«Da kann ich zum Terrier werden»

Murat Yakin über die Aura des Siegers und den Stress mit den Degen-Zwillingen, über seine Mutter an der Seitenlinie und den Kampf der Secondos in der Schweiz – ein Gespräch in aller Ausführlichkeit mit dem Trainer des FC Basel.

«Wie schon als Spieler versuche ich als Trainer das Spiel zu lesen.» Murat Yakin im Gespräch mit der TagesWoche. (Bild: Hans-Jörg Walter)

Murat Yakin über die Aura des Siegers und den Stress mit den Degen-Zwillingen, über seine Mutter an der Seitenlinie und den Kampf der Secondos in der Schweiz – ein Gespräch in aller Ausführlichkeit mit dem Trainer des FC Basel.

Murat Yakin, von den Anlaufschwierigkeiten abgesehen und bis zum Thun-Spiel lief es für Sie beim FC Basel bisher fast optimal.
Murat Yakin: Das spricht auch für die Qualität der Mannschaft. Sie setzt gut um, was ich ihr vermittle, und es ist ja nicht so, dass das in einer Fremdsprache stattfindet. Die Jungs sind begeisterungs- und lernfähig. Und dass vieles in relativ kurzer Zeit schon aufgegangen ist, das macht Freude.

Was hat sich nach der Spielerkarriere und den ersten Trainerjahren als Ihre Spielphilosophie herausdestilliert?
Da könnte man ein ganzes Buch schreiben.

Ein wenig Platz haben wir in der TagesWoche.
Ich bin als Spieler schon sehr genau gewesen, nicht pingelig, aber meinem Sternzeichen Jungfrau entsprechend (Es heisst: ordentlich, schnelle Auffassungsgabe, ehrlich, zuverlässig und bescheiden – aber auch: übertrieben perfektionistisch, rechthaberisch, unnahbar; Anm. d. Red.). Ich will auf dem Platz Ordnung haben, will ich einen ästhetischen Fussball sehen, aber auch Zweikämpfe mit der nötigen Aggressivität. Wichtig ist, dass man mit dem nötigen Selbstvertrauen und Selbstbewusstsein auftritt.

Damit gewinnt man noch keine Spiele.
Wenn die Arbeit während der Woche gemacht wurde, erwarte ich von meinen Spielern, dass sie das, was ich von ihnen im Training sehe, dann auch im Spiel umsetzen. Und nichts Kompliziertes machen. Fussball ist eigentlich einfach, aber man kann es kompliziert machen.

Einfach vielleicht schon, aber doch auch wieder ein sehr komplexes Spiel.
Wahrscheinlich ist es eine der schwierigsten Sportarten: 22 Akteure auf einem 6600 Quadratmeter grossen Feld, und dann hast du auch noch einen Gegenspieler und sollst funktionieren. Und am Schluss zählt nur, was in den kleinen Kasten am Ende des Spielfeldes reingeht. Aber mich interessiert mehr als das Resultat. Ich will eine Strategie sehen, das verlange ich von meinen Spielern, und den Plan dafür gebe ich ihnen unter der Woche mit.

Was haben Sie von Ihren Trainern – natürlich von Christian Gross bei GC und beim FCB, aber auch von Joachim Löw in Stuttgart und bei Fenerbahçe oder Otto Rehhagel in Kaiserslautern – mitgenommen?
Der knallharte Teil aller Trainer bleibt am meisten in Erinnerung…

…gerade bei Ihnen, der Sie nie als der Trainingsbesessene galten…
Genau. Aber das Spannende waren die Trainer, mit denen ich Erfolg haben konnte. Mit Roy Hodgson in der Nationalmannschaft, mit Christian Gross oder Jogi Löw, den ich als Typ sehr schätze, und Rehhagel, der als einfacher, familiärer Typ in der Mannschaft mit seiner Warmherzigkeit sehr gut angekommen ist. Von all denen habe ich viel mitgenommen und profitiere von dieser Erfahrung.

