Wie war es beim Chelsea FC eigentlich zu und her gegangen, bevor Roman Abramowitsch sich den Club 2003 unter den Nagel riss? Vor dem Halbfinal-Duell mit dem FC Basel hat unser London-Korrespondent ein bisschen in seinem Archiv geblättert.
Von Roman Abramowitsch wird die schöne Geschichte kolportiert, dass er kurz vor der Übernahme des FC Chelsea vor knapp zehn Jahren mit dem Helikopter über West-London flog und von der Sicht nach unten wenig begeistert war. «Was, diese Scheisse kaufen wir?», soll er einen Adjutanten angefahren haben. Es lag jedoch ein Missverständnis vor. Der russische Rohstoffmagnat hatte die Spielstätte der Lokalrivalen vom FC Fulham mit dem Stadion an der Stamford Bridge verwechselt.
Wie die Sache ausging, ist bekannt. Wie sie anfing, ist nach einem Jahrzehnt unter dem Oligarchen aber beinahe in Vergessenheit geraten.
Für einen Pfund 1,5 Millionen Schulden gekauft
Chelsea war schon vor der Ankunft des Oligarchen ein Spitzenclub in der Premier League mit vielen Stars. Gianfranco Zola, der kleine Sarde, begeisterte Ende der Neunziger Jahre mit seinem feinen Stil, neben ihm trugen Weltstars wie Ruud Gullit und Marcel Desailly das blaue Trikot. 1999/2000 spielte Chelsea erstmals in der Champions League. Man kam bis ins Viertelfinal, in dem sich der FC Barcelona in der Verlängerung durchsetzte.
Die Idee, die Tribünen-Zäune an der Stamford Bridge unter Strom zu setzen, trug nicht zur Entspannung bei.
Der streitbare Eigentümer Ken Bates (Jahrgang 1931) hatte den Verein 1982 für den symbolischen Betrag von einem Pfund gekauft und dafür 1,5 Millionen Pfund Schulden übernommen. Chelsea spielte damals in der zweiten Liga, um ein Haar hätte man nach einem fehlgeschlagenen Immobiliengeschäft sogar die Spielstätte verloren.
Hooligans und Neonazis
Eine kleine Serie über den Gegner des FC Basel, wenn der nächste Woche (Donnerstag, 21.05 Uhr, St.-Jakob-Park) das erste Halbfinal seiner Europacup-Geschichte gegen den Chelsea FC spielt.
Folge 1 beschäftigte sich mit dem 3:0 der Blues am Mittwoch im Londoner Derby beim FC Fulham. Im Rennen um einen Champions-League-Platz ist bei Chelsea vom FC Basel noch keine Rede.
In Folge 2 wird Juan Mata vorgestellt, der gerade für die Wahl des Spielers des Jahres in England nominiert wurde: Mit dem Gespür für Ästhetik.
Am Sonntag: Chelsea gastiert mit Interimstrainer Benitez bei dessen Ex-Club in Liverpool.
Es war der Höhepunkt der Hooligan-Zeiten. Die Bande der «Chelsea Headhunters» schlitzten ihren Opfern die Mundritzen zum sogenannten «Chelsea smile» auf, zudem unterwanderten Neonazis die Szene. Mit seinem Vorschlag, die Tribünen-Zäune an der Stamford Bridge unter Strom zu setzen, trug Bates nicht unbedingt zur Entspannung der Lage bei.
Dafür war er einer der massgeblichen Wegbereiter der 1992 gegründeten Premier League. Das Geld vom Bezahlsender BSkyB machte die englische Liga zum Hochglanz-Produkt der Entertainmentbranche. Chelsea, im noblen Stadtteil Kensington gelegen, war einer der grössten Nutzniesser des Booms. Bates modernisierte das Stadion und baute zwei Hotels mit zahlreichen Restaurants auf den Komplex – das «Chelsea Village» sollte in London eine eigene Touristenattraktion werden.
Chelsea stellte die erste Elf mit Ausländern auf
Im Dezember 1999 stellte Chelsea als erstes englisches Team eine komplett mit Ausländern besetzte Elf auf. Exorbitante Gehälter für die importierten Profis sorgten jedoch bald für horrende Schulden. Als Abramowitsch sich nach dem Besuch eines begeisternden Champions-League-Spiels zwischen Manchester United und Real Madrid (4:3) im Frühjahr 2003 entschied, in den Fussball zu investieren, fiel die Wahl fast zwangsweise auf Chelsea.
Der Club war darauf daran, sich wieder für die Champions League zu qualifizieren. Er war als Immobilienobjekt wegen der guten Lage interessant und wegen der finanziellen Notlage darüberhinaus auch recht günstig. Abramowitsch übernahm 80 Millionen Pfund an Verbindlichkeiten und zahlte Bates 60 Millionen Pfund für den Verein. Ohne die Intervention des Russen hätte über kurz oder lang der Konkurs gedroht.
«Man fühlte sich in den leichten Nylon-Trikots wie Italiener – und so spielten wir auch.»
An Chelseas 80er-Jahre-Vergangenheit als Club der harten Jungs erinnert an der Bridge heute nicht mehr viel. Das Publikum ist älter und wohlhabender geworden. Nur in musikalischer Hinsicht erweist der Stadion-DJ der Historie vor jedem Match Referenz. Gespielt wird ein aufreizend schlurfendes Reggae-Instrumental, «Liquidator» von den Harry J Allstars.
Die Nummer erschien 1966 auf dem berühmten Londoner Trojan-Label und war ein Top-Ten-Hit. Und sie war die Hymne der frühen Skinheads. Die ursprünglich keineswegs rassistisch eingestellten Kahlköpfe mischten regelmässig die Kings‘ Road auf. Bald war der Look in ganz Grossbritannien populär.
Chelsea der 70er Jahre – eine stilsichere Diva
Auch auf dem Platz war das Chelsea der 70er Jahre als launische, aber extrem stilsichere Diva bekannt. «Wir hatten ein unglaublich modernes Trikot, aus leichtem Nylon», erinnert Ex-Stürmer Alan Birchenall, «man fühlte sich darin wie ein Italiener. Und so spielten wir auch. Wir waren technisch so gut, dass es die anderen Teams wütend machte. Sie nannten uns arrogant.» In diesen Jahren besuchten Hollywood-Stars wie Raquel Welch regelmässig die Spiele.
Der von 2003 bis 2009 als Geschäftsführer engagierte Peter Kenyon wollte sich dieses popkulturelle Kapital zu Nutzen machen und Chelsea als «Marke der Jugendlichkeit, Mode und Musik» platzieren, aber das hat nicht ganz funktioniert. Die Millionen von Abramowitsch haben diese Assoziationen weitestgehend begraben.