Die Generation 1987, U17-Europameister 2004, ist Teil der Equipe Tricolore, die sich nach dem peinlichen Auftritt an der WM vor zwei Jahren erneuert, aber immer noch als disparates Team präsentiert. Nun fordert Frankreich im EM-Viertelfinal Spanien heraus.
So kämpferisch wie er vor dem grossen Duell mit dem Welt- und Europameister redet, so wild entschlossen, so angriffslustig hat sich Karim Benzema an seinem eigentlichen Arbeitsplatz bei diesem Turnier noch nicht gezeigt. Aber jetzt, da es für Frankreich bei der Europameisterschaft im Viertelfinale gegen Spanien geht, setzt der 24 Jahre alte Stürmer ein rhetorisches Ausrufezeichen. «Wir können für eine Überraschung sorgen. Spanien ist nicht unschlagbar. Das wird ein Krieg, wir wollen ihn gewinnen.» Allons, enfants de la Patrie!»
Wenn das so einfach wäre an diesem Samstagabend in der Donbass-Arena von Donezk – vor allem nach diesem Vorspiel, das, so Benzemas Mannschaftskamerad Florent Malouda, «die alten Dämonen wieder geweckt hat». Statt leise und ein wenig geknickt auf die unter ziemlich peinlichen Umständen dahergekommene 0:2-Niederlage gegen Schweden im letzten EM-Gruppenspiel zu reagieren, krachte es in der Kabine wie vor zwei Jahren in Knysna, wo sich die Franzosen bei der Weltmeisterschaft in Südafrika in ihrem Camp schwer danebenbenahmen und ihren damaligen Trainer Raymond Domenech wegzumobben versucht hatten.
Zerbrechliche Balance
Es war eine Schande für den französischen Fussball, wie jene Equipe Tricolore ohne Zusammenhalt und ohne Format die Spiele verlor und ihren Anstand dazu. Was diesmal in Kiew geschah, war dagegen nur ein Wetterleuchten, illustrierte aber, was Malouda, 2010 in Knysna dabei, so beschrieb: «Die Balance ist zerbrechlich.»
Dass ausgerechnet Spieler, die das französische Fiasko am Kap der guten Hoffnung nicht erlebt haben, den Zoff nach einem 0:2 und damit dem Ende einer Serie von 23 Spielen ohne Niederlage heraufbeschworen, war eine besondere Pointe der heissen Auseinandersetzung, ausgelöst von Hatem Ben Arfa, der sich nach 59 Minuten zu Unrecht ausgewechselt glaubte und danach seinen Trainer Laurent Blanc anpöbelte.
Die U17-Europameister von 2004
Der leicht reizbare Ben Arfa gehört wie der leise Benzema, der ebenfalls schnell beleidigte und in den Kabinenstreit involvierte Samir Nasri, der reisserische Flügelstürmer Jérémy Ménez und der brave defensive Mittelfeldmann Blaise Matuidi zur «Generation 87». So wird das im Jahr 1987 geborene Spieler-Quintett genannt, das 2004 bei der «U17»-Europameisterschaft im eigenen Land durch ein 2:1 über Spanien (mit Cesc Fabregas und Gerard Piqué) den Titel eroberte.
«So wohl wie damals habe ich mich noch nie auf dem Fussballplatz gefühlt», schwärmt Nasri noch heute von den tollen Tagen vor acht Jahren, «wir haben uns mit geschlossenen Augen gesucht und gefunden.»
Seit Laurent Blanc, mit den «grossen» Franzosen 1998 Weltmeister und 2000 Europameister, die Nachfolge des glücklosen Kauzes Domenech antrat, setzt er auch auf die «Generation 87», die aber in der Ukraine noch wie eine ziemlich disparate Gruppe voller Eigeninteressen wirkt. Ben Arfa ist ein Individualist und Einzelgänger, Ménez ein Profi, der kaum einmal lächelt und wenig redet, Matuidi ein Mitläufer, Nasri ein Spieler, dessen Klasse am Ball noch nicht mit seinem Niveau als Persönlichkeit korrespondiert.
Benzemas Reifeprozess
Am weitesten in seinem Reifeprozess ist aus diesem Fünferbund der Frühbegabten noch Benzema, dessen fussballerische und Lebensschulung auch seine beiden prägenden Trainer übernahmen: José Mourinho («er ist wie ein Vater zu mir»), der Starcoach von Spaniens Meister Real Madrid, und Blanc. Der Sélectionneur attestiert seinem Musterschüler, der für Real in der abgelaufenen Saison 21 Tore schoss, dass er sich «enorm weiterentwickelt» habe. «Karim ist viel athletischer geworden, früher neigte er zu einer unprofessionellen Lebensweise ausserhalb des Platzes.»
Die hat ihm Mourinho ausgetrieben, der den seit 2009 an Real gebundenen Sohn einer algerischen Arbeiterfamilie dazu brachte, in einem italienischen Fitnesscamp acht Kilo abzuspecken. Seitdem ist Benzema, der sich zuvor kalorienreich ernährte, auf den Geschmack gekommen, dass auch Fisch, Obst und Gemüse munden können.
In Donezk, wo die Franzosen auf dem Trainingsgelände des Landesmeisters Schachtar logieren, läuft Benzema trotzdem nicht überglücklich herum. Noch fehlt ihm das, wonach er immer wieder trachtet: ein Tor. Zwei Torvorlagen, die zum 2:0-Erfolg über die Ukraine beitrugen, waren alles, was die Statistiker ihm schwarz auf weiss bisher zubilligten. Andererseits ist dieser Karim Benzema ein Offensivspieler, der gern auf die Flügel ausweicht, der eine so gute Ball- und Passtechnik hat, dass er auch guten Gewissens anderen Torschützen Platz machen kann. Doch um in seinem Kernjob erfolgreich zu sein, fehlt das Entscheidende.
Warum nicht Weltfussballer?
Dabei beansprucht er schon länger allerhöchste Ehren. «Ich bin», sagt Benzema, «nicht so weit weg von einem Cristiano Ronaldo oder Lionel Messi. Warum sollte ich nicht Weltfussballer des Jahres werden?» Er wird darauf wohl noch etwas warten müssen.
Immerhin ist dieser leise, sensible Spieler, seit er mit 16 in die Profiabteilung von Olympique Lyon aufgenommen wurde, inzwischen erwachsen geworden. Damals lachten die Kollegen noch über seine holprigen Worte zum Einstand, die Benzema mit der Bemerkung konterte: «Lacht nicht, ich bin hier, um Euren Platz einzunehmen.»
Karim Benzema, Blancs Stürmer Nummer eins, hat für Frankreich erst 15 Mal in 48 Einsätzen getroffen. Keine furchterregende Quote für einen Mittelstürmer der Weltklasse. Gegen die vertrauten Kollegen aus dem Klub und der Primera División will der Vierundzwanzigjährige nachlegen. Schliesslich sagt er voller Hoffnung: «Die Generation 87 kann etwas Schönes erreichen.» Jetzt oder vielleicht doch erst etwas später.