D’ Buaba mit der goldiga Sunna

Wie ein ehemaliger Eishockey-Profi die legendäre Zeit des EHC Arosa erlebte. Und wie er als Filmer die Legende zu neuem Leben erweckte.

Goldene Zeiten: Die Spieler des EHC Arosa feiern nach dem 7:2-Auswärtssieg am 24. Februar 1982 beim Erzrivalen HC Davos den soeben gewonnenen Meistertitel. (Bild: Keystone)

Wie ein ehemaliger Eishockey-Profi die legendäre Zeit des EHC Arosa erlebte. Und wie er als Filmer die Legende zu neuem Leben erweckte.

Wenn ich mich recht erinnere, spielten wir als Junioren mit dem Eishockeyclub Chur 1977 zum ersten Mal in Arosa, und zwar noch auf einer offenen Eisbahn. Nach unserer Ankunft mit der Rhätischen Bahn bekamen wir vom Pöstler einen alten Paketanhänger-Wagen, um unsere schweren Eishockeytaschen die gut 500 Meter zum Stadion zu befördern. Wir schoben zehn Minuten, hielten den ganzen Verkehr auf und waren schon verschwitzt, als wir endlich auf dem heiligen Gletscher des EHC Arosa die Schlittschuhe anziehen durften.

In Arosa brachte das niemand aus der Fassung. Praktisch jeder Einwohner im Dorf war mit dem Eishockey-Virus infiziert. Weekend für Weekend sangen Tausende von Fans in Gelb-Blau «Arosa isch besser». Eine grosse Eishockeyfamilie, in der sich Spieler, Fans und Clubbesitzer im gleichen «Stübli» die Hand gaben.

Im Eiltempo nach oben

Der EHC Arosa war in wenigen Jahren im Eiltempo von der 1. Liga in die NLA aufgestiegen, hatte sich eine Eishalle gebaut, die innerhalb von Tagen bewilligt worden war, und auch noch selbstbewusst dem Schweizer Meister SC Bern getrotzt. Man hatte ja nichts zu verlieren. Und was hätte man in diesem Nest auch anderes anstellen sollen?

Der EHC Arosa war damals längst Legende: 1924 gegründet, 9-facher Schweizer Meister und Heimclub der legendären Poltera-Brüder, die schon Jahre vor den Lindemann-Brüdern die Gegner das Fürchten lehrten. Unvergesslich machten Arosa aber ein paar Dorfbuben, die zufälligerweise zur gleichen Zeit mit zu viel Talent ausgestattet waren. Von ihren Lehrern gefördert, verhalfen sie dem EHC Arosa in den 70ern und 80ern zu unerreichter Grösse: Jöri Mattli, Guido und «Blitz» Lindemann, Heini Staub, Beni Neininger, um nur einige zu nennen.

Bis 16 hatte ihnen die Schule verboten, an Turnieren oder Spielen teilzunehmen, da man abends zu spät nach Hause gekommen wäre. Als die Jungs dann nach Urdorf an ihr erstes Turnier fahren durften, gewannen sie prompt. Bei der Rückkehr nach Arosa blies die Dorfmusik den jungen Talenten zum Empfang einen Willkommensmarsch. Die zukünftige Meistermannschaft hatte ihre Feuertaufe bestanden.

Zurück zu jenem kalten Wintertag im Jahre 1977. Unsere Gegner, die Junioren des EHC Arosa, standen ihren grossen Vorbildern in nichts nach. Sie trugen diese wunderbaren blauen Hockey­dresses mit der gelben Sonne, strotzten vor Selbstvertrauen und flitzten uns nur so um die Ohren. Auf dem Weg zurück nach Chur lamentierten wir bis spät in den Abend hinein über die vielen Gegentore. Arosa und Eishockey, das war immer ein Erlebnis. Die ersten zwanzig Jahre meines Lebens kam ich praktisch ausschliesslich wegen dieses Sports nach Arosa. Und eigentlich hörte für uns Arosa beim Eisstadion auf. Ins Dorf sind wir so gut wie nie gefahren.

Steinbock statt Sonne

Ein paar Jahre später, ich glaube es war 1987, ein Jahr nach dem freiwilligen Abstieg des EHC Arosa in die 1. Liga und dem wahrscheinlich schlimmsten Sommer für alle Fans des Clubs, stand die halbe Truppe des EHC Arosa beim EHC Chur unter Vertrag. Wir Churer waren inzwischen in die NLA aufgestiegen und konnten die ganzen Supercracks für uns gewinnen. Die Namen blieben – Dekumbis, Schmid, Staub und wie sie alle hies­sen –, aber die Trikots hatten keine gelbe Sonne mehr aufgestickt, sondern einen schwarzen Steinbock.

Wir waren auf dem Sprung in die erste Mannschaft und sahen wohl alle Spiele der Saison live. Endlich mal gutes Eishockey im eigenen Stadion! Doch nach einem Jahr stieg der EHC Chur unter der Führung des charismatischen Thomas Domenig wieder in die NLB ab. Der Traum war zumindest für ein paar Jahre vorbei. Die Ex-Aroser verteilten sich in der NLA, gingen zum SC Bern, nach Lugano, zu Ambri etc. Wir Junioren erbten die freien Plätze und waren endlich in der ersten Mannschaft angekommen. In den folgenden Jahren löste sich die aktive Kraft des EHC Arosa in Luft auf. Die Legende aber ist geblieben.

Im Sommer stiegen wir an den Wochenenden jeweils zu dritt oder zu viert frühmorgens in den Zug der RhB, um in Arosa auf dem Eis trainieren zu können. Nirgends sonst in der Schweiz war während des ganzen Sommers Eis verfügbar. Während unsere Freunde in Chur im Freibad Mädchen aufrissen, kurvten wir in Winterpullis stundenlang übers Eis.

In Arosa träumte man währenddessen immer noch vom Wiederaufstieg. Aber die Profiklubs in Lugano und Bern wurden dem Schanfigger Dorfclub zum Verhängnis. Immer mehr Eistraining, Profibetrieb, immer höhere Löhne und Spielbetriebskosten brachen dem sympathischen EHC Arosa letztlich das Genick. Eigentlich schade, denn auch heute noch, wenn man nach Arosa reist, hat man das Gefühl, der letzte NLA-Kampf gegen den aktuellen Leader sei gerade gestern ausgetragen worden. Die Hoffnung in Arosa stirbt nie.

Die Legende lebt weiter

Die ehemaligen Stars leben immer noch in Arosa. Sie waren es, die mich viele Jahre später, am Ende meiner eigenen aktiven Profikarriere wieder nach Arosa brachten, zum alljährlichen Grümpelturnier des EHC Arosa. Zum Kampf um die heiss begehrte Plastik-Trophäe. Wieder einmal mit Guido Lindemann, dem letzten Schweizer Scorer-König mit CH-Pass, und Reto Dekumbis in einer Linie zu spielen, auch wenn es sich nur um Freundschaftsspiele handelte, das war auf jeden Fall die 364 Kurven ­hinauf nach Arosa wert.

Gewinnen will man natürlich immer noch und ist dann auch gehörig enttäuscht, wenn am Ende des Turniers der Pokal nicht in den eigenen Händen liegt. So weit hat sich eigentlich nichts verändert. Nach den Spielen wird gestritten, werden gegenseitig Vorwürfe gemacht, und dann aber auch wird wieder das eine oder andere Bier zu viel getrunken. Verändert hat sich nur das Alter, das Tempo auf dem Eis und der zünftige Bierbauch, der einen schon beim Schnüren der Schlittschuhe zum Schwitzen bringt.

Verbissen wie einst

Hier kam mir die Idee für meinen Eishockey-Film «Champions». An diesem Nachmittag lieferten sich Lindemann und Dekumbis ein Wortduell, man hätte meinen können, es sei ein Tag im Winter 1982 und wir stünden im Endspiel gegen den EHC Biel. 0:0 und nur noch ein Drittel Zeit, um das Spiel der Meisterschaft zu gewinnen. In Wirklichkeit waren unsere Gegner die Veteranen des EHC Winterthur, das Spiel längst abgepfiffen und verloren. Die beiden Ex-Cracks liessen sich aber von dieser Realität nicht beeindrucken und stritten bis tief in die Nacht bei Bier und Chips weiter.

In diesem Moment wurde mir klar, dass ich bald zum ersten Mal in meinem Leben nicht nach Arosa reisen würde, um Eishockey zu spielen, sondern, um einen Film zu drehen. Einen Film über die Legende des EHC Arosa. Einen Film über vier ehemalige Eishockey-Profis, die 25 Jahre zu spät, mit Bierbäuchen ausgestattet, ohne das Einverständnis ihrer Frauen aufs Eis zurückkehren, um ein längst fälliges Comeback auszutragen. Ein Comeback auf dem Eis und eines im Leben.

Den Mythos wiederbelebt

Die Dreharbeiten waren fantastisch. Der Mythos des EHC Arosa lebte nochmals auf. Wir liessen Trikots mit aufgestickter goldener Sonne produzieren, mit der legendären Nummer 14 von Guido Lindemann, der 23 von Dekumbis, der 21 von Sturzenegger. Beim Kulm-Hotel stellten wir ein offenes Kunsteisfeld auf. 500 Statisten waren aufgeboten, die ehemaligen Arosa-Stars wurden mit den Schauspielern, Rima, Zogg, Ulli und Frischknecht wieder aufs Eis geschickt, noch einmal wurde ein «Arosa isch besser» angestimmt. «D’ Buaba mit der goldiga Sunna» waren wieder zurück, und in Arosa muss man sich gefühlt haben wie kurz nach dem letzten Meistertitel 1982.

Wenn man nach Arosa geht und Glück hat, trifft man heute noch die eine oder andere Legende im «Stübli» beim Bier. Und wenn man etwas mit Eishockey zu tun hat, ist man Minuten später mitten in einer eifrigen Diskussion über die wunderbare Zeit der Meistertitel und der unsterblichen ­Legende der Gelb-Blauen, als ein paar «jungi Buaba» aus dem Schanfigg mit ihren Sonnen auf den Trikots die ganze Eishockey-Schweiz in ihren Bann zogen und sich unsterblich machten.

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 04.01.13

Nächster Artikel