23 Millionen Dollar schwer ist die Kampfbörse, wenn am Samstag Wladimir Klitschko auf Alexander Powetkin trifft. Der WM-Kampf im Schwergewicht wird als «Megafight» angekündigt. Aber kann der Russe Powetkin den Ukrainer Klitschko wirklich fordern? Die TagesWoche klärt vor der ersten Runde die wichtigsten Fragen.
Grosses Ballyhoo in Moskau: Mit Wladimir Klitschko (37) und Alexander Powetkin (34) messen sich gleich zwei Titelträger im Schwergewichts-Profiboxen. Zum Kräftemessen in der Arena des Olimpijski-Komplex´ (Samstag, 21.15 Uhr, RTL live) werden die grössten Kampfbörsen ausgezahlt, die in Europa je fällig wurden. Tatsächlich ein Megafight, oder bloss der nächste Monsterhype?
Um welche Titel geht es?
Wladimir Klitschko bringt alle vier WM-Gürtel aus seinem Besitz mit. Er ist Titelträger von drei der vier etablierten Verbände, also IBF, WBO und WBA – wobei die World Boxing Association ihn als ‹Super-Champion› und Powetkin nur als ‹Champion› führt. Ein Kunstgriff, um über die Sanktionsgebühren öfter mitzuverdienen. Ausserdem hält Klitschko den WM-Gürtel der bemühten, aber weniger bedeutenden IBO (International Boxing Organisation). Powetkins zweitrangiger WM-Titel steht nicht auf dem Spiel.
Warum steigt das Duell in Moskau?
Weil der Manager und Promoter Wlad Hrunow die Veranstaltungsrechte daran Anfang Mai ersteigert hat. Sein Gebot über insgesamt 23 Millionen US-Dollar lag bei der Kampfersteigerung in Panama City turmhoch über den Geboten von K2 Promotion (Klitschko) bzw. Sauerland Event (Powetkin). Hrunow hat das Spielgeld vom russischen Investor Andrej Ryabinski, der den Termin auch als Werbung für sein Immobilien-Unternehmen sowie als Anschub für eine eigene Karriere als Boxpromoter nutzen will. Seine frisch gegründete Firma hat er programmatisch ‹World Boxing› getauft.
Ist Powetkin wirklich der bestmögliche Herausforderer?
Allenfalls vom Papier her. Mit dem Olympiasieg (2004) und dem WM-Titel (2003) hat der 1,88 grosse Russe aus Kursk bei den Amateuren noch mehr erreicht als Klitschko (Olympiasieg 1996). Er kann sehr beweglich und methodisch boxen und trifft am wirkungsvollsten aus der Halbdistanz.
Von dem so angekündigten ‹weissen Tyson› aber ist er als Profi stets ein gutes Stück entfernt geblieben. Konditionelle Mängel und ein gewisses Phlegma haben ihn unbeeindruckender aussehen lassen als es der imposante Rekord (26 Siege, keine Niederlage) verspricht. Mehrere Trainerwechsel haben ihn im Stil eher irritiert als gefestigt.
Für seine vier Titelverteidigungen als so genannter WBA-Weltmeister sind ihm limitierte Gegner vorgesetzt worden – und selbst da hat es etwa gegen das deutsche Cruisergewicht Marco Huck (2012) nur zu einem diskutablen Punktsieg gereicht.
Warum steigt dieser Kampf erst jetzt?
Gute Frage. Als so genannter Pflichtherausforderer hätte Powetkin schon mehrfach eine Gelegenheit gehabt, sich mit Wladimir Klitschko im Ring zu verabreden. Im ersten Anlauf sagte er wegen einer Fussverletzung ab, beim zweiten Anlauf liessen seine Betreuer den Termin platzen.
Heute weiss man auch, warum: Nach mehreren wenig überzeugenden Vorstellungen wurde ihm auch im Lager der Berliner Sauerland Event (noch) keine reelle Siegchance zugetraut. «Er wäre gekillt worden», ist Meistercoach Teddy Atlas, der ihn damals betreute, bis heute überzeugt. Jetzt ist der Termin für seinen Promoter die letzte Chance, mit ihm ganz grosses Geld zu machen: In wenigen Monaten läuft der Vertrag zwischen Sauerland Event und Powetkin aus.
Ist Wladimir Klitschko tatsächlich unschlagbar?
Kein Boxer ist unschlagbar, es kommt nur auf die Qualität seiner Herausforderer an – und die lässt im Schwergewicht weiter zu wünschen übrig. ‹Dr.Steelhammer› ist über fast 17 Profijahre und 63 Vergleiche (60 Siege) zu einem beeindruckenden Gesamtkunstwerk avanciert.
Massive Physis, untrügliches Distanzgefühl, überraschend flinke Beine, dazu eine Linke wie eine Dampframme und die letale Rechte: Das alles ist jetzt in atemberaubender Balance. Seit der Abbruchpleite gegen Lamon Brewster (2004) hat ‹Wlad› in 18 Duellen nicht mehr geschwächelt; seit April 2006 behauptet er sich als Champion.
Länger hat in der modernen Ära nur Joe Louis (kriegsbedingt) die Klasse aller Klassen regiert. Es könnte gerne etwas spannender sein – aber dafür braucht es die Nortons, Fraziers und Foremans, die Muhammad Alis als begnadeten Champion modellierten.
Was kommt aus der einstigen Domäne USA?
Herzlich wenig. Momentan befindet sich mit Chris Arreola (8.) nur ein US-Profi unter den Top Ten der unabhängigen Weltrangliste – und den hat Brüderchen Vitali bereits 2009 demoliert. Tony Thompson (11.) ist wie Amir Mansour (18.) inzwischen 41 Jahre alt und unterlag Wladimir schon zwei Mal.
Bleibt also nur der 27-jährige Deontay Wilder (12.) alias ‹The Bronze Bomber› aus Alabama, der mit 2,01 Metern Körpergrösse und einer beeindruckenden K.o.-Rate (29 vorzeitige Siege in 29 Duellen) gegen limitierte Gegner imponiert. Das ist der Kampf, den die amerikanischen TV-Sender lieber heute als morgen wollen.
Wer käme sonst in Frage?
Der amtierende Europameister Kubrat Pulev (18 Siege) macht boxerisch wie mental einen starken Eindruck. Er könnte Nachteile an Erfahrung als Profi mit mutigen Attacken und gewitzter Strategie kompensieren. Auf der britischen Insel macht der 2,06 Meter grosse Tyson Fury (21 Siege) von sich reden, wirkt aber längst nicht ausgereift – und wird demnächst von Ex-Champion David Haye auf Herz und Nieren getestet.
Auch nicht zu vergessen: Der zuletzt mehrfach verletzte, 2 Meter grosse Finne Robert Helenius (19 Siege) alias ‹The Nordic Nightmare›, der auch schon Arnold ‹the Cobra› Gjergjaj für einen Kampf angefragt hat. Der Pratteler hat damals die Einladung dankend abgelehnt, als Aufbaugegner den Kopf hinzuhalten.
Und wo bleibt Vitali?
Mit 41 Jahren und einem Mandat in der ukrainischen Volksvertretung wird es für den älteren Klitschko immer schwieriger, sich in Form zu bringen. Derzeit ruht sein Championat beim WBC-Verband, aber ewig geht das so nicht weiter. Hier steht jetzt eine Entscheidung an: Gleich aufhören oder ein letztes, grosses Duell – am liebsten gegen Intimfeind David Haye.
Was sagen die Trainer?
Beide Seiten verbreiten wie gewohnt Zuversicht. Jonathan Banks, seit dem Tod von Emanuel Steward (2012) Klitschkos Haupttrainer – und selbst die 14 in der Weltrangliste – legt sich fest: «Wenn Wladimir in den Ring geht um ein weiteres Opfer zu schlagen, dann tut er das bedingungslos. Powetkin hat sich immer nur von Sieg zu Sieg gehangelt.»
Auf der anderen Seite ist Stacey McKinley, einst im Camp von Mike Tyson und nun Co-Trainer (mit Alexander Simin), vom Herausforderer überzeug: «Alexander hat sich ordentlich verbessert, er hat an Schärfe gewonnen. Dazu ist er in einer super Verfassung – viel besser als zuletzt.»
Wer boxt sonst noch in Moskau?
Die Undercard ist besser als bei Klitschko-Events in Basel oder sonst wo im deutschsprachigen Raum. Es gibt eine Europameisterschaft im Cruisergewicht zwischen Mateusz Masternak (POL) und Grigory Drozd (RUS), die Spannung verspricht. Und mit Ruslan Chagaev bemüht sich ein Ex-Weltmeister gegen Jovo Pudar (SER) um erneuten Anschluss an die Elite im Schwergewicht. Was davon via TV zu sehen ist, hängt nicht zuletzt vom Verlauf des Hauptkampfs ab.