Löw ist der Trainer, der den Fussball der deutschen Nationalmannschaft in die Moderne geführt hat. Spürten Sie damals schon etwas Spezielles in der Zusammenarbeit mit ihm?
Absolut. Ich hatte das Gefühl, der Einzige zu sein, der sich für das System, für das Taktische interessiert hat und auch für seinen Führungsstil. Joachim Löw ist sehr natürlich und menschlich rübergekommen, und als in der Schweiz ausgebildeter Trainer hat er sich in Stuttgart – obwohl wir personell bedingt noch in einem 3-5-2 mit Libero und klarer Manndeckung gespielt haben – schon 1997 mit der Viererkette auseinandergesetzt, die man damals in Deutschland noch nicht verbreitet hat. Löws Flexibilität hat mich schon damals fasziniert.

Beginnen grosse Trainerkarrieren in Frauenfeld? Sie beide hatten dort eine der ersten Stationen.
(Lacht) Das musste ich mir in Frauenfeld auch anhören. Die 2. Liga interregional war – nach Congeli und GC – die erste Cheftrainerstation für mich. Es ging nur drei Monate, das war optimal für mich als Praktikum für mein Trainerdiplom. Ich konnte Frauenfeld retten, aber für den Club war es sicher nicht ideal, weil er wieder einen neuen Trainer suchen musste.

«Ich habe die Überzeugung, diese Macht des Teams nicht mehr gespürt»

Sie haben erzählt, dass Sie sich in den Wochen nach der Entlassung in Luzern sehr intensiv mit dem FCB beschäftigt hätten …
… aber ohne jeglichen Hintergedanken!

Was ist Ihnen denn aufgefallen?
Ich habe in meinen Beobachtungen von aussen einfach diese Überzeugung, diese Macht des Teams nicht mehr gespürt. Das wurde mir dann auch in Gesprächen mit den Spielern bestätigt: Dass der Gegner schon in den Katakomben gespürt hat, dass er hier etwas holen kann. Das ist etwas, was mich als FCB-Spieler unheimlich stark gemacht hat: Dass die Gegner gekommen sind und schon im Vornherein wussten, dass es hier ein 2:0 oder 3:0 gibt.

Und wie schafft man das? Mit einem coolen Blick vor dem Gang raus aus der Senftube?
Das ist eine gewisse Aura, die man sich erarbeiten muss. Da kann man bei den Spielern nicht einfach einen Chip wechseln. Das geht nur über Trainings – und die letzten zwanzig Prozente über Siege, überzeugende Siege.

Die Stadt war emotional aufgewühlt nach der Trainerrochade von Heiko Vogel zu Ihnen. Wie haben Sie das erlebt?
Ich wäre überrascht gewesen, wenn es anders gewesen wäre, wenn ich mit einem Blumenstrauss und Lobeshymnen empfangen worden wäre. Dafür war der FCB vorher zu erfolgreich. Viele Leute betrachten den Fussball wie ein normales Unternehmen, in dem man den Mitarbeitern vielleicht etwas länger Zeit gibt. Aber wenn du im Fussball das Gefühl bekommst, dass etwas in die falsche Richtung läuft, dann musst du sofort reagieren.

In Luzern hiess es, Sie hätten ständig Kritik an der Qualität im Kader geübt. Ausserdem sei keine Entwicklung im Kader sichtbar gewesen. Das klingt fast so, wie das, was in Basel bei der Verabschiedung von Heiko Vogel gesagt wurde.
Ich habe nie die Qualität der Spieler als Ausrede benutzt. Ich habe zwei Tage nach Trainingsbeginn auf gewisse Gefahren hingewiesen. Mehrfach. Mir wurde vorgeworfen, ich sei zu fordernd gewesen, was Transfers betrifft. Mladen Petric zu holen, war die Idee des Clubs, ich schlug ablösefreie Spieler vor. Ich denke nicht, dass die das Budget gesprengt hätten. Aber es nicht mehr an mir, über den FC Luzern zu reden…

In Basel haben Sie nun ein Kader zur Verfügung, das höchsten Ansprüchen genügt.
Die Spieler mögen in der Schweiz zu den Besten auf ihren Positionen zählen. Ja, okay. Aber darauf dürfen wir uns nicht ausruhen. Diese Erfahrung habe ich selbst als Spieler ja auch gemacht. Ich durfte hier viele Erfolge feiern – aber das kann auch zu Genügsamkeit führen. Und wenn du zufrieden bist, bleibst du in der Entwicklung stehen. Das habe ich von meinem Trainer mitbekommen.

