Auf der Schleichspur

Mit dem Rückenwind von der White Hart Lane fährt der FC Basel am Sonntag nach St. Gallen. Aber die Gedanken gehören schon dem Rückspiel gegen Tottenham. «Das muss man sich mal vorstellen», sagt FCB-Captain Marco Streller, «wir können die Europa League gewinnen!»

04.04.2013; London; Fussball Europa League - Tottenham Hotspur - FC Basel ; Marco Streller und Yann Sommer (Basel) kommen aufs Feld (Daniela Frutiger/freshfocus) (Bild: Daniela Frutiger/Freshfocus)

Mit dem Rückenwind von der White Hart Lane fährt der FC Basel am Sonntag nach St. Gallen. Aber die Gedanken gehören schon dem Rückspiel gegen Tottenham. «Das muss man sich mal vorstellen», sagt FCB-Captain Marco Streller, «wir können die Europa League gewinnen!»

Das Erlebte wirkt nach beim FC Basel, und Murat Yakin gehen die Grosschancen, die seine Mannschaft in London ausgelassen hat, nicht aus dem Kopf. «Der Eindruck dieses Spiels ist gross, aber auch der Ärger. Stocker und Salah alleine vor der Kiste…», sagt der FCB-Trainer, macht eine Kunstpause und kommt zum Schluss: «Wir hätten das Ergebnis anders gestalten können.»

Sie nehmen also nur ein Unentschieden mit ins Rückspiel, dafür aber die Gewissheit, einen hochdotierten Gegner phasenweise dominiert zu haben, gar die bessere Mannschaft gewesen zu sein, wie selbst Andre Villas-Boas frank und frei einräumte. Der Trainer der Spurs behauptete sogar, Basel sei die «vielleicht beste Mannschaft» gewesen, die er an der White Hart Lane hat spielen sehen, seit er am 3. Juli vergangenen Jahres seinen Job bei den Spurs aufgenommen hat.

«Von Lob kann man sich nichts kaufen»

Das ist ein schönes Kompliment für den FC Basel, womöglich aber auch Teil der Strategie des Portugiesen, den Schweizer Meister nach dessen eindrücklichen Auftritt im Norden Londons in so etwas wie falscher Sicherheit zu wiegen.

Bei Murat Yakin ist er da an der verkehrten Adresse. «Das ist schön, aber von einem Lob kann ich mir nichts kaufen», sagt der FCB-Trainer, «wir brauchen nächsten Donnerstag noch einmal eine starke Leistung, wenn nicht eine noch bessere als im Hinspiel.» Eingedenk der Ungeschlagenheit des Trainers Yakins im St.-Jakob-Park, wo seine Mannschaft seit Amtsübernahme Mitte Oktober in elf Spielen noch nicht einmal ein Gegentor kassiert hat, meint Yakin: «Wollen wir hoffen, dass wir von unserer Heimstärke profitieren und den Sack zumachen können.»

Die Engländer werden ein weiteres Mal staunen

Der Rückendeckung des Publikums in einem mit 36’000 Zuschauern ausverkauften St.-Jakob-Park kann sich die Mannschaft gewiss sein und die Muttenzerkurve wird eine Geräuschkulisse entstehen lassen, worüber die Engländer bei ihrem Schweizer Viertelfinal-Abenteuer ein weiteres Mal staunen werden. Das Joggeli bietet jedenfalls allemal die Ambiance einer White Hart Lane, und die zählt noch zu den besseren neben etlichen stimmungarmen Stadien der Premier League mit ihrem hohen Anteil an Event-Publikum. (cok)

Begeistert von der taktischen Weiterentwicklung seiner Mannschaft in den zurückliegenden knapp sechs Monaten, kommt Yakin ein bisschen ins Schwärmen. Freut sich, wie kleine Justierungen wie etwa die Umpolung von Fabian Frei auf die Secherposition durchschlägt, wie die Mannschaft auf dem Feld Entscheidungen trifft, Tottenham plötzlich hoch angreift, weil Marco Streller die Verunsicherung des Gegners spürt und autonom das Kommando dazu gibt.

