Die Mitglieder des von sportlichen Krisen geschüttelten VfB Stuttgart verweigern Vorstand und Aufsichtsrat die Entlastung. Der Bundesligist mit seinem 106-Millionen-Euro-Etat erwirtschaftete 2014 zwar einen Gewinn, seine Zukunft in der ersten Klasse ist aber ebenso offen wie eine Zustimmung für die in die Wege geleitete Ausgliederung als Kapitalgesellschaft.
Am Ende eines über fünf Stunden langen Sonntagnachmittags im Kreis der engsten Vereinsfamilie verabschiedet sich Bernd Wahler, der Präsident des VfB Stuttgart, mit einem Seufzer: «Manchmal wäre ein bisschen mehr Kontinuität und Stabilität hilfreich. Aber das kann man nicht einfordern.»
Schon gar nicht, wenn der Herzensklub, dem der frühere Adidas-Manager vorsteht, wieder einmal Letzter der Bundesliga-Tabelle ist und nun schon im dritten Krisenjahr nacheinander den Anschluss an sichere Mittelfeld-Gefilde zu verpassen droht. Kein Wunder also, dass die Hauptversammlung des rund 45’000 Mitglieder zählenden Traditionsvereins für Wahler, seine Vorstandskollegen und den Aufsichtsrat des fünfmaligen deutschen Meisters nicht zum reinsten Vergnügen wurde.
Vorstand und Aufsichtsrat fallen druch
Die Mehrheit der Stimmberechtigten unter den 1501 anwesenden Mitgliedern (51,4 Prozent) in der Porsche-Arena verweigerte dem Vorstand für das Geschäftsjahr 2014 die Entlastung. Von den für diesen Zeitraum Verantwortlichen ist nur noch Wahler in Amt und Würden, während sich Finanzvorstand Ulrich Ruf verabschiedet hat und der bei den Fans nicht mehr gelittene Sportvorstand Fredi Bobic gehen musste.
Wahler sprach von einem «Denkzettel, den wir sehr ernst nehmen». Verständlicherweise, denn mögen aus einer fehlenden Entlastung auch keine weiteren personellen Konsequenzen erwachsen, so steht doch ein grosses Zukunftsprojekt des VfB auf der Kippe: die geplante Ausgliederung der Profiabteilung in eine nichtbörslich notierte Aktiengesellschaft.
«Furchtlos und treu» – so lautet ein Werbeslogan des schon wieder am Tabellenende der Bundesliga serbelnde VfB Stuttgart mit seinem Präsidenten Bernd Wahler. (Bild: Imago)
Um den Tag einer weiteren Niederlage zumindest für die Kluboberen abzurunden, straften die Mitglieder auch noch den Aufsichtsrat der Stuttgarter ab, dessen Arbeit ebensowenig entlastet wurde. Die Quote von 71,3 Prozent an Nein-Stimmen war auch gleichzusetzen mit einem Misstrauensvotum für den mit den meisten Pfiffen bedachten Aufsichtsratsvorsitzenden Joachim Schmidt.
Der Etat für die Profis beträgt 42 Millionen Euro
Schmidt kommt dem VfB-Gefolge aus der Cannstatter Kurve, wo während den Heimspielen die Hardcorefans und Ultras ihren Stammplatz haben, reichlich dünkelhaft vor. Wahler dagegen und seine jetzigen Vorstandskollegen Robin Dutt (Sport), Jochen Röttgermann (Marketing) und Stefan Heim (Finanzen) umwarben die traditionell kritische Basis mit einer Charme-Offensive, mit der sie am Sonntag indes noch nicht punkten konnten.
Dass der Klub erstmals wieder seit 2011 einen Gewinn (897’842 Euro) bei einem Gesamtumsatz von 106,6 Millionen Euro erwirtschaftete, wurde wohlwollend zur Kenntnis genommen. Beifall rief Heims Ankündigung hervor, den Etat für die Lizenzspieler, der 2014 mit 42,1 Millionen Euro so niedrig ist wie seit 2006 (35,5 Millionen) nicht mehr, zukünftig wieder zu steigern: auf zunächst 44,5 Millionen Euro für das laufende Geschäftsjahr 2015.
Kapitalgesellschaft soll 80 Millionen bringen
Es geht um die Wettbewerbsfähigkeit eines Vereins, der jahrelang zu den ersten Bundesliga-Adressen gehörte und inzwischen der Zweitklassigkeit nahe gerückt ist. Mit einer Ausgliederung der Profis in eine Kapitalgesellschaft liesse sich mehr Geld von strategischen Investoren gewinnen. Rund 80 Millionen Euro erhoffen sich die Verantwortlichen durch den Verkauf von Anteilen.
Geld, das in die Stärkung der derzeit porösen sportlichen Qualität fliessen soll. Wahler und seine Mitstreiter werden sich dafür einer Reihe von Regionalversammlungen stellen, ehe das vom Marketingdirektor Rainer Mutschler geleitete Projekt bei der nächsten VfB-Mitgliederversammlung am 26. Juni 2016 zur Abstimmung steht.
Als der Oberschwabe das Procedere des Stuttgarter Weges in die Zukunft präsentierte, war ein Grossteil der Neinsager schon gegangen. Ihre Stimmen für die nur mit einer Dreiviertelmehrheit erreichbare Umwandlung zu gewinnen, dürfte nach den Resultaten vom Sonntag schwer fallen. Ihnen rief Wahler enttäuscht hinterher: «Sich negativ über alles Mögliche zu äussern, ist keine Lösung.»
Trainer bekommt sein Fett ab
Aber ein Problem, das Wahler, Mutschler und alle, die dem VfB einen neuen Weg in die Zukunft ebnen wollen, bewältigen müssen. Und das inmitten der aktuell schon grossen Nöte. So bekam auch Cheftrainer Alexander Zorniger, der den Stuttgartern einen besonders forschen und risikoreichen Spielstil verordnet hat, ob seiner zuletzt harschen öffentlichen Äusserungen über einige Spieler aus seinem Kader sein Sonntagsfett ab.
Präsident Wahler («er hat ein paar Mal überzogen, das haben wir intern besprochen») versuchte, den Unmut zu dämpfen. Sportchef Dutt bekannte sich dagegen ohne Wenn und Aber zu dem streitbaren Mutlanger: «Wir stehen total hinter ihm und hinter unserem Weg.» Er nahm lieber die Mannschaft in die Pflicht, als er donnernden Applaus für diese Bemerkung erntete: «Sie muss nicht nur dann Höchstleistungen bringen, wenn ihr das Wasser bis hier (Dutt deutete dabei auf seinen Hals) steht, sondern in jedem Spiel».
Verlieren die Stuttgarter nach nur einem Sieg in den ersten acht Saisonbegegnungen auch ihr nächstes Heimspiel gegen den starken Aufsteiger FC Ingolstadt, wird die Geduld auf den Rängen mit dem mühsamen Aufbauwerk des Alexander Zorniger mutmasslich erschöpft sein. Unter diesen Umständen versteht es sich, dass auch die VfB-Granden dem kommenden Sonntag fast noch mehr entgegenzittern wie dem Tag der im Ton moderaten, im Ergebnis aber niederschmetternden Abrechnung am zurückliegenden Sonntag in der Porsche-Arena.
Die Bundesliga-Tabelle: