Zum WM-Kampf hat Peter Heine Nielsen die Fronten gewechselt: Statt Weltmeister Anand sekundiert der Däne nur Herausforderer Carlsen. Nielsen gilt als brillanter Tüftler für das Eröffnungsspiel, sieht in seinem Lagertausch kein Problem und behauptet etwas krude: «Ich habe es hinbekommen, nicht mehr für Anand zu arbeiten – aber gegen ihn zu arbeiten, das schaffe ich nicht.»
Schach-Weltmeisterschaften werden zu einem nicht unerheblichen Teil im heimischen Kämmerchen entschieden. Die Vorbereitung von neuen Eröffnungsvarianten ist fast so wichtig wie früher bei Duellen die Wahl der Waffen. Vielleicht heissen die Helfer beim Schach auch deshalb Sekundanten. Aus ihren Namen wird gerne ein Geheimnis gemacht, um dem WM-Gegner keine Anhaltspunkte zu geben. Schliesslich haben die Sekundanten auch Eröffnungsvorlieben oder gelten als Experten bestimmter Abspiele.
Bei der Eröffnung der WM in Chennai gab Weltmeister Viswanathan Anand preis, wer in seinem Team steht: Neben den zwei indischen Nationalmannschaftskollegen Chanda Sandipan und Krishnan Saiskiran hat Anand ausserdem mit dem Polen Radoslaw Wojtaszek und dem früheren Vizeweltmeister Peter Leko (Ungarn) zwei Top-30-Grossmeister im Team.
Der Herausforderer lüftete das Geheimnis um seine Sekundanten nicht. Schmallippig sagte Magnus Carlsen am Donnerstag der vorigen Woche, er behalte das lieber für sich.
Carlsens Achillesferse ist die Eröffnung
Mit den zwei farblosen Auftakt-Remis in Südindien kann der Norweger kaum zufrieden sein. Der Weltranglistenerste musste trotz des Aufschlags mit den weissen Steinen schon früh in eine Zugwiederholung einwilligen. Auch im zweiten Duell bestimmte der «Tiger von Madras» das Geschehen und forcierte am Schluss ganz nach seinem Gusto den Friedensschluss.
Die Eröffnungsvorbereitung ist bei Carlsen noch die Achillesferse. Erst im sogenannten Mittelspiel überspielt er die Rivalen kraft seines Talents und seiner Weitsicht. Andere Asse überraschen ihre Gegner dank der Computer-Vorbereitung bereits früher. Das weiss der 22-Jährige – und warb Peter Heine Nielsen ab.
Der Wechsel des Sekundanten – wie Klopp zu Bayern
Der Däne arbeitete bis zum Frühjahr für Anand. Die Rochade vom Weltmeister zum Weltranglistenersten schlug in der Szene wie eine Bombe ein – im Prinzip ist es, als wechselte Jürgen Klopp von Borussia Dortmund zu Bayern München.
Umgehend witterte mancher Verrat: Anand würde nun schon allein deshalb in seiner Heimatstadt den Kürzeren ziehen, weil Nielsen alle Eröffnungsgeheimnisse ausplaudert. Doch der 40-Jährige denkt nicht im Traum daran, den Judas zu spielen.
«Bei der WM bin ich völlig neutral», sagt der umworbene Grossmeister und sieht sich nicht in einer Zwickmühle: «Ich kenne so viele Geheimnisse von ,Vishy‘. Ich hatte eine tolle Zeit mit ihm, da kann ich jetzt keine krummen Dinger drehen. Ich habe es hinbekommen, nicht mehr für ihn zu arbeiten – aber gegen ihn zu arbeiten, das schaffe ich nicht!»
Wie ein Rentenvertrage
Nielsen gilt als besonders versiert darin, mit den Programmen wie «Houdini», «Fritz» oder «Shredder» neue Ideen nach 15 oder 20 Eröffnungszügen auszutüfteln. Mit Blick auf seinen neuen Herrn äussert der Bundesligaspieler von Meister OSG Baden-Baden: «Es ist klar, dass die Eröffnung nicht zu den Stärken von Magnus zählt. Danach spielt er aber grandios.»
Weil Carlsens bereits jetzt besser als alle Konkurrenten ist, müsse die Vorstellung für sie «natürlich gruselig sein», dass der 22-Jährige die letzte Schwächen dank der neuen Skandinavien-Connection ausmerzt. Warum nutzt Nielsen seine brillanten Computer-Eröffnungen aber nicht selbst und reicht sie weiter? «Sie vollstrecken ganz anders als ich. Ihre Verwertung meiner Ideen macht mir Freude», sagt der 110. der Weltrangliste.
Der dänische Sekundant nutzte «die Chance zum Wechsel», um mit einem weiteren «aussergewöhnlichen Spieler» zusammenzuarbeiten. Ein bisschen denkt der 40-Jährige aber auch daran, sich bis zur Rente abzusichern – Carlsen könnte das Schach auf Jahrzehnte dominieren. «Aber erst muss er wie ,Vishy‘ viermal Weltmeister werden», unterstreicht Nielsen und schliesst mit Blick auf das WM-Match mit einer neutralen Prognose: «Der Bessere meiner Freunde möge gewinnen.»