Das Gefühl der Hoffnung auf eine Sensation zerschellte in London an einem gnadenlos effektiven Chelsea. Nach dem Ende der fabelhaften Europacup-Saison geht es beim FC Basel auch um künftige, realistische Massstäbe – und ab sofort darum, sich auf die nationalen Ziele zu konzentrieren.
Viel war von «Stolz» und gleichzeitig von «Realismus» die Rede, als ein geschlagener FC Basel Donnerstagnacht die Stamford Bridge verliess. «Wir haben uns in Sphären bewegt, die für uns eigentlich gar nicht realistisch sind», sagt Marco Streller, «wir sind Mannschaften auf Augenhöhe begegnet, die noch mal ganz andere Möglichkeiten haben als wir.» Und der Captain räumt ein: «Chelsea war über zwei Spiele gesehen eine Nummer zu gross – aber auch gegen diesen Gegner haben wir gezeigt, dass wir da sind.»
Dass der FC Basel die Vereinbarung einer möglichen definitiven Übernahme des seit Januar vom Arab Contractors SC aus Kairo ausgeliehenen Mohamed Elneny nutzen würde, hat sich nach 17, zum grösseren Teil eindrücklichen Spielen des 20-jährigen Mittelfeldakteurs abgezeichnet. Und so hat der ägyptische Nationalspieler nun einen Vertrag bis 2017 beim FCB unterschrieben. Nachdem den FCB die Verpflichtung von Landsmann Mohamed Salah vor knapp einem Jahr rund zwei Millionen Franken Ablöse an den selben Club gekostet haben soll, heisst es im Fall Elneny, dass der Transfer günstiger zu machen war. (cok)
Soweit wie nie zuvor in seiner Clubgeschichte ist der FC Basel im Europacup vorgedrungen, erstmals seit 1978 (GC, Uefa-Cup) stand wieder ein Schweizer Club in einem Halbfinal, und vor diesem Hintergrund konnte das Ausscheiden gegen einen kapitalen Gegner, der vor Jahresfrist noch die Champions League für sich entschieden hatte, keine Bestürzung auslösen.
Ehre eingelegt zu haben für eine Fussball-Nation, die im Frühjahr, wenn die Renommierten um die grossen Silbertrophäen spielen, längst keine Rolle mehr spielt, das findet Marco Streller schön und glaubt: «Wir haben in der Schweiz, wo der FC Basel nicht immer allen sympathisch ist, so etwas wie eine Euphorie auslösen können und uns Respekt verschafft – auch mit sympathischen Auftritten. Das macht mich zusätzlich stolz.»
Die Fans feierten mit einem (teuren) Feuerwerk
Die Spieler verarbeiteten des Erlebte gefasst, und die Fans im Gästesektor feierten auf ihre Art Abschied von Europa: Mit einem Feuerwerk. Das wird teuer für den Club und war waghalsig von den Basler Anhängern angesichts der strengen Sicherheitsvorkehrungen in den englischen Stadien.
Das führte soweit, das Marcelo Diaz in der Endphase der Partie dabei behindert wurde, einen Eckball auszuführen, weil eine Herrschar von Stewards vor dem Gästesektor aufmarschierte – an der Eckfahne entlang und ohne Rücksicht auf das Spielgeschehen.
Von drei Verhaftungen Basler Fans am Spieltag ist die Rede, allesamt wegen Rauschmittelvergehen. Ein Marsch von rund 1000 FCB-Unterstützern am Spieltag vom Leicester Square durch die Innenstadt Richtung Fulham verlief reibungslos – allerdings so eng begleitet von der Hauptstadtpolizei, wie es sich die FCB-Fans bei Gastspielen in Zürich nicht auszumalen wagen.
Das Aus in der 40. Halbzeit
Spät am Donnerstagabend, im noblen Hotel Royal Park im Herzen der britischen Metropole, beim inzwischen üblichen gemeinsamen Diner von Mannschaft und Top-Supportern nach den internationalen Spielen, erinnerte Bernhard Heusler daran, dass der FCB gegen Chelsea nach 39 Halbzeiten im Europacup immer noch eine Chance auf den Final besessen habe.
