Die Anhänger im Estádio da Luz staunten. Ganz Portugal staunte. Da hatte Benfica einmal mehr die Liga gewonnen, doch aus dem Kabinengang kam kein Kuchen und kein Champagner, sondern eine alte Vespa. Jahrgang 1967, wie man später erfuhr, und lackiert mit einer 36, der Anzahl von Benficas Meistertiteln.
Auf ihr sass Linksverteidiger und Motoliebhaber Eliseu, der ein paar hübsche Stunts vor der Kurve vorführte. Ad hoc avancierte die Vintage-Maschine so zum Kultobjekt. Ehrensache, dass Eliseu auch bei der Strassenmeisterfeier an der Praça Marquês do Pombal auf ihr einfuhr. Und beim Empfang im Lissaboner Rathaus überreichte ihm der Bürgermeister, natürlich, eine Miniatur-Vespa.
Ein Verein der Superlative
Der FC Basel, so viel ist klar, trifft in der Champions League am 27. September und 5. Dezember auf einen besonderen Klub: Sport Lisboa e Benfica, wie der Klub mit vollem Namen heisst, gewann 1961 mit Eusébio den Europapokal der Landesmeister. Lange war der Klub mit bisweilen rund 250’000 Angehörigen der mitgliederstärkste Sportverein der Welt und spielte im alten da Luz vor bis zu 135’000 Zuschauern, so vielen, wie in ganz Europa nirgends.
Kein anderer Klub hat so viele Landsleute auf seiner Seite, nämlich 47 Prozent. Wenn vor dem Anpfiff der Adler, Benficas Wappentier, zum Sinkflug ansetzt und die Vereinshymne verkündet, «in unserem Portugal keinen Rivalen zu finden», dann wird im «Stadion des Lichts» eine Religion zelebriert.
Den Moment, als Eliseu seine Runden drehte, erlebte dieser stolze Verein als seine eigene Vergöttlichung: Erstmals in 113 Jahren Geschichte wurde eine vierte Meisterschaft in Folge gewonnen. «Dieser Klub wurde gross geboren und bestätigt sich als immer grösser», dichtete Klubpräsident Luís Filipe Vieira, derweil dem feinsinnigen Rui Costa, Benficas letztem echten Weltstar und heutigen Sportdirektor, vor Stolz fast die Stimme stockte.
Nun aber steht der Roller im Vereinsmuseum, und eine neue Saison hat begonnen – unter den alten Voraussetzungen: Dreikampf mit dem FC Porto und Sporting auf nationaler Ebene, Hoffnung auf ein würdevolles Abschneiden in der Champions League, also mindestens das Überstehen der Gruppenphase gegen Basel, ZSKA Moskau und Manchester United. Sowie generell die Notwendigkeit, sich erst mal wieder zu finden.
Riesige Einnahmen und grosse Schulden
Wie jedes Jahr hat Benfica auch diesen Sommer einige seiner besten Spieler verloren: Torwart Ederson (Manchester City), Innenverteidiger Lindelöf (Manchester United) und Rechtsverteidiger Semedo (FC Barcelona). Und kurz bevor das internationale Transferfenster Ende August schloss, wechselte Stürmer Kostas Mitroglou für 15 Millionen Euro nach Marseille.
Kein anderer Klub der Welt hat über die letzte Dekade so viel Überschuss mit Spielerverkäufen erwirtschaftet (379 Millionen Euro), kein anderer für so viel Geld Spieler verkauft (706 Millionen).
Damit hat Benfica selber den klassischen Weiterbildungsklub aus Porto abgehängt. Und mit einer Nachwuchsoffensive hat Benfica den traditionellen Ausbildungsklub Sporting bei der Jugendarbeit eingeholt. Für Portugals Kader bei der U20-WM im Sommer stellte Benfica acht Spieler gegenüber fünf von Sporting. Und in vier Ausgaben der Youth League erreichte es zweimal das Endspiel.
Die Investitionen in das bewunderte Leistungszentrum erklären allerdings nur zum Teil, warum Benfica trotz seines exzellenten Transfersaldos laut einer Uefa-Studie mit 336 Millionen Euro Schulden der europäische Klub mit den zweitmeisten Verbindlichkeiten ist (hinter Gruppengegner United mit 536 Millionen). Eine Rolle spielt auch, dass die Ablösesummen nicht immer voll auf dem Vereinskonto landeten, weil in Portugal oft dritte Parteien einen Teil der Transferrechte halten.
Ein Schweizer schlägt ein
Fest steht jedenfalls, dass es um die Kassenlage nicht allzu gut bestellt ist. Von den über 100 Millionen Euro Einnahmen allein für Ederson, Lindelöf und Semedo wurden erst 4,6 Millionen Euro reinvestiert. Die Zugänge sind junge Talente oder Schnäppchen wie der ablösefreie Haris Seferovic, der nicht nur in den letzten beiden Spielen mit der Schweizer Nationalmannschaft erfolgreich war, sondern sich auch im Verein gut eingefügt hat: Hätte er auch im fünften Spiel nach seiner Ankunft in Lissabon getroffen, hätte er gar den Klubrekord Eusébios eingestellt.
Den Hattrick im Visier
Während in spontanen Zeitungsumfragen 70 Prozent der Benfica-Fans weitere Transferaktivitäten forderten, werden bald zumindest schon mal die verletzten Alejandro Grimaldo (Aussenverteidiger), Ljubomir Fejsa (defensives Mittelfeld) und Eduardo Salvio (offensives Mittelfeld) zurückkehren. Insbesondere der argentinische Rechtsaussen Salvio ist wichtig, denn im 4-4-2-System von Trainer Rui Vitória mit zwei klassischen Spitzen kommen den Flügelangreifern die entscheidenden Kreativfunktionen zu.
Das Mittelfeld hat durch die Abgänge von Renato Sanches und Nico Gaitán im Sommer 2016 gelitten wie kein anderer Mannschaftssteil. Den einstigen Aussenspieler Pizzi hat Rui Vitória daher schon vorige Saison notgedrungen zum zentralen Mann umgebaut, durchaus mit Erfolg.
Verstärkung holte sich Benfica auf Leihbasis: Stürmer Gabriel «Gabigol» Barbosa von Inter Mailand und Rechtsverteidiger Douglas, der sich in Barcelona nicht durchsetzen konnte.
Und wer weiss: Vielleicht reift bis in ein paar Jahren ein Talent mit hohem Glamour-Faktor heran. Madonnas elfjähriger Adoptivsohn David Banda ist jüngst in die Jugendakademie von Benfica eingetreten. Die Pop-Diva bezog darum unlängst ein Haus in Lissabon und inszeniert sich auf Instagramm bereits als Fan.
A @Madonna não se farta do Manto Sagrado! #BenficaPeloMundopic.twitter.com/dVptyzRdQf
— SL Benfica (@SLBenfica) 3. Juni 2017
Versierter Interpret der Realität
Der zuvor ausserhalb Portugals wenig bekannte Trainer Rui Vitória hat sich in seinen zwei Jahren als versierter Interpret der Realitäten Benficas erwiesen. Er beschwert sich nicht über die Spielerverkäufe, findet vereinsintern schnell Ersatz und auch in der Champions League meist den richtigen Matchplan, wo Benfica in den letzten Jahren das Viertel- und Achtelfinale erreichte.
Ein erneutes Überstehen der Gruppenphase würde den ersten Hattrick dieser Art seit Einführung des aktuellen Europacup-Formats bedeuten. Auch bei einer so grossen Geschichte und trotz einer nicht ganz so grossen Gegenwart gibt es eben immer noch Herausforderungen.