Babyface hat seine Unschuld verloren

Der Snooker-Profi Stephen «Babyface» Lee ist wegen Spielmanipulationen für zwölf Jahre gesperrt worden. Der Weltverband würde es gerne als leidigen Einzelfall darstellen, aber so richtig glauben kann das keiner.

Das Babyface wurde zwölf Jahre gesperrt: Der unschuldig klingende Name konnte Stephen Lee von der Strafe auch nicht retten. (Bild: Andrew Matthews)

Der Snooker-Profi Stephen Lee ist wegen Spielmanipulationen für zwölf Jahre gesperrt worden. Der Weltverband würde es gerne als leidigen Einzelfall darstellen, aber so richtig glauben kann das keiner.

Sie nannten ihn «Babyface», solange er mitspielen durfte, aber das ist für Stephen Lee nun passé. Der 38-jährige Snooker-Crack aus der südwestenglischen Grafschaft Wiltshire ist am Mittwoch von allen Turnieren unter dem Schirm des Weltverbands WPBSA ausgeschlossen worden.

Von Oktober 2012, dem Datum seiner vorläufigen Suspendierung, bis Oktober 2024 muss die derzeitige Nr. 29 der Weltrangliste pausieren, wie der vorsitzende Richter Adam Lewis im Namen eines unabhängigen Sportgerichts in Bristol bekannt gab – weil Lee sich von der Unschuld eines Neugeborenen offenbar recht weit entfernt hat. Zahlreiche unstrittige Indizien belegen, dass er im Zentrum des bisher umfangreichsten Manipulations-Skandals in seinem Sport steht.

Spiele und Partien «geschmissen»

Der hoch veranlagte Profi, der es schon mal bis auf Platz 5 des weltweiten Rankings geschafft hat, soll in Absprache mit Wettern zwischen 2008 und 2009 in mindestens sieben Fällen vorsätzlich einzelne Spiele (Frames) oder komplette Partien «geschmissen» haben. Und zwar an vier der grössten und wichtigsten Turniere im Kalender der Prestigeserie «Main Tour», darunter die UK Championships sowie die Weltmeisterschaften in Sheffield. Davon sind Weltverband und Sportgericht gemeinsam überzeugt, nachdem sie im Umfeld von Lee reichlich Evidenz entdeckten.

Sie weist auch nach Überzeugung von Nigel Mawler, dem Leiter der Ermittlungskommission in der WPBSA, auf einen Komplott zwischen dem Profi und mehreren durch die Spielausgänge begünstigten Bekannten hin – darunter ein damaliger Sponsor und ein Manager von Lee.

«Schwerste Fall von Korruption im Snooker»

Vielleicht hätten Lees Komplizen lieber einen dezenteren Weg finden sollen, um ihm seinen Anteil an ihren Wettgewinnen – die Rede ist von insgesamt 100’000 Pfund – zukommen zu lassen. Die 40’000 Pfund, die zwischen Januar 2008 und April 2009 in mehreren Tranchen auf das Konto seiner Frau Laura flossen, waren nun ein gefundenes Fressen für die Ermittler.

«Dies ist der schwerste Fall von Korruption im Snooker, den wir erlebt haben», legte sich der polizeilich geschulte Mawler schon letzte Woche fest, als in Bristol noch kein Urteil, wohl aber die Befunde bekannt gegeben wurden. Gleichzeitig verlangten Vorstandsmitglieder im Vorgriff auf die endgültige Entscheidung ein drastisches Strafmass für den Betrüger, um ein Exempel zu statuieren.

Die zwölfjährige Verbannung vom Tisch kommt für Lee de facto einer lebenslänglichen Strafe gleich: Er wird 50 sein, wenn er sich wieder für die Main Tour der weltbesten Profis bewerben kann – und muss bis dahin auch noch 40’000 Pfund Bussgeld entrichten. Wohl auch deshalb kündigte der vierfache Familienvater an, gegen das knallharte Urteil Einspruch einzulegen.