Und wen auch immer Yakin aus seinem Reservoir an Spielern schöpft – die Rechnung geht auf. In London warf er Kay Voser mit der Spielpraxis einer U21-Partie gegen YF Juventus Zürich ins Wasser – und dieser Kay Voser besteht die Schwimmübung mit Bravour. Yakins Rotationen entspringen langen Grübeleien und sind – daraus macht der Trainer kein Hehl – gleichzeitig Bauchentscheidungen. In London Mohamed Elneny statt Cabral zu bringen, diese Idee etwa kam ihm am Spieltag beim Mittagessen mit seinem Team.

«Uns kann nichts aus der Ruhe bringen»

«An solchen Spielen wie gegen Tottenham wächst die Mannschaft», sagt Yakin, und dem ebenso cool wie freundlich erscheinenden Trainer huscht immer wieder ein Lächeln übers Gesicht angesichts von so viel Wachstum: «Ich habe 20 Stammspieler.»

Plötzlich ist sie also zum Greifen nah, die Chance, erstmals in der Geschichte des Clubs in einen europäischen Halbfinal einzuziehen. Marco Streller ist nach einer kurzen Nacht im Land-Hotel weit draussen vor der Millionen-Metropole und einem Bier mit den Physiotherapeuten aufgekratzt und noch voller Glückshormone über das, was er gerade erlebt. «Wahnsinn, wie wir jedes Jahr noch einen oben drauf legen können. Uns kann im Moment nichts aus der Ruhe bringen.»

Und der Captain geht noch weiter, denkt schon darüber nach, was kommen könnte. Chelsea, klar, das sei jetzt der Top-Favorit auf den Titelgewinn. Aber Streller malt sich Benfica aus im Halbfinal, oder am besten Fenerbahce, den Club, bei dem einst Murat Yakin spielte. «Die könnten wir schlagen», findet Streller, hört dem Klang seiner Wort nach und sagt dann noch: «Das muss man sich mal vorstellen: Wir können die Europa League gewinnen!»

«Es ist Zeit, das Ziel neu zu definieren»

Das klingt an diesem Freitagmorgen nach einem beeindruckenden Auftritt des FC Basel nicht einmal vermessen oder unbescheiden, grössenwahnsinnig oder fern jeglicher Realität. «Die Europa League gewinnen zu wollen ist sehr hoch gegriffen», entgegnet Yakin seinem Captain, um dann aber selbst festzustellen, dass, wenn man erst einmal unter den letzten Vier wäre, «alles möglich» sei.

Valentin Stocker, einer der Hauptdarsteller in London, hat noch einmal eine andere Perspektive auf die Ausgangslage: Weil sie selbst nicht in der Lage gewesen seien, die Partie an der White Hart Lane zu gewinnen, könnten die Spurs bei Licht betrachtet mit dem 2:2 gut leben: «Eigentlich haben sie sich die Chance fürs Rückspiel bewahrt. Wir können zwar vom Halbfinal träumen – aber dazu braucht es einen perfekten Abend.»

Andererseits ist auch bei Stocker das Selbstvertrauen auf ein Mass angewachsen, dass er meint: «Es ist an der Zeit, unser Ziel neu zu definieren.» Auch wenn er lieber aus der Aussenseiterposition agiert, sieht er schon auch: «Jetzt sind wir plötzlich der Favorit im Rückspiel.»

Und Strellers These vom grossen Coup gefällt Stocker durchaus: «Wenn wir uns durchschleichen können bis in den Final, dann machen wir das. Anders ist das für uns auch gar nicht möglich.» Auch das klingt nicht weltfremd, sondern ehe wie eine unerschrockene Zustandsbeschreibung einer Mannschaft, der mit jedem Erfolg grössere Flügel zu wachsen scheinen.

Auslosung Halbfinals: 12. April in Nyon
Halbfinals: 25. April/2. Mai
Final: 15. Mai in der Amsterdam ArenA
Europa League, Viertelfinals
    4. April 11. April
Tottenham Hotspur FC BASEL 2:2  
Chelsea FC Rubin Kasan 3:1  
Fenerbahçe Istanbul Lazio Rom 2:0  
Benfica Lissabon Newcastle United 3:1  
 

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