Ein kleines Inselvolk aus dem nördlichen Atlantik erstaunt bei der Euro die Fussball-Welt. Mittendrin ist Birkir Bjarnason vom FC Basel, der von der grossartigen Mentalität seiner Nationalmannschaft schwärmt und vor dem Achtelfinal gegen England sagt: «Wir sind eines der am besten organisierten Teams der Welt.»
Die Begeisterung für das isländische Fussball-Wunder kennt kaum mehr Schranken und macht auch vor Institutionen wie dem Nationalfeiertag nicht halt. Nachdem 20’000 Fans im Stade de France in Ekstase versetzt worden waren mit dem 2:1-Sieg gegen Österreich und dem Erreichen der Achtelfinals, musste Heimir Hallgrimsson die Frage beantworten, ob man statt des 17. Juni, an dem Island jedes Jahr die Republikgründung feiert, nun nicht den 22. Juni zum Gedenktag machen sollte.
Hallgrimsson (49), der die Nationalmannschaft zusammen mit dem schwedischen Trainerfuchs Lars Lagerbäck (67) zu diesem Höhenflug geführt hat, stutzte kurz, grinste und fand das natürlich eine tolle Idee. Jetzt kommt jedoch erst noch der Achtelfinal gegen England, und vielleicht taugt dann dieser 27. Juni als neue Alternative.
Wenn eine Insel in Ekstase gerät – isländischer TV-Kommentator flippt beim Siegtreffer aus (Achtung: Hörsturzgefahr):
Die Isländer gefallen sich in der Rolle des Underdogs, und sie zelebrieren ihren ungeahnten Erfolg mit einer gesunden Mischung: ohne Aufschneiderei, mit festem Glauben an die eigenen Fähigkeiten und mit einem Augenzwinkern. «Unser Spiel ist harte Arbeit, Konzentration, Disziplin und Kampfgeist, und dabei bewahren wir ein Lächeln auf dem Gesicht», sagt Hallgrimsson.
Der machte auch kein Hehl daraus, dass sie am Mittwoch von Marcel Kollers Taktik für die Österreicher (Dreierabwehr, Janko und Harnik auf der Bank) anfänglich überrascht worden seien. «Und um ehrlich zu sein, haben wir Glück gehabt, als Österreich alles für ein zweites Tor getan hat. Es war wie eine Achterbahnfahrt.»
Die Isländer: Verrückt nach englischem Fussball – und nun geht es gegen England
Die wilde Fahrt durchs Turnier geht am kommenden Montag (21 Uhr) weiter. In Nizza tritt ihnen England entgegen, und das ist so ziemlich das Beste, was den Isländern aus ihrer Sicht hätte passieren können. «Wir Isländer sind verrückt nach englischem Fussball», sagt Hallgrimsson. Die Premier League ist angesichts des überschaubaren Spektakels des heimischen Insel-Fussballs das naheliegendste Vergnügen, «und wir werden nicht gross analysieren müssen», so der Trainer, «wir wissen alles über sie.»
Der schalkhafte Umgang mit ihrem grossen Wurf spiegelt sich auch in den Prognosen für den Achtelfinal: «Island kann immer noch gegen England verlieren», sagt Hallgrimsson, was sein mit vielen Wassern gewaschener Kollege Lagerbäck aber für fast unmöglich hält: «Mit Schweden habe ich, wenn ich mich richtig erinnere, nie gegen die Engländer verloren.»
Bjarnason: «Wir sind eines der am besten organisierten Teams der Welt»
Nach dem Sieg am Mittwoch in St-Denis hat Birkir Bjarnason Auskunft über sein Seelenleben und das seiner Mannschaft gegeben. Die Aufzeichnung aus der Mixed Zone im Stade de France:
Birkir Bjarnason, nach dem ersten EM-Tor, das Sie für Ihr Land erzielt haben, hat die Nationalmannschaft nun auch noch den ersten Sieg an einer Endrunde gefeiert.
Wir haben ein grossartiges Spiel gezeigt und vor allem in der ersten Halbzeit bewiesen, dass wir Fussball spielen können. Die ersten 30 Minuten waren exzellent, wir haben den Ball gut gehalten und das Tor gemacht. Die zweite Halbzeit war schwierig. Wir wussten, das wir ein Resultat haben, mit dem wir durch sind, und so haben wir nur noch verteidigt.
Am Ende schienen die Beine schwer zu werden in der schwülen Hitze des Abends.
Es war wirklich warm. So anstrengend war es in den Spielen zuvor nicht. Deshalb war es für viele von uns ziemlich hart. Wir sind 90 Minuten gerannt. Also: Kompliment an die Jungs.
Die Nationalmannschaft hat in Island eine riesige Euphorie ausgelöst. Spüren Sie die Unterstützung der Fans?
Natürlich, schon beim Warmmachen auf dem Platz. Es ist fantastisch. Und dann singen sie das ganze Spiel, diese Kraft kannst du spüren. Und das gibt uns viel. Also ich habe die isländischen Fans niemals zuvor so erlebt. Es ist wirklich aufregend.
Haben Sie schon realisiert, was Sie und die Mannschaft für den isländischen Fussball und vielleicht für das ganze Land erreicht haben?
Das war immer unser Ziel. Und wir haben gewusst, dass wir dazu in der Lage sind. Wir haben von uns erwartet, dass wir die Vorrunde überstehen, weil wir eine gute Mannschaft sind. Und jetzt, wo wir das erreicht haben, ist es grossartig.
Können Sie denn das Geheimnis dieses Erfolges erklären? Wenn es denn überhaupt eines gibt.
Nein, das gibt es nicht. Ein Punkt ist, dass wir eine grossartige Mentalität besitzen. Ich glaube, dass wir eines der am besten organisierten Teams der Welt sind. Es ist schwierig, uns zu überrennen, weil wir gut verteidigen. Sind wir mal ehrlich: Die einzige Idee der Österreicher war der lange Ball in unseren Strafraum. Und natürlich ist es wunderbar, am Ende auch noch zu gewinnen.
Die langen Bälle kamen in der zweiten Halbzeit auf Ihren eingewechselten Clubkollegen Marc Janko.
Er war gut, und sie haben ihn gut eingesetzt. Aber zu unserem Glück haben wir gemeinsam gut dagegen gearbeitet. Es war ein grosser Kampf in der zweiten Halbzeit.
Sie waren ihm bei den Standardsituationen zugeordnet. Keine einfache Aufgabe.
Na, Marc ist 1,96 Meter gross. Ist doch klar, dass das nicht einfach ist.
Aber Sie kennen ihn gut, Sie wissen, wie man gegen ihn verteidigen muss.
Ich habe versucht, ihn ein bisschen zu irritieren, damit er nicht zum Abschluss kommt. Und ich glaube, ich habe das gut hinbekommen.
Sie haben mit Janko nach Spielschluss als Erstes das Trikot getauscht. Und ihn dabei getröstet?
Ja, klar, und natürlich ist er sehr enttäuscht. Er war gut, aber es hat nicht gereicht, und ich bin natürlich froh, dass wir durch sind.
Was ist jetzt gegen England möglich?
Wir haben gegen grosse Nationen gewonnen. Warum soll uns das nicht noch einmal gelingen? Wir haben uns in den ersten zwei Spielen ein bisschen auf Abwegen befunden, was unseren Stil anbelangt. Wir waren fast zu defensiv. Vielleicht, weil sich ein paar Spieler ein bisschen gefürchtet haben. Immerhin ist es die erste EM-Endrunde für uns. Aber ich hoffe, dass wir so weitermachen können wie in den besten Phasen gegen Österreich.
Sie glauben also, dass Island auch England ausschalten kann?
Wir haben zweimal gegen die Niederlande gewonnen, gegen die Türkei, gegen Tschechien. Und sind wir doch einmal ehrlich: Grossartig hat England bisher bei diesem Turnier noch nicht gespielt. Natürlich können wir sie überraschen.
Was ist noch möglich für Island?
Jedes Spiel ist etwas Grosses für uns. Und immerhin sind wir immer noch ungeschlagen – als einzige Mannschaft, die bisher an Europameisterschaften teilgenommen hat.
Ihr Trainer wurde gefragt, ob man das Datum des Nationalfeiertags vom 17. Juni auf den 22. Juni legen sollte.
Na, ich weiss gar nicht, was ich dazu sagen soll. Es ist auf jeden Fall ein stolzer Moment für die Menschen auf Island.
Man hat Ihnen angemerkt, wie Sie nach dem Abpfiff jeden Moment genossen haben. Nachdem die Mannschaft in der Kurve mit den Fans gefeiert hat, sind Sie noch einmal über den ganzen Platz zu den Tribünen gelaufen. Von wem haben Sie sich dort herzen lassen?
Das war meine Familie. Ich habe Ausschau nach ihr gehalten und sie dann entdeckt. Es war toll, diesen Moment mit ihnen zu erleben.
Werden Sie nach der Euro nach Basel zurückkehren?
Was meinen Sie damit? Ich habe zwei weitere Jahre Vertrag beim FC Basel.
Also keine Neuigkeiten?
Nein.
Cristiano Ronaldo hat Island ja nach dem 1:1 von Portugal eine schlechte Mentalität für die defensive Ausrichtung vorgeworfen. Möchten Sie etwas dazu sagen, dass Island die Gruppe vor den Portugiesen beendet hat?
Nein, dazu habe ich nichts zu sagen.