Starke Botschaft, aber vor Arbeitsgericht wohl anders bewertet

Ein ziviles Arbeitsgericht könnte die prominente Causa in der Tat anders bewerten als die Sportgerichtsbarkeit. Die Offiziellen aber wollen keine unbillige Härte darin erkennen. Es sei «menschlich», jetzt ein gewisses Mass an Mitgefühl für den Bestraften zu empfinden, erklärte Chef-Ermittler Mawler – zumal es für diesen ab sofort «sehr schwer» werde. «Aber wir müssen eine ganz starke Botschaft ausgeben, dass Match-Manipulationen nicht toleriert werden.»

Der so britisch geprägte Snooker-Sport soll eine makellose Weste zeigen, das ist auch der erklärte Wille von Barry Hearn, Präsident des in der WPBSA organisierten Profiverbands World Snooker Limited. Nicht zuletzt weil es auch Wettanbieter sind, die bei den Grossturnieren als zahlkräftige «Presenter» auftreten. Aber wo gewettet wird, wird mitunter auch verschoben – wovon gerade die Fussballer nach etlichen Skandalen zwischen Fernost, Italien, Türkei und Berlin ein Liedchen singen können.

So dauerte es auch nicht lange, bis ausgerechnet der fünffache Weltmeister Ronnie O’Sullivan die Einzelfall-Theorie per Tweet vom Tisch fegte. Die lebende Ikone seines Sports wollte gehört haben, «dass es viel mehr Spieler gibt, die Snooker-Matches schmeissen», wie er twitterte: «Lee ist einfach herausgegriffen worden.»

O’Sullivan krebste umgehend zurück

Umgehend bedrängt von Hearn, Ross und Reiter zu nennen, ruderte «The Rocket» Tage später flugs wieder zurück. Er habe ältere Zeiten und vage Gerüchte gemeint, liess er verbreiten, wisse hier und jetzt somit nichts Genaues – «und jetzt lasst uns Snooker spielen.» Inzwischen aber sind britischen Journalisten weitere Fälle eingefallen, wo die Kugeln seltsam liefen.

2010 etwa war der schottische Weltmeister John Higgins für ein halbes Jahr gesperrt worden, da er ein von Journalisten inszeniertes Angebot, mit ukrainischen Wettbetrügern zu kooperieren, weder eindeutig abgelehnt noch gemeldet hatte. Ähnlich naiv tappte der Australier Quintan Hann 2006 in eine fingierte Falle und wurde für acht Jahre gesperrt. Fünf Jahre Pause erhielt der Südafrikaner Peter Francisco aufgebrummt, nachdem er bei der WM 1995 vorsätzlich verlor.

Alles nur Einzelfälle? Von den 7000 Partien, die Mawler nach eigener Darstellung bisher untersucht hat, habe er nur in zwei Fällen eine Suspendierung verhängen müssen, betonte er in Bristol. Fast zeitgleich meldete sich allerdings mit Willie Thorne ein bis 2002 aktiver Crack aus der Rangliste zu Wort. Ihm seien vor vielen Jahren 20’000 Pfund für «Matchfixing» geboten worden, erklärte er, die er jedoch abgelehnt habe. Was den Verdacht nahe legt, dass Betrug auch im noblen Snooker öfter eingefädelt werden soll, als es seinen Vermarktern und Bewunderern recht sein kann.

Auch das feinste Tuch hat eben Risse, wenn man nur lange und genau genug hinsieht. Darum wären die Offiziellen nach Ansicht vieler Insider gut beraten, das latente Betrugsrisiko dauerhaft und systematisch im Auge zu behalten – als immanenter Aspekt der prekären Koexistenz von Sportereignissen und Wettbüros, die mit Wetten auf ihren Ausgang gerade im weltweiten Netz grandiose Geschäfte machen.

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