Ehrfürchtige Lobeshymne eines grossen spanischen Fussbalblogs auf den @fc_basel @fcbasel_english #rotblaulive marcadorint.com/bohemios/un-me…
— Daniel Ordas (@danielordas) 3. Mai 2013
Der FCB-Präsident machte im Begleittross des FCB keine Niedergeschlagenheit aus, nachdem in der 40. Halbzeit das Aus besiegelt wurde. «Es gab eine Standing Ovation der Supporter für die Mannschaft», schildert Heusler, «und das hat den Spielern gut getan.»
In der Halbzeitpause an der Stamford Bridge hatte nicht nur unter den Fans aus der Schweiz und bei der Mannschaft von Murat Yakin ein Hochgefühl geherrscht, war nach sehr guten ersten 45 Minuten neue Hoffnung auf eine Sensation gekeimt.
«Auch wir auf der Tribüne waren für einen Moment sprachlos», so Heusler, «ein Führungstor kurz vor der Halbzeit ist das, was man sich in einem Drehbuch gewünscht hätte. Der ganze Auftritt der Mannschaft war top, das Tor hatte sich ja fast schon angekündigt.»
Die gute erste Halbzeit und der Chelsea-Wirbelsturm
Heusler blieb nicht verborgen, wie sich die Präsidiumskollegen des Chelsea FC sorgten, im Publikum könnte nach dem Seitenwechsel die Stimmung kippen. Gegenüber dem ungeliebten Rafael Benítez war sie bereits reichlich respektlos.
Auf den Portugiesen José Mourinho, der im Sommer wohl an die Stamford Bridge zurückkehren wird, wurden auf den Rängen Lieder angestimmt. Und das, während der tapfer seine Situation ertragende Spanier Benítez den Chelsea FC in das zwölfte Endspiel führte, seit Roman Abramowitsch vor zehn Jahren den Club übernommen hat.
«Wenn die Knie des Favoriten weich werden, ist das die Chance des Aussenseiters», dachte sich Bernhard Heusler zur Pause, doch der Effekt, die Kulisse könnte sich gegen die eigene Mannschaft wenden, trat nicht ein. Im Gegenteil: Zu gewaltig kam Chelsea aus der Kabine, zu schmalbrüstig erschien der FCB in der Viertelstunde nach der Pause, um sich gegen den kurzen, aber heftigen Wirbelsturm stemmen zu können, den die Blues entfachten.
Die Basler Visitenkarte
Der FCB-Präsident wollte aber auch nicht zu anspruchsvoll sein: «Dafür haben wir zu viel erlebt und mitgenommen aus dieser Kampagne.» Zu den eindrücklichsten Momenten in der K.o.-Phase zählt Heusler das Fast-Ausscheiden gegen Molde, aber auch das Aus gegen Cluj, als die Champions-League-Träume platzten.
Bittersüss. Danke #fcbasel für eine tolle zeit in europa! #rotblaulive
— David Sieber (@CR_Sieber) 2. Mai 2013
«Im Sechzehntelfinal trafen wir auf ein Dnipro, das als Kollektiv eine der stärksten Gegner war, Zenit in den Achtelfinals war eine der teuersten Mannschaften in Europa, und dann kam Tottenham, einer der traditionsreichsten Clubs Englands – die haben wir alle rausgeworfen» so Heusler nicht ohne Stolz, «vor allem auf der Insel haben wir eine grosse Visitenkarte abgegeben.»
«Der Erfolg muss richtig eingeordnet werden»
Gleichzeitig fordert der Chef des FC Basel nun vom Umfeld des Vereins, nach diesem bisher einmaligen Lauf durch den Europacup-Frühling den Realitätssinn zu bewahren: «Wir müssen diesen Erfolg richtig einordnen. Man kann nicht das Erreichen der Halbfinals, die tollen Momente, die wir erlebt haben, zur Messlatte für die nächste Saison machen. Wir müssen vernünftig einschätzen, was auf der Basis der Mittel und Möglichkeiten, die wir haben, als Optimum herauszuholen ist. Diese Saison ist uns das europäisch mehr als gelungen.»
