Mit dem 3:0 im Hinspiel hat sich der FC Barcelona die Grundlage geschaffen für den Finaleinzug in der Champions League, an dem heute höchstens noch in München gezweifelt wird. Luis Enrique hat Barças Spiel eine neue Note verliehen, und eine Schlüsselrolle spielt dabei Ivan Rakitic, der einst von Möhlin und vom FC Basel hinauszog in die Fussballwelt.
Charisma? Die Frage war so unverschämt, dass er lachen musste. Er sei ja sehr erfolgreich, konzedierte ihm eine Journalistin – «aber wo könnte Luis Enrique erst landen, wenn er das Charisma anderer Trainer hätte, die wir alle kennen?»
Die Frage war unverschämt, aber sie war nicht böse gemeint, eher im Gegenteil. Sie wies einfach auf einen Tatbestand hin, der vielleicht allgemein typisch ist für eine Branche, die sich nach Helden, Glitzer und Visionen sehnt – ganz bestimmt aber für das spezielle Biotop des FC Barcelona. Um wirklich alle zu überzeugen, reicht es im Jahr drei PPG – Post-Pep-Guardiola – nicht, wenn einer 28 der letzten 30 Spiele gewinnt, nur noch einen Sieg von der Meisterschaft entfernt ist, im Finale des nationalen Pokals steht und kurz vor dem Final der Champions League. Dafür muss er irgendwie sexier sein.
Messi, Messi, Messi – und Luis Enriques Korsett
Wer Barças Trainer ignoriert, und das sind nicht wenige, wertete das 3:0 im Hinspiel als einen Sieg des Genies Messi gegen eine geniale Taktik Guardiolas. Die Zwischentöne von Luis Enrique verhallten ungehört. Nicht sexy ist zum Beispiel darauf hinzuweisen, dass allen drei Toren offensive Ballgewinne und schnelles Umschalten vorausgingen, eine Kerntugend seiner Elf. Nicht sexy ist, nach dem Ballbesitz in der gegnerischen Hälfte zu fragen, «denn der ist es, der wirklich zählt».
Final: Samstag, 6. Juni, in Berlin | ||
Champions League, Halbfinals | ||
---|---|---|
Hinspiel | Rückspiel | |
Bayern München–FC Barcelona | 0:3 | Di, 20.45 Uhr |
Real Madrid–Juventus Turin | 1:2 | Mi, 20.45 Uhr |
Nicht sexy ist vor allem, dabei die Augenbrauen hoch zu ziehen, mit den Achseln zu zucken, das Kinn vorzuschieben und gönnerhaft zu nicken. Daraus bestehen Gestik und Mimik Luis Enriques gegenüber den Journalisten, von denen er eingestandenermassen nicht viel hält.
Guardiola selbst hatte am Vortag des Rückspiels die Klasse, der Weltöffentlichkeit die Schlüsselleistung seines Nach-Nach-Nachfolgers in Erinnerung zu rufen. Er sagte es nicht so konkret, aber doch deutlich genug für alle, die es verstehen wollen: «Barcelona ist zur besten Kontermannschaft der Welt geworden», so der Bayern-Coach vor dem neuerlichen Wiedersehen mit seinem Ex-Club. «Mit dem Ball sind sie sowieso gut, weil das in ihrer DNA liegt. Aber jetzt haben sie diese Komponente hinzugefügt.»
Die Schlüsselrolle von Ivan Rakitic
Entscheidend für die vielfältigere Spielweise ist eine Umstellung im Mittelfeld, die oft ein bisschen untergeht im globalen Staunen über das 112-Tore-Sturmtrio aus Messi, Neymar und Suárez. Die aber fast revolutionäre Züge hat. Sie betrifft Ivan Rakitic, den Ex-Basler, der im Sommer neu aus Sevilla kam. Mit ihm löste Luis Enrique das Herzstück der Guardiola-Elf auf, das über Jahre eingespielte Trio aus Busquets, Xavi und Iniesta.
Barças «Tiki-Taka» mag seitdem nicht mehr ganz so schulbuchmässig sein. Der omnipräsente und vielseitige Rakitic dynamisiert das Spiel dafür so sehr, wie das bei Barcelona zuletzt wohl der Portugiese Deco tat, eine der Säulen der Champions-League-Siegerelf 2006 von Frank Rijkaard.
Gegen die Bayern verdiente sich Rakitic nach Messi und zusammen mit Dani Alves und Javier Mascherano die Bestnoten. Wie Alves bereitete er eines der Messi-Tore durch einen Ballgewinn samt zügiger vertikaler Weiterverarbeitung vor, in seinem Fall das epochale 2:0 des Argentiniers.
Und mit Mascherano personifiziert der 27-Jährige die taktische Intelligenz der Katalanen, die den Deutschen allenfalls optische Gleichwertigkeit zugestand. Als Rakitic eine Viertelstunde vor Schluss das Pressing am gegnerischen Strafraum wiederaufnahm, gab er das Zeichen zu Barças so energischer Schlussoffensive.
