Das Erfolgsrezept der neuen Musketiere

Die französischen Tennisprofis, angeführt von Jo-Wilfried Tsonga und Gael Monfils, sehen im Davis Cup auch die Gelegenheit, etwas für die jahrelange Karriereförderung zurückzuzahlen, die in Frankreich straff organisiert ist. Die Geschichte einer verschworenen Gemeinschaft, die von Freitag an der Schweizer Gegner im Endspiel ist.

Einer für alle, alle für einen – das französische Davis-Cup-Team bei seinem Halbfinal-Erfolg gegen Tschechien. (Bild: Imago)

Die französischen Tennisprofis, angeführt von Jo-Wilfried Tsonga und Gael Monfils, sehen im Davis Cup auch die Gelegenheit, etwas für die jahrelange Karriereförderung zurückzuzahlen, die in Frankreich straff und zentral organisiert ist. Die Geschichte einer verschworenen Gemeinschaft, die von Freitag an der Schweizer Gegner im Endspiel ist.

Auf den grünen Tennisfeldern von Wimbledon hechtete, sprang und schmetterte damals, im Jahr 2011, keiner so schön wie Jo-Wilfried Tsonga. Ein Dutzend Tage lang, bis ins Halbfinale, verzauberte der Mann mit dem Ali-Gesicht Fans und Experten im All England Club, mit seiner Eleganz, mit seiner Artistik – und mit dem ganz besonderen Kunststückchen, als erster Grand-Slam-Spieler überhaupt Roger Federer nach einem 0:2-Satzrückstand noch besiegt zu haben.

«Keine Frage», sagt Tsonga im Blick zurück, «das war der grösste Tag meiner Tenniskarriere. Wimbledon, Federer, dann dieses Comeback von mir, sensationell.»

Dynamik und Rafinesse

Vielleicht muss Tsonga, dieser harte, aber elegante Draufschläger, seine persönliche Hitliste grosser Tennismomente bald schon revidieren. Denn in dieser Saison sollen die Länderspiel-Expeditionen der neuen französischen Musketiere unbedingt mit dem Gewinn der «hässlichsten Salatschüssel der Welt» enden – am Wochenende in Lille. Gegen die Schweiz. Gegen das Team von Swiss Tennis.

Und eben auch gegen Roger Federer. Falls der denn tatsächlich antreten kann. «Der Davis-Cup-Sieg, das ist ein Traum, den ich genau so in meinem Herzen habe wie einen Grand-Slam-Erfolg», sagt Tsonga.

Dynamik und Raffinesse prägen Tsongas Spiel genau so wie das seines langjährigen Freundes Gael Monfils oder von Gilles Simon, allesamt Weltklasse-Solisten im gallischen Team. «Sie alle sind echte Führungsspieler ohne jede Allüren. Ein Geschenk für jeden Trainer», sagt Guy Forget, der frühere Trainer der Franzosen.

Einer für alle, alle für einen

Tsonga, Monfils, Simon, aber auch Richard Gasquet, Julien Benneteau oder Michael Llodra stehen symbolhaft für den verschworenen Mannschaftsgeist der Besten aus der Grande Nation. Spieler, die tatsächlich dem heiligen Prinzip folgen: einer für alle, alle für einen.

«Wir feiern und wir weinen zusammen», sagt Monfils, der Rapper-Typ, mit leichtem Pathos. «Und wir haben uns auch etwas zu sagen, wenn wir gerade nicht Tennis spielen.»



Das französische Team – angeführt von Gael Monfils (Zweiter von rechts) und Jo-Wilfried Tsonga (Mitte) – beim Halbfinal-Sieg gegen Tschechien.

Das französische Team – angeführt von Gael Monfils (Zweiter von rechts) und Jo-Wilfried Tsonga (Mitte) – beim Halbfinal-Sieg gegen Tschechien. (Bild: Imago)

Welcher Zusammenhalt und welche Selbstlosigkeit diese Spielergeneration der Franzosen prägt, zeigt auch der Umstand, dass sich selbst Weltklassespieler nicht zu schade sind, als Sparringspartner für ihre Teamkollegen zur Verfügung zu stehen – dann, wenn sie selbst nicht nominiert sind fürs Team.

Die Spieler um Tsonga, Simon und Monfils sind nach bitter-süssen Lehrjahren im besten Alter, um ihