2:1 führt Roger Federer zu Beginn des zweiten Satzes, als er einen Breakball versiebt und daraufhin mit seinem Schläger die Netzkante malträtiert. Und zwei Doppelfehler später drischt er den Ball wütend bis unter die Hallendecke. Es ist der Moment dieses Endspiels der Swiss Indoors, als man das Gefühl bekommt, dass nicht viel fehlt, damit Federer seine Siebensachen zusammenpackt und geht.
Da hat Basel mal einen ganz anderen Roger Federer erlebt. Nicht den souveränen, so leichtfüssigen Federer, dem alles so einfach von der Vor- und Rückhand geht. Da war einer unzufrieden mit seinem Spiel und geladen, weil ihm das zu entgleiten drohte, an dem ihm etwas liegt: der Erfolg beim Heimturnier, vor seinem Basler Publikum, das ihm seit Jahr und Tag zu Füssen liegt.
Es hatte schon mies angefangen mit einem Aufschlagverlust. Und während Juan Martin del Potro sich mit grosser Gelassenheit im Hexenkessel der St. Jakobshalle bewegte, brachte Federer nur 43 Prozent seiner ersten Aufschläge ins Feld. Mit drei fantastischen Vorhand-Crossbällen in Serie heizte der Lokalmatador zwar die Halle auf, gab den ersten Satz Tiebreak nach 65 Minuten allerdings dennoch ab.
So lange hat Federer im Verlauf der Basler Woche und mit Ausnahme des Viertelfinals jeweils für ein komplettes Spiel gebraucht. Aber diesmal steht ihm ein richtiger Gegner gegenüber. Einer, der ihn ständig unter Druck hält und in Stress versetzt. Und der Ärger über sich selbst steigert sich bei Federer zu Beginn des zweiten Satzes noch. Sein Trainer Severin Lüthi sieht aus der ersten Reihe zu und rätselt später: «Das war ein spezieller Match. Ich bin gar nicht mitgekommen.»
Der andere, der jähzornige Federer
Am Samstag, nach einem locker-flockigen 6:1, 6:2 im Halbfinal gegen den Belgier David Goffin, immerhin die Nummer 10 der Weltrangliste, hatte Federer noch geschwärmt von einem perfekten Spiel, von einem jener Tage, «an dem sich die ganze Arbeit auszahlt». Keine 24 Stunden später scheinen dem 36-Jährigen die Felle davonzuschwimmen.
So wie in den Finals der Indoors 2012 und 2013, als Federer dem Hünen aus Argentinien jeweils in drei Sätzen unterlag. Federer, der Ausserirdische dieser Tenniswelt, hat Mühe, sich auf seinen Gegner einzustellen und selbst den Rhythmus zu finden. Vor allem seinen Aufschlag. Aber nicht nur.
Federer schüttelt den Kopf. Federer verwirft die Hände. Federer schlägt beim Seitenwechsel in einem Anflug von Jähzorn mit dem Racket auf seine Tasche ein und wechselt zur Strafe dieses Racket aus. Fassungslos steht er aufgestützt am Netz, als er eingangs des Entscheidungssatzes einen einfachen Volleyfehler macht.
«Man will es speziell gut machen in Basel. Und wenn es nicht funktioniert, dann rege ich mich auf.»
Mehr als zwei Stunden nach dem Matchball, nach dem Ritual des Pizzaimbisses mit den Balljungen- und mädchen und nach dem er viel Hände geschüttelt hat, sitzt er bei der letzten Verpflichtung. Und räumt vor den Medienleuten ein: «Ich war frustriert Mitte des zweiten Satzes. Basel ist emotional, das kostet viel, weil ich es speziell gut machen will. Man versucht, den Schwung zu nutzen, den einem das Publikum gibt. Und wenn das nicht funktioniert, rege ich mich auf.»
Und wie. Federer hat das Gefühl, dass ihm das Match «wie Sand zwischen den Händen zerläuft». Und das am Ende einer «unglaublichen Saison», einer «der besten Saisons aller Zeiten», wie er später sagt.
Federer kann sich aus der heiklen Lage befreien. Mit der Kulisse im Rücken. In dieser Halle wirkte nicht nur das Kraftfeld zweier Weltklassespieler mit aussergewöhnlichen sportlichen Fähigkeiten, sondern auch jene Energie, die 9200 frenetische Zuschauer freisetzen können. Und so bekommt Basel nicht den Meister der Eleganz geboten, sondern den Kämpfer Federer, der in seinem 13. Swiss-Indoors-Final nach zwei Stunden und 31 Minuten Juan Martin Del Potro mit 6:7 (5), 6:4 und 6:3 niederringt und damit seinen achten Sieg in Basel feiert.
«Er hatte alle Chancen», sagt Federer über seinen Finalgegner und über seine eigenen, unfreiwilligen Vorlagen. «Ich bin immer ins Straucheln geraten. Mit 50 Prozent erster Aufschläge bist du am kämpfen.» Im dritten Satz lässt sein sieben Jahre jüngerer Konkurrent nach. Del Potro stecken vier Wochen Turniere am Stück in den Beinen.
«Er war auch nicht frisch wie Rosen», sagt Federer über del Potro und klingt über dieser Erkenntnis erleichtert. «Ich bin froh, dass ich noch einen Weg gefunden habe. Manchmal muss man sich durchbeissen.» Dafür trägt ihn Basel auf Händen, das Publikum bejubelt seinen Roger und kann sich jetzt schon darauf freuen, dass es noch zwei weitere Jahre seine Federer-Festspiele erleben kann.
Der 95. Turniersieg und zwei weitere Jahre Basel
Bis 2019 läuft jedenfalls der Vertrag von Federer mit den Swiss Indoors. Deren Präsident Roger Brennwald, beziehungsweise «Rechteinhaber», wie er auf der Webseite genannt wird, zog wie immer eine euphorische Bilanz seines Turniers. Er nannte es einen «ausserordentlich erfolgreichen Jahrgang», bei dem insgesamt fast 72’000 Zuschauer erstmals seit 1986 wieder erlebten, wie alle vier topgesetzten die Halfinals erreichten.
Mit seinem 95. Turniersieg hat Federer nun Ivan Lendl (94) hinter sich gelassen und nur noch Jimmy Connors (109) vor sich. Ein Rekord, der ihn nur am Rande herausfordert. Er könne jetzt zwanzig kleine Turniere spielen in der Hoffnung, damit die Marke zu übertrumpfen: «Aber das macht ja keinen Sinn.»
Federer überlässt Nadal die Nummer 1: «Er hat es verdient»
Die Jahresenderallye gegen Rafael Nadal lässt Federer aus. Mit den 500 Zählern aus Basel hat der den Rückstand auf den Spanier zwar auf 1500 Punkte verkürzt, aber nachdem Nadal, der Basel kurzfristig abgesagt hatte, für Paris Bercy (von Montag an) gemeldet hat, ist es eine äusserst schwer zu gewinnende Hatz um die Nummer 1.
Federer will auch zum Ende seines phänomenalen Comeback-Jahres keine Fehler machen im pfleglichen Umgang mit Körper und Geist. Er wäre schon froh, von seinem Betreuerstab drei freie Tage zu bekommen, will sich frühzeitig nach London begeben, wo vom 12. bis 19. November die ATP-Finals ausgespielt werden und zuvor noch ein Charity-Match für seinen Konkurrenten Andy Murray bestreiten. Die Nummer 1 überlässt er Nadal, und Roger Federer findet: «Rafa hat es verdient.»