Heute Abend um 20:45 Uhr trifft Real Madrid auf den italienischen Meister Juventus Turin. Der Final in Cardiff ist eigentlich ein Heimspiel für den gebürtigen Waliser Gareth Bale. Sein Einsatz für die Königlichen aber ist fraglich.
Neo-viktorianische Einfamilienhäuser, Vogelgezwitscher, eine Mutter und ihre zwei Kinder unterhalten sich über Marienkäfer. Selbst der Polizeiwagen, der gerade durch die Strasse schiesst, hat nur das Blaulicht an, nicht die Sirene. Als wolle er die Vorstadtidylle nicht stören in Whitchurch, England, wo vor einem der einfacheren Häuser in der Velindre Road nur der fesche Sportwagen vermuten lässt, dass hier eine besondere Familie wohnt.
Wobei Frank Bale dieses Etikett ablehnen würde, für sich und seine Frau jedenfalls. «Der Held in dieser Geschichte ist Gareth», sagt er dieser Tage gern, bei seinen Spaziergängen durch das Viertel oder einem Pint im «Plough» in der Pennline Road, gleich gegenüber von der früheren Schule seines Sohns.
Dort hat Gareth schon seine Frau kennengelernt und dort schaut er immer noch mal vorbei, wenn er auf Familienurlaub ist. Die Eltern sind ja nie weggezogen aus ihrem Drei-Schlafzimmer-Haus, sie haben es nicht mal gross renoviert, auch wenn es nicht zu den besseren der Gegend gehört und ihr Gareth doch bei Real Madrid zu den grössten Stars des Weltfussballs.
Ausgerechnet jetzt auf der Kippe
In Whitchurch kann man gut aufwachsen. Aus Whitchurch muss man nicht wegziehen. Whitchurch wird Whitchurch bleiben, auch nach diesem Samstag. Wenngleich es nur vier Meilen sind bis zum Nationalstadion von Cardiff, wo Real heute im Champions-League-Finale auf Juventus Turin trifft. Mit Bale, dem grössten Sohn von Wales, Held des sensationellen EM-Halbfinaleinzugs, Aussenstürmer der Galaktischen.
Die Wucht des Events ist enorm in der Innenstadt, wo der Europapokal erleuchtet über dem Eingang zum Schloss thront und ein gigantischer Bale neben dem Stadion grüsst. Bis zu 170’000 Besucher, 6000 Polizisten. Es ist das grösste Sportereignis in der Geschichte von Wales, und es gibt nur ein Problem: Da gastiert die Welt schon mal in Cardiff, da hat Cardiff einen der besten Fussballer der Welt – und genau jetzt steht er auf der Kippe.
Bale kommt aus einer Verletzungspause, mal wieder die Wade, bereits zum achten Mal in seinen vier Saisons bei Real. Seine eigene Schuld, denn nach einer ersten leichteren Blessur kam er überhastet zurück, weil er unbedingt den Clásico gegen Barcelona spielen wollte. So stellte es nach dem Spiel jedenfalls Trainer Zinédine Zidane dar, der nahelegte, Bale habe sich ihm aufgedrängt. Schon während der ersten Halbzeit musste er dann vom Platz. Fortan ging sein Stammplatz an Spielmacher Isco, wodurch Zidane vom ewig kritisierten 4-3-3 auf ein besser ausbalanciertes 4-4-2 umstellen konnte. Und Real wie auf Knopfdruck seine besten Spiele seit Jahren zeigte.
Fürs erste allerdings ist Bale an diesem Wochenende noch eine Art Reiseführer der königlichen Delegation. Sollte es etwas zu feiern geben in der Nacht zum Sonntag, will er seine Kollegen ins «Elevens» mitnehmen, hat er etwa angekündigt. Wenn Bale will, dann hat eine Bar in Cardiff immer auf. Vor allem wenn sie ihm gehört.
Erst vor ein paar Wochen hat er sie eröffnet, gleich beim Schloss, benannt nach seiner Rückennummer. Draussen ein Türsteher, drinnen abgedunkelt, Mahagoni-Lounge-Style, unzählige Fernseher mit Fussball oder Basketball. Sein Teamkollege Cristiano Ronaldo hat ein eigenes Museum, er halt eine Sportkneipe. Das trifft sie schon ganz gut, die Hierarchien bei Real Madrid wie die Charaktere der beiden.
Wobei auch Bale eine Vitrine aufgebaut hat mit Memorabilien wie seinen Trikots vom EM-Viertelfinale gegen Belgien oder vom Champions-League-Finale letztes Jahr. Die Gänge sind mit Hemden anderer Fussballer gepflastert. Pelé, Maradona und praktisch alle Grössen der Generation vor ihm: Van Basten, der alte Ronaldo, Bergkamp, Pirlo, Gerrard, Thierry Henry. Im Prinzip fehlt nur einer. Sein aktueller Trainer. Zidane.