Das heisst, Christian Gross hat gesagt: «Murat, du bist zu zufrieden, das ist nicht gut»?
Ja, ja …

… und dann sind Sie nach Hause gegangen und haben gedacht: «Der hat eigentlich recht»?
Das ist ein Prozess. Ich hatte damals ja alles gewonnen, was zu gewinnen war. Spieler des Jahres, Verteidiger des Jahres, Meister, Cupsieger, Champions League, dann kommt noch deine Biographie raus, du bist mit der Nationalmannschaft für die Europameisterschaft qualifiziert …

Man fühlt sich wie der Grösste?
Ja.

Und dann muss ein Trainer da sein, der einen in den Hintern tritt?
Aber das darf nicht so rüberkommen, als wollte man jemanden kopieren. Ich mache das, weil ich diese Erfahrung selbst gesammelt habe. Weil ich weiss, wie wichtig es ist, jedes Spiel gewinnen zu wollen. Wenn du mal verlierst, dann darf man das nicht gleichgültig hinnehmen. Da gehört eine gewisse Unzufriedenheit dazu, und wenn du die im Training nicht zeigst, dann ist es im Spiel zu spät.

«Mich interessiert das Spiel ohne Ball, das ist meine Hauptbeschäftigung»

Wie gehen Sie heute ein Spiel an?
Vorher mit einem guten Gefühl in die Partie zu gehen, über jedes Detail Bescheid zu wissen – diese Gedanken habe ich mir als Spieler nicht gemacht. Aber jetzt als Trainer mache ich sie mir. Da spiele ich eine Begegnung vier, fünf Mal im Kopf durch. Deshalb überrascht mich während eines Spiels nicht mehr viel.

Was sieht denn Ihr Plan für den Fall vor, dass einer Ihrer Mittelfeldspieler in der 58. Minute vom Platz gestellt wird wie gegen Sporting Lissabon?
Das ist dann nicht so einfach, aber unmittelbar zu reagieren, ist eine Sache des Bauchgefühls, das kann man bei aller Vorbereitung nicht planen. So wie man als Spieler auf dem Feld manchmal intuitiv entscheiden muss, muss man als Trainer an der Seitenlinie mitleben. Wobei: Von der gegnerischen Mannschaft, von einzelnen Spielern weiss ich nach dem Spiel praktisch nichts mehr. Aber ich weiss haargenau, was meine Spieler in jeder Situation gemacht haben und was sie besser machen können.

Und das aus einer relativ schlechten Perspektive auf das Spiel.
Ich stehe sehr schlecht, aber wie schon als Spieler versuche ich als Trainer den Überblick zu haben und das Spiel zu lesen. Das ist meine Hauptbeschäftigung. Es geht nicht nur darum, den Ballführenden zu beobachten, sondern alle elf Spieler. Es sind Meter entscheidend: Wo stehen bei Ballbesitz die Mitspieler? Wie nehmen die anderen in diesem Augenblick ihre Aufgaben wahr? Das Spiel funktioniert zu 99 Prozent ohne Ball, aber denjenigen, der den Ball hat, den schauen sich auf Youtube alle an. Mich interessiert eher das Spiel ohne Ball.

In welche Richtung entwickelt sich denn das Spiel? Das Feld ist zwar gross, aber man hat das Gefühl, dass die Mannschaften immer näher rücken und sich auf engstem Raum bekämpfen. So wie bei FCB gegen GC.
Man hat keinen Raum mehr. Ein einzelner Spieler kann zwar mal den Unterschied ausmachen, aber man kann es nur als Team lösen und muss als Einheit auftreten. Da verträgt es keinen Querdenker. Da ist es dann meine Aufgabe. Zusammenhalt ist zwar wichtig, aber es braucht natürlich schon Qualität in der Mannschaft. Valentin Stocker ist das beste Beispiel: Einer, der unheimlich aufdreht und die Mannschaft mitzieht, defensiv wie offensiv. Das ist ein grosser Wert für die Mannschaft.

