Es ist ein ambitioniertes Fussball-Projekt, dass der Grossunternehmer Kiril Domuschiev in der bulgarischen Provinz auf den Weg gebracht hat. Jetzt drängt Ludogorets Razgrad mit Macht in die Champions League und hat nur noch den FC Basel (Hinspiel am Mittwoch, 20.45 Uhr in Sofia) aus dem Weg zu räumen.
Kiril Domuschiev ist passionierter Grosswildjäger. Keiner von der Sorte, die mit Handgranaten um sich werfen. Eher, heisst es, stellt er seinem Opfer tagelang nach, um es dann auf die technisch einwandfreie Weise zur Strecke zu bringen. In seiner umfangreichen Trophäen-Sammlung ist es ein prächtiger Leopard, der zur Illustration dieser besonderen Geduld immer wieder hervorgezogen wird.
In einem Land, das als das korrupteste der Europäischen Union gilt und in dem bis zum Februar ein ehemaliger Bodyguard und Karatekämpfer Ministerpräsident war, sind Unternehmer vom Typ Domuschiev eher die Ausnahme. Für den einheimischen Fussball ist das in gewisser Weise ein Segen. Denn auch bei seinem Fussball-Projekt Ludogorets Razgrad setzt der 44-Jährige mit den Silberlocken auf vernünftige Konzepte und Nachhaltigkeit.
Es ist noch keine zehn Jahre her, da wurde Georgi Illiev, 39-jähriger Präsident von Lokomotive Plovdiv und nach Erkenntnissen des Innenministeriums in Drogengeschäfte verwickelt, in seiner eigenen Bar erschossen. Und der Traditionsverein Levski Sofia gehörte einem russischen Geschäftsmann, der offiziell als Gefahr für die nationale Sicherheit eingestuft worden war.
Der Präsident: Profiteur der Privatisierung
Kiril Domuschiev stammt da aus einer ganz anderen Welt. Seine Mutter leitete während der sozialistischen Planwirtschaft die grösste Fahrrad-Fabrik Bulgariens namens «Balkan», und als es 1993 darum ging, das einstige Volkseigentum unter den Cleversten zu verteilen, waren die beiden Domuschiev-Brüder Kiril (44) und Georgi (38) mit ihrem Privatisierungs-Fond «Progress» ganz vorn dabei.
Nachdem erst der einstige Betrieb der Mutter und auch die grösste Brauerei Bulgariens «Plevensko Piwo» in ihren Besitz übergegangen war, rissen sich die geschäftstüchtigen Domuschievs einige der wichtigsten Industriezweige Bulgariens unter den Nagel.
Mittlerweile gehören ihnen und ihrer aktuellen Investitionsgesellschaft «Advance Properties» unter anderem die wichtigsten Arzneimittelfabriken des Balkans, «Hiugopfarma» und «Biowet», grosse Holzverarbeitungsfabriken und die grösste Werft Bulgariens. Fast ein Monopol haben sie in der Herstellung von veterinärmedizinischen Produkten. Das Vermögen von Kiril Domuschiev wird mittlerweile auf weit mehr als eine halbe Milliarde Euro geschätzt, und den grössten Teil davon hat er nicht in seiner Heimatstadt Sofia, sondern im Nordosten Bulgariens, wo auch Razgrad liegt, investiert.
Der Präsident – vom Enthusiasmus angesteckt
Und in der Ludogorie («verrückter Wald»), der Region, in der die 38’000 Einwohnerstadt Razgrad liegt, stiess Domuschiev vor drei Jahren auf einen besonders überzeugungskräftigen Vereinspräsidenten, der in seinem Drittligaclub regelmässig die Hälfte seines eigenen Gehaltes versenkte. «Dieser Mann hatte einen so starken Enthusiasmus für seinen Verein, dass auch ich anfing, Feuer für dieses Projekt zu fangen», hat Domuschiev die Anfänge seines Engagements bei Ludogorets Razgrad beschrieben. «Und obwohl ich seit meiner Kindheit Fan von CSKA Sofia war, gehörte mein Herz nun diesem Aschenputtel aus der Provinz.»
Mittlerweile hat Kiril Domuschiev umgerechnet acht Millionen Euro aus seinem persönlichen Vermögen in den Kleinstadtverein investiert und damit etwas geschaffen, was in Deutschland TSG 1899 Hoffenheim, in Spanien FC Villareal, in Italien Chievo Verona und in England Wigan FC heisst. Doch im Gegensatz zu den anderen «Dorfclubs» mit einem Durchmarsch in die ersten Ligen hat es Domuschiev tatsächlich ganz nach oben geschafft.