Der Präsident formulierte dieses Plädoyer für Vernunft vermutlich im Wissen darum, das es bei einem erfolgsverwöhntem Publikum die Gefahr birgt, zum einen Ohr rein und zum anderen sogleich wieder hinaus zu gehen.
Hammer Leistung des FC Basel. Zwei Jahre international hohes Niveau! Es macht Freude. Hoffentlich nächste Saison wieder. #rotblaulive
— Matthias Teh (@Matthias_Teh) 2. Mai 2013
Die nächsten Herausforderungen
Die Herausforderungen werden nicht weniger – von einem verpassten Final abgesehen – und nicht kleiner im letzten Monat der Saison. In vier Wochen hat der FCB acht weitere Spiele zu bestreiten, darunter den Cupfinal am Pfingstmontag und als nächstes zwei Auswärtsspiele in der Liga, zuerst am Sonntag (13.45 Uhr) in Sion. Bevor die Mannschaft bereits am Samstag wieder aufbricht Richtung Wallis, muss Trainer Murat Yakin sein geschlauchtes Personal sortieren.
Bei Valentin Stocker, an der Stamford Bridge mit einer Knieblessur ausgewechselt, sah es am Rückreisetag schon wieder etwas besser aus. Dafür bei Marco Streller überhaupt nicht. Fast unverzichtbar ist der Captain derzeit, für ein funktionierendes Offensivspiel ebenso wie für das Pressing.
«Ich habe den Oberschenkel schon sehr früh wieder gespürt», schildert der 31-jährige Streller die Folgen der hohen Belastung, «in der zweiten Halbzeit ging es fast nicht mehr, der Muskel hat komplett zu gemacht, und ich hoffe, dass wir das bis Sonntag wieder lösen können. Ich habe dieses Problem jetzt schon seit ein paar Wochen – und es wird immer schlimmer.»
Das klingt nicht wirklich gut, zumal Raul Bobadilla noch nicht intergriert ins Spiel scheint und Jacques Zoua, jetzt wo es ihn brauchen würde, eine Gelb-Sperre absitzen muss. Bei Philipp Degen muss erst eine MRI-Untersuchung Aufschluss darüber bringen, wie schwerwiegend die Knieverletzung ist, die er sich am Mittwoch beim Abschlusstraining an der Stamford Bridge zugezogen hat.
Das Aus in Europa sieht Yakin auch als Befreiung
Dass der FCB vier Spiele in Folge nicht gewonnen hat, drei Niederlagen aneinander gereiht hat, schmeckt Murat Yakin nicht. Zuletzt gab es das unter seinem Vorgänger Heiko Vogel in der Woche der Cluj-Spiele. «Auch die acht Gegentore in den letzten drei Spielen sind untypisch», stellt Yakin nüchtern fest, und ahnt, dass seiner Mannschaft auch in Sion nichts geschenkt werden wird. Zumal der FCB-Coach erkannt hat, dass eine ultradefensives Auftreten gegen sein Team mittlerweile zur «Modetaktik» der Gegner geworden ist.
Selbst an der Stamford Bridge fiel das Ballbesitzverhältnis 56:44 Prozent für Basel aus. Ein Wert, von dem sich die Mannschaft nichts kaufen kann. Deshalb wertet der Trainer die Begegnung mit dem effizienten Fussball von Chelsea als wertvolle Erfahrung für seine Spieler. Ob das taktische Ziel, gar nicht auf Ballbesitz aus zu sein, in der Super League allerdings aufgeht, sei dahingestellt.
Jedenfalls bezeichnet Yakin das verpasste Endspiel von Amsterdam auch als «Erleichterung» und «Befreiung». «In der Europa League waren wir wie auf einer Wolke, das war wie eine Ablenkung.» Die fällt nun weg – und der Trainer wird in den nächsten Tagen seine Mannschaft mehr denn je darauf einschwören, was er von ihr erwartet, was der Club auch in dieser Saison haben will: Titel.
Ausserdem zum Europa-League-Halbfinal:
- Die Taktikanalyse: Was ist das passiert?
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