Wie haben Sie den Knopf bei ihm wieder aufbekommen?
Ich kannte ihn natürlich als gegnerischen Spieler, und bei Congeli wollte ich ihn aus der U21 des FCB zu uns holen. Er ist ein Aggressivleader im positiven Sinn, eine zentrale Figur, und das ist als Flügelspieler eine grosse Verantwortung. Meine Aufgabe ist es, auszutüfteln, wie man bei einem Spieler noch mehr herausholen kann.

Deshalb haben Sie Stocker also ins Zentrum gesteckt – um dort Aggressivität vorzuleben und Löcher zu stopfen?
Genau. Das habe ich generell als gegnerischer Trainer des FCB in der Spielvorbereitung beobachtet und auch in vier, fünf Partien, bevor ich Trainer in Basel wurde: dass eine Schwäche im Zentrum auszumachen ist. Nicht von den einzelnen Positionen her, sondern vom gesamten Auftritt der Mannschaft her, von der Aufteilung. Das Zentrum dicht zu bekommen, war das Wichtigste. Und dass dann einer wie Alex Frei zum Beispiel gegen Sporting Lissabon nicht so zur Geltung kommt, musste ich in Kauf nehmen. Dafür haben andere die Räume geschlossen, sich mit ihrer Laufarbeit gegenseitig unterstützt und nach hinten abgesichert. Dabei müssen die Aussenverteidiger mitmachen und das Mittelfeld unterstützen, und dadurch waren die Innenverteidiger nicht ständig unter Stress. Das ist der Hauptaugenmerk.

«Ich weiss, wie ich die Degens anpacken muss: Sie stressen, sie nie in Ruhe lassen.»

Wenn auch nicht unbedingt Querdenker, so sind die Degen-Zwillinge zumindest sehr spezielle Typen. Wie schaffen Sie es, dass die beiden ihre Energie produktiv umwandeln?
So wie sie dich fordern, musst du auch sie fordern. Der Umgang mit ihnen ist sehr intensiv und macht sehr viel Spass. Die zwei sind mit Herz und Seele beim FCB dabei. Sie nehmen alles auf, sind aber auch sehr kritisch. Wir haben eine besondere Beziehung, weil wir noch miteinander gespielt haben und auch danach immer wieder privat Kontakt hatten. Ich weiss, wie ich die beiden anpacken muss.

Nämlich?
Sie stressen (lacht). Sie nicht in Ruhe lassen.

Das heisst, Sie müssen die beiden beschäftigen, damit diese nicht Sie beschäftigen?
Das ist so. Genau (lacht).

Wie sehen Sie im Sommer verpflichteten Spieler? Diaz bekundet immer wieder Mal Mühe, Sauro muss bei Ihnen hinten anstehen, und Salah hatte nach der Rückkehr von Olympia zunächst nicht mehr viele gute Auftritte – bis zum Sporting-Match.
Als ich angefangen habe, waren Diaz und Salah mit der Nationalmannschaft unterwegs, und in Luzern sind wir ohne sie gestartet, auch ohne Sauro. Was ich dann gegen Videoton von Diaz und Salah gesehen habe, zeigte mir das auf: Sie kommen aus einer anderen Kultur, müssen sich an den Rhythmus in der Schweiz anpassen. Dass ein halbes Jahr oder ein Jahr Zeit zur Eingewöhnung nötig sind, das gibt es doch immer wieder. Erinnern wir uns an Matias Delgado oder David Abraham – das ging auch nicht von heute auf morgen.

Und Sauro?
Für Gastón ist es schwierig, weil wir zwei Innenverteidiger haben, die funktionieren. Er muss sich gedulden, muss trainieren und muss wie ein zweiter Goalie immer parat sein.