Aus der dritten Liga stieg man 2010 in die Zweite auf und von dort schon ein Jahr später in die Erste. Und auch dort wirbeln die «Adler» von Ludogorets die Hierarchie des bulgarischen Fussballs, mit CSKA und Levski Sofia an der Spitze, durcheinander. Den zwei Meistertiteln von 2012 und 2013 soll nun auch die Qualifikation für die Gruppenphase der Champions League folgen.
Der Trainer – ein Namenloser
Dafür hat sich Domuschiev kürzlich nicht nur von seinem einstigen Torgaranten Emil Gargorov (48 Tore in zwei Saisons), sondern auch von Erfolgstrainer Ivailo Petev getrennt. Drei Niederlagen in Folge, im nationalen Supercup gegen Pokalsieger Zagora (1:1, 4:6 n.P.), zum Saisonauftakt gegen Lyubimets (0:1) und der Champions League-Qualifikation bei Sloan Bratislava (1:2) konnten von den einstigen Erfolgen nicht mehr aufgewogen werden.
Bei der Wahl eines Nachfolgers als Cheftrainer demonstrierte Domuschiev einmal mehr sein Faible für unkonventionelle Lösungen. Unter 50 Anwärtern – darunter einigen Kandidaten aus dem Ausland – entschied er sich für einen Namenlosen aus der Provinz. Stoycho Stoev war vor zwölf Jahren U17-Nationaltrainer Bulgariens und sorgte danach nie für grosse Schlagzeilen. Doch sein Konzept von dynamischen Angriffsfussball hat den risikofreudigen Domuschiev überzeugt.
Und mit Stoev, der über seine Wahl nach eigener Aussage selber überrascht war, kam der Erfolg zurück. Mittlerweile ist Ludogoretz wieder nationaler Tabellenführer nach vier Siegen in der Meisterschaft (8:0 Tore), dazu kommen drei Siege in der Champions-League-Ausscheidung. Und das mit etlichen einheimischen, darunter einigen jungen Spielern. Zwar stehen im Kader von Ludogoretz 14 ausländische Spieler, aber bei weitem nicht alle sind erste Wahl.
Das Erbe der goldenen Generation
Vor Torhüter Vladislav Stoyanov steht in der Viererkette neben dem Franzosen Alexandre Barthe, dem Finnen Tero Mäntylä und dem Brasilianer Junior Caisara in Routinier Yordan Minev zwar nur ein Bulgare. Dafür sind in der Offensiv-Abteilung die Einheimischen in Überzahl. Lediglich der wohl dominanteste Akteur von Ludogorets, Marcelinho, bringt ein südamerikanisches Element ins Razgrader Angriffsspiel.
Im Angriff steht Nationalspieler Ivan Stoyanov, der eine Verbindung zur «Goldenen Generation» der Bulgaren herstellt. Sein Onkel ist Yordan Letchkov, der zusammen mit Hristo Stoitchkov und Krassimir Balakov 1994 Titelverteidiger Deutschland im Viertelfinale aus dem WM-Turnier geworfen und damit ein ganzes Land in einen Taumel versetzt hatte.
Im nächsten Jahr ist dieser letzte Höhepunkt des bulgarischen Fussballs zwanzig Jahre her. Für Kiril Domuschiev ist es deshalb an der Zeit, dass sich nun – nach Levski Sofia 2006 – endlich wieder ein bulgarischer Verein für die Gruppenphase der Champions League qualifiziert.
Domuschievs Drohgebärden
Dafür greift der ansonsten meist massvoll und zurückhaltende auftretende Grossunternehmer auch zu gröberem Vokabular. Als in der letzten Saison in der zweiten Qualifikationsrunde für die Champions League gegen Dinamo Zagreb das Aus in der achten Minute der Nachspielzeit kam, schäumte der 44-Jährige: «Sehen Sie etwa nicht, dass wir Bulgaren es nicht verdient haben am Leben zu sein? Warum wundern sich alle, das ist pures Lobbying. Suker hat noch während der Partie mit den Schiedsrichtern im Tunnel gesprochen. Hiermit rufe ich die Uefa auf, uns zu töten.»
Als seinem Verein Ludogorets wegen einem anstehenden Rock-Konzert beinahe der Champion-League-Auftritt im einzigen von der Fifa dafür als tauglich eingestuften Stadion des Landes abgesagt wurde, griff Domuschiev zu ganz grossem Kaliber: Würden seine Bemühungen weiterhin derart boykottiert, drohte er, müsse er sein gesamtes wirtschaftliche Engagement in Bulgarien überdenken: «Dann werde ich mein Geld und Talent in Zukunft vielleicht woanders als hier investieren.»
Zusammenfassung vom Qualifikationsspiel Ludogorets Razgrad gegen Slovan Bratislava (3:0) vom 24. Juli 2013: