einwohner-Stadt durfte Lienz-Marketing aufhängen: «Welcome Polska Lienz Preparation Camp Uefa Euro 2012». Alles andere hat Franciszek Smuda unmissverständlich untersagt. Turbulent wird es früh genug zugehen: «Es wird heftig», glaubt der Nationaltrainer.

Es hat Kritik daran gegeben, warum sich der Mitgastgeber der EM nicht auf heimischer Scholle vorbereitet hat. Smuda aber wollte Ruhe.

 Dafür haben sie sich den Trainingsplatz in Lienz unweit des Grossklockners auch 100 Euro Miete am Tag kosten lassen.

Wo keine Grenzen herrschen

2009 hat Smuda den schwierigsten Job Polens übernommen und muss mit der Diskussion leben, nicht von allen als «ganzer Pole» akzeptiert zu werden. Er ist in Oberschlesien geboren und Spätaussiedler. Mancher Hardliner nimmt ihm übel, dass er zwei Pässe besitzt und reagierte pikiert, als er den deutschen Pass am Rande des Pokalspiels Fürth–Dortmund verlängern liess. «Da heisst es, ich sei kein polnischer Trainer, sondern ein deutscher», sagt er und schüttelt den Kopf, «das muss ich als Trainer aushalten und den Druck dazu. Für mich sind wir alle eins, Polen, Deutschland. Für die jungen Menschen heute bedeuten Grenzen nichts mehr, das gefällt mir».

Smuda verteidigt sein Konzept, Spieler zu nominieren, die wie er zwei Staatsangehörigkeiten haben. 

Und dass der ehemalige Abwehrspieler zum Pokalduell nach Fürth reiste, verstand sich von selbst. Lukas Piszczek, Jakub Blaszczykowsk und Robert Lewandowski spielen für den BVB, dazu kommt mit dem Mainzer Eugen Polanski ein weiterer Bundesligaprofi.

Fürth und Mittelfranken kennt Smuda gut. Damals, von 1979 bis 1989, spielte er für Fürth und den VfB Coburg, später trainierte er den ASV Forch, die DJK Eintracht Süd Nürnberg, denj FC Herzogenaurach und den FV Wendelstein. Das hörte sich nicht nach grosser Karriere an. Heute, sagt Smuda, «spricht mich in Polen jeder beim Bäcker an».

Turmhohe Erwartungen der Polen

Smudas Warnungen vor zuviel Optimismus wollen allerdings viele nicht ernst nehmen. «Im polnischen Fussball ist es nicht mehr wie in den Siebzigern, Achtzigern oder Neunzigern. Wir haben eine kleine Krise, was Talente anbelangt», sagt er. Und die polnische Liga liefert ihm nicht viele Alternativen. Deshalb hat Smuda – notgedrungen oder mutig, je nach Sichtweise – eine junge Mannschaft aufgebaut, die sich, wie er feststellt, «taktisch entwickelt hat. Heute bekommen wir nicht mehr so viele Gegentore». Stark in der Defensive, lässt sich das Team aber noch zu oft den Schneid abkaufen, und das Leistungsgefälle im Kader ist gross.

In zwei Jahren ohne Ernstkampf hat der 63-jährige Smuda an einem neuen Gerüst gebastelt. Trotzdem wird man ihm nicht verzeihen, wenn er bereits in der Vorrunde scheitert. Die Viertelfinals sind Pflicht. Dass es das erste Mal in der polnischen EM-Fussballgeschichte wäre, spielt bei den turmhohen Erwartungen nur eine Nebenrolle.

Barças Fussballschule in Warschau

Der Nationalcoach hofft auf einen Boom durch die EM, der Polens Fussball eine Perspektive gibt. «Die neuen Stadien und alles, das muss doch Auswirkungen haben», sagt er. Ein erstes Zeichen ist die in Warschau neu eingerichtete Fussballschule des FC Barcelona für Kinder im Alter von sechs bis zwölf Jahren.



Ein anderes wäre, wenn die «Biale Orly, die weissen Adler, bei Euro 2012 für Aufsehen sorgen. Das Kader ist jung, die Spieler sind im Schnitt 23, 24 Jahre alt, die Grundlagen sind gelegt und ein neuer Ehrgeiz ist gewachsen. «Wenn wir in Warschau das erste Spiel machen, wird die ganze Welt auf Polen und uns schauen. Darauf werden wir uns vorbereiten“, sagt Smuda.

Er lehnt sich an den legendären EM-Erfolg des Gegners im Eröffnungsspiels an. Das Beispiel Griechenlands, der Überraschungs-Europameister 2004, habe gezeigt, was für die Kleinen möglich sei. «Nur spielen wir im eigenen Land, das ist ein gewaltiger Unterschied», findet Smuda, «für die Polen sind wir kein richtiger Aussenseiter. Wir dürfen wir alles, nur nicht verlieren.»

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