Was hat den Ausschlag dafür gegeben, Fabian Schär Vorfahrt zu geben?
Zum einen habe ich ihn und seine Fähigkeiten aus der Challenge League gekannt. Er war auf einem hohen Rhythmus und hat immer gespielt beim FC Wil. Die Kombination mit Dragovic hat mir von der Kommunikation her den stabileren Eindruck gemacht. Da musste ich mich schnell entscheiden, und das hat sich gelohnt. Schär hat alle Fähigkeiten für einen Innenverteidiger, defensiv wie offensiv. Das sieht man selten. Aber er hat aufgrund der fehlenden Erfahrung noch die Neigung zu unkonzentrierten Phasen. Das müssen wir noch abstellen, aber das ist einfacher, als jemanden noch Technik beizubringen oder Aggressivität, das dauert eine Ewigkeit.

Haben Sie bei Ihrer Unterschrift beim FCB in Aussicht gestellt bekommen, dass Sie im Winter noch ein bis zwei Transfers nach Ihrem Gusto tätigen können?
Nein, in erster Linie soll ich schauen, was das eigene Kader hergibt. Und dann werden wir zusammensitzen.

Man kann hören, dass Joo Ho Park im Winter den Verein verlassen will?
Das ist noch nicht besprochen. Dass ein Spieler, der nicht mehr zum Stamm gehört, unzufrieden wird, ist verständlich. Aber er kann noch immer zeigen, was er drauf hat.

Und Radoslav Kovac?
Wann seine Zeit bei uns vorbei ist, ist noch offen. Aber wir haben ihm kommuniziert, dass er die Möglichkeit hat, einen Club zu suchen. Bei ihm geht es um die ganze Konstellation, darum, dass der Verein mehr auf Spieler setzen will, die noch Perspektiven haben. Der FCB hat vier andere Innenverteidiger, und bei Kovac läuft es darauf hinaus, dass er keinen neuen Vertrag bekommen wird.

«Ich bin dann streng, wenn ein Spieler selbst das kleinste Trainingsspiel nicht gewinnen will»

In Luzern erzählt man sich, die Spieler hätten Angst davor gehabt, ins Training zu kommen. Sind Sie tatsächlich ein so strenger Trainer?
Ich bin dann streng, wenn ein Spieler nicht gewinnen will. Da kann ich zum Terrier werden. Kein Zeichen setzen zu wollen, auf eine Niederlage selbst im kleinsten Trainingsspiel nicht zu reagieren, das ist etwas, was ich nicht begreifen kann.

Die FCB-Mannschaft macht unter Ihnen den Eindruck, als ob sie bereit wäre, mehr Zweikämpfe im Zentrum anzunehmen. Und es war ja nicht so, dass Ihr Vorgänger Heiko Vogel das nicht auch angemahnt hätte. Wie haben Sie diese gesunde Aggressivität hinbekommen?
Aggressivität muss man im Training provozieren, und der Konkurrenzkampf ist gross. Die Arbeit gegen den Ball ist heutzutage unheimlich wichtig, und das muss ich als erstes von den Spielern verlangen. Ich will ja nicht schlecht reden über die Zeit vor mir, man hat ja Erfolg gehabt. Aber im Moment des Trainerwechsels muss man Mut haben, etwas anderes zu machen.

Was denn?
Auch wenn ich als Spieler von der Defensive gelebt habe, hatte ich immer auch einen offensiven Drang. Jetzt bin ich seit sechs, sieben Jahren Trainer und erlebe, dass der Zuschauer das Spiel ohne Ball vergisst. Aber wenn man sich den FC Barcelona anschaut, dann funktioniert dessen Spiel vor allem auch defensiv. Aber da schaut man nicht hin.

In Barcelona gilt ja offenbar die Fünf-Sekunden-Regel: Erst wenn man es in dieser Zeit mit Pressing nicht geschafft hat, den Ball zurückzuholen, lässt man sich fallen.
Fünf Sekunden sind relativ. Dass Messi die meisten Rebounds hat, das sehen die Zuschauer nicht. Die interessiert Messi, wenn der einen sensationellen Trick und ein Tor macht. Mich fasziniert eher, wie viele Bälle er zurückerobert.