Herr Rakitic und das Gefühl für den Rhythmuswechsel
Ivan Rakitic im Sommer 2006 im Trikot des FC Basel, für den er 34 Ligaspiele machte, ehe er 2007 zu Schalke 04 wechselte.
Die Geschichte des in Möhlin aufgewachsenen, beim FC Basel ausgebildeten und für Kroatien spielenden Rakitic ist auch stellvertretend für den Weg, den die Mannschaft von Luis Enrique in dieser Saison gegangen ist. Nach einem verheissungsvollen Saisonstart schien das Projekt Variabilität in Beliebigkeit zu enden.
Barcelona verlor im Oktober bei Paris St. Germain, wo Rakitic mit dem Niveau der Partie überfordert wirkte; und bei Real Madrid, wo ihn der Trainer sogar auf der Bank liess. In beiden Spielen kassierte Barça die drei Tore, die Bayern heute mindestens braucht.
Das ist seitdem nicht mehr vorgekommen. Die Partituren dieser Elf fügen sich immer harmonischer ineinander, was auch daran liegt, dass Rakitic ein ausgezeichnetes Gefühl für die nötigen Rhythmuswechsel entwickelt hat.
Rakitic ist aus der Gala-Formation nicht mehr wegzudenken; nur in der Liga setzte er zuletzt hin und wieder aus, und sein Trainer sagt: «Er hat sich zu einem Schlüsselspieler entwickelt. In physischer und taktischer Hinsicht.»
» Die Leistungsdaten von Ivan Rakitic
Das Verdienst des Trainers: Sein Team wirkt so fit wie kein anderes
Hinter ihm steht auch die Verteidigung «sensationell», wie Abwehrchef Gerard Piqué nach dem Bayern-Hinspiel anmerkte. Dies gilt unter Luis Enrique sogar bei Standardsituationen, einer klassischen Barça-Schwachstelle. Vor jedem Freistoss oder Eckball schreitet Assistent Juan Carlos Unzué an den Rand der Coachingzone, um Anweisungen zu geben. Alles wirkt geplant, alles durchdacht, alles scheint perfekt.
So wie die physische Verfassung der Elf, die der passionierte Ausdauersportler Enrique besonders intensiv im Auge hatte und mit umstrittenen Rotationen aktiv steuerte. Im Ergebnis ist kein Spieler verletzt und wirkt kein Team in Europa so fit.
Ivan Rakitic (der in der Mitte) und sein bisher grösster Erfolg: Der Sieg mit dem FC Sevilla im Europa-League-Final von 2014. Anschliessend wechselte er zum FC Barcelona. (Bild: Reuters/ALBERT GEA)
Mascherano wies jüngst öffentlich auf diesen Umstand hin, auch um seinem Trainer mal ein bisschen Anerkennung zu verschaffen. Ansonsten verbreiten insbesondere die Sturmstars nämlich gern das Bild, dass sie sich autonom verwalten. So erklärte der im Sommer gekommene Suárez, es sei Messi gewesen, der ihm den Platz in der Sturmmitte zuwies («Der Trainer hat dann gesehen, dass es funktioniert»).
Luis Enrique entgegnete mit typisch robuster Ironie: «Die Spieler entscheiden alles selbst: Kader, Taktik, Rotationen. Wenn sie gewinnen, klar. Wenn wir verlieren, habe ich es entschieden.»
«Ohne Charisma kommt man im Leben nirgendwohin»
Er könnte es sich einfach machen und Geschichten streuen lassen, die diesem Eindruck entgegenwirken. Aber sein Image interessiert Luis Enrique nicht. Die Medien sind auch nicht der Grund, warum er sich bei Barça nicht mehr so glücklich fühlt «wie in Disneyland», wie er trotz sportlicher Krise noch zum Jahreswechsel sagte. Vielmehr gilt sein Verhältnis zur Clubführung als zerrüttet, seit im Tohuwabohu der Januar-Krise sein Förderer gefeuert wurde, Sportdirektor Andoni Zubizarreta.
Der mögliche Tripel-Trainer hat deshalb noch nicht erklärt, ob er seinen bis 2016 laufenden Vertrag zu erfüllen gedenkt. Und so gibt es auf dem Jahrmarkt der Gerüchte auch Stimmen, die in den Nachrichten über Manchester City und Pep Guardiola nur Nebelkerzen sehen. Weil die Engländer es eigentlich auf Luis Enrique abgesehen hätten, der im übrigen findet: «Ohne Charisma kommt man im Leben nirgendwohin.»
Das Wiedersehen in Barcelona: Die Trainer Luis Enrique und Pep Guardiola beim Hinspiel im Camp Nou. (Bild: Keystone/PETER KNEFFEL)