Und das wollen Sie auch von Ihrer Mannschaft sehen?
Das kann man ihr nicht auf Anhieb einimpfen. Aber es ist wichtig, die Stärken einer Mannschaft zu erkennen und ihr diese zu lassen – und bei den Schwächen zu korrigieren.

«Meine Mutter steht jetzt seit 40 Jahren am Platz, und sie liebt den Fussball»

Herr Yakin, war Ihre Mutter Emine eigentlich bei Ihren Stationen ausserhalb von Basel, in Frauenfeld, Thun, Luzern auch Zaungast in den Trainings und bei den Spielen dabei?
Also nicht in dieser Häufigkeit wie in Basel. Aber ab und zu schon.

Was ist ihr Antrieb, ihren Sohn jeden Tag ins Training begleitet?
Dieser Weg, den ich heute wieder gehen darf, das Kilometerweglein zu den Trainingsplätzen, das war ja der Anfang von allem. Nachdem wir von Muttenz nach Münchenstein gezogen sind, haben wir am Ende dieses Wegs gewohnt. Und unsere Mutter hat uns vom ersten Tag an in dem unterstützt, was wir gemacht haben. Sie war damals unermüdlich, in jedem Training, an allen Auswärtsspielen. Klar, am Ende mussten Hakan und ich die Arbeit auf dem Platz erledigen. Aber wir wussten immer: Da steht jemand draussen, der uns voll unterstützt. Klar war die Schule auch wichtig – aber sie hat den Fussball bevorzugt.

Versteht sie etwas von Fussball?
Ich glaube, sie steht jetzt seit vierzig Jahren am Fussballplatz. Das macht mir fast ein wenig Angst (lacht). Nicht, dass sie mich beraten würde oder korrigieren. Aber sie weiss schon, wer am Schluss die entscheidenden Spieler waren – auch wenn die nicht unbedingt ein Tor geschossen haben.

Portrait von Emine Yakin aus dem Jahr 1996 auf Schweizer Fernsehen sf.tv

Ihre Mutter spricht mit Ihnen also schon über Fussball?

Es ist nicht so, dass ich sie nach ihrer Meinung frage. Aber es gibt schon Momente, in denen sie etwas sagt – vor allem nach Spielen. Sie liebt einfach den Fussball, ich habe ihr alle möglichen Kanäle installiert, damit sie alles schauen kann.

Welches ist denn der Club Ihrer Mutter?
Fenerbahçe.

Und da schaut sie alle Spiele?
Nein, eher die Analysen durch ehemalige Spieler, die jetzt Kommentatoren sind. Das ist heiss beliebt in der Türkei, wenn sie Spiele, Spieler und Clubs auseinandernehmen können.

Wurden Sie selbst eigentlich nie als Co-Kommentator angefragt?
Nein, das hat für mich nichts mit Fussball zu tun.

Das heisst, es wird zuviel Quatsch erzählt?
Nein, das nicht gerade. Aber sie sehen den Fussball aus einem ganz anderen Blickwinkel.

Zu oberflächlich?
Es ist einfach eine andere Sicht auf den Fussball. Wenn ich Fussball schaue, schalte ich den Kommentar meistens aus. Das lenkt ab.

Andere 38-Jährige würden sich stören, wenn die Mutter ihnen dauernd bei der Arbeit über die Schultern schauen würde.
Absolut nicht. Für mich ist das eine grosse Ehre und ich verspüre Stolz.

«Ich spüre weiterhin, dass ich noch nicht ganz so akzeptiert bin.»

Sie haben mal gesagt, Sie müssten sich als Secondo jeden Tag aufs Neue beweisen. Wie steht es heute um die Integration von Ausländern in der Schweiz?
Oh, ein sehr spannendes Thema. Das mich zwar nicht mehr so sehr beschäftigt, weil ich selbst meine Mischung gefunden habe. Ich weiss, wo ich hingehöre. Aber ich spüre trotzdem weiterhin, noch nicht ganz so akzeptiert zu sein. Es wird dir nichts in den Schoss gelegt.

Ganz beiseite lassen können Sie das Thema nicht. Es gab den Fall, als Sie vom «Blick» als «Schweiz-Türke» bezeichnet wurden. Daraufhin haben Sie Döner-Gutscheine an Journalisten verteilt.
Ja, das war vielleicht meine emotionale Seite. Ich wollte es aber nicht so dramatisch zum Ausdruck bringen. Was ich mit einer gewissen Ironie sagen wollte: «Hey, respektvoll umgehen miteinander.»

Dafür, wie ausgeglichen Sie wirken, haben Sie sich bei einer anderen Gelegenheit ziemlich mit einem Luzerner Journalisten angelegt.
Das hätte ich vielleicht mit anderen Worten tun sollen. Ich hätte das mit den Medikamenten beiseite lassen und ihm sagen sollen, er solle etwas weniger Orangensaft trinken. Aber er hat eine Woche lang vor allem Unwahrheiten geschrieben. Vielleicht wollte er mich gezielt provozieren? Ich weiss es nicht.

Immerhin haben Sie 49 Länderspiele für die Schweizer Nationalmannschaft gemacht. Fehlt es an Anerkennung?
Da sind wir wohl einfach im falschen Fussballland. Die Wertschätzung von Fussballern – egal welchen Namen sie tragen – ist in der Schweiz geringer als anderswo. In der Schweiz heisst es immer gleich: Warum verdient man mit Fussball soviel Geld? Im Vergleich zu südlichen Ländern oder auch Deutschland sind wir Fussballer in der Schweiz einfach weniger akzeptiert.

Hat Sie dieser Kampf auch im Fussball angetrieben, weil Sie zeigen wollten, was Sie drauf haben?
Nie zufrieden sein, mit dem was man erreicht hat – ja, da treibt mich an. Aber die Frage ist: Macht es die Quantität oder die Qualität? Ich bevorzuge eher Qualität. Ich muss mich ja im Fussball nicht acht Stunden mit etwas beschäftigen, wenn ich es in fünf Minuten begriffen habe. Vielleicht ist es das, worin ich mich von anderen unterscheide. Ich kann ja auch nichts dafür, dass ich in der Trainerausbildung meine Diplomarbeit vor allen anderen fertig hatte, die halt noch immer unschlüssig waren, während ich mir meiner Sache sicher war.

Was war das Thema Ihrer Arbeit?
Willensschulung. Mit dem mentalen Aspekt des Fussballs kann man sich wahrscheinlich endlos befassen.

Haben Sie sich nicht mal eingebildet, auch ohne diesen ganzen Ausbildungs-Schnickschnack ein guter Trainer zu sein?
Dieses Gefühl hatte ich am Anfang (lacht). Ich habe wirklich geglaubt, dass ich den Fussball verstehe. Aber ich begreife ihn heute noch nicht (lacht).

Und jetzt sind Sie mit 38 Jahren früher zum Cheftrainer des FC Basel geworden, als man das vielleicht vermutet hätte. Als Thorsten Fink Basel verlassen hat, waren nicht alle Leute im FCB glücklich mit Ihrer Art der Kommunikation von Luzern aus.
Da ging es mehr darum, mit der Situation clever umzugehen.

«Am liebsten ist es mir, mein Ticket selber zu zahlen und das ganze Brimborium rundum auszulassen»

Ändert sich für Sie persönlich etwas, weil Sie nun wieder in der Region arbeiten, in der Sie aufgewachsen sind?
Ich wusste, was dieser Job beinhaltet, von der ganzen Erwartungshaltung her. Dass ich den Club kenne, dass ich weiss, wie er aufgestellt ist, vereinfacht vielleicht einiges. Ich war ja nie ganz weg.

Sind Sie auch näher an Menschen, die Ihnen wichtig sind? Vor sieben Jahren haben sie der NZZ in einem Interview gesagt, Sie hätten immer noch die Freunde, die Sie schon aus der Schulzeit haben.
Diesen Kontakt habe ich immer beibehalten, das stimmt. Ich gehe auch gerne durch die Stadt. Aber ich geniesse es auch, wenn ich anonymer durch Zürich schlendern kann – das dürfen Sie jetzt vielleicht nicht schreiben (lacht).

Na, kommen Sie: Wie wollen Sie denn anonym durch Zürich gehen?
Anonymer (lacht).

Können Sie sich in der Schweiz wirklich irgendwo unerkannt bewegen?
Was soll ich jetzt sagen? Klingt das arrogant, wenn ich nein sage?

Es wäre einfach ehrlich. Was Sie auch mal erzählt haben: Sie wüssten nie, ob sich jemand für Sie interessiert – oder nur für den Star Murat Yakin. Das klingt sogar etwas traurig.
Ich war trotzdem nie ein verschlossener Typ. Natürlich habe ich mich auch in Menschen getäuscht, da habe ich extrem viele Erfahrungen gesammelt. Aber das Schöne am Fussball ist ja, dass man so viele Leute kennenlernen darf. Mir war es trotzdem wichtig, dass ich gewusst habe, wo ich herkomme. Deshalb habe ich mit alten Bekannten immer Kontakt gehalten.

Was hat es heute noch mit diesem berühmten Glamour-Faktor auf sich, den Sie als aktiver Fussballer stets versprüht haben?
Ach! Ich gehe gerne an gewisse Anlässe, an die ich eingeladen werde. Aber am liebsten ist es mir eigentlich, wenn ich nicht eingeladen werde, mein Ticket selber zahle und dafür das ganze Brimborium rundum auslassen kann. Gewisse Dinge machen mir aber einfach Spass: Mal als DJ auftreten für einen guten Zweck, oder an eine Modeschau, an eine Premiere eingeladen werden …

… hat man als Cheftrainer überhaupt noch Zeit dazu?
Nein. Am Mittwoch vor dem Sporting-Spiel wäre ich ans Salto Natale eingeladen gewesen, da wäre ich gerne gegangen. Aber so ist das halt.

Und wer bringt Ihre Internetseite yakinsworld.ch auf neusten Stand?
Das ist keine wirkliche Homepage. Das ist mehr eine Sammlung von Hakan und mir.

Steht da mittlerweile überhaupt schon drin, dass Sie Trainer in Basel sind?
Nein (lacht).

Man könnte auch sagen: Bei der Halbwertszeit eines Schweizer Clubtrainers lohnt es sich vielleicht gar nicht. Stört Sie diese Schnelllebigkeit Ihres Berufs nicht?
Es ist halt verflixt. Aber ich liebe diesen Job. Ich habe es geliebt, die Jungs in Frauenfeld auf ein Spiel vor 50 Zuschauern vorzubereiten. Und ich liebe es, sie für ein Spiel vor mehreren tausend Fans vorzubereiten. Die Arbeit ist nämlich genau dieselbe. Du hast mit 24 Spielern zu tun, dem Staff, dem Präsidenten.

Murat Yakin
Seit dem 15. Oktober und der unvermittelten Ablösung von Heiko Vogel trainiert Murat Yakin den FC Basel. Der 38-Jährige hat als Junior beim FC Concordia gespielt und war ­danach Profi bei den Grasshoppers, dem VfB Stuttgart, Fenerbahçe ­Istanbul, dem 1. FC Kaiserslautern und dem FCB, mit dem er dreimal Meister und zweimal Cupsieger ­wurde. Für das Schweizer Nationalteam hat er 49 Spiele bestritten.

Auf zwei Startniederlagen als FCB-Trainer folgte eine Serie von sechs gewonnenen Pflichtspielen, ehe die Basler am vergangenen Wochen­ende in Thun erstmals wieder unter­lagen. Die erste Halbserie in der Liga beschliesst der FCB am Samstag, 1. Dezember (19.45 Uhr), mit dem Heimspiel gegen St. Gallen. Danach folgen noch der Trip nach Genk, wo es um den Einzug in die Sechzehntelfinals der ­Europa League geht, und am ­9. Dezember beschliesst der FCB das Jahr mit dem Cup-Achtelfinal in Locarno.

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 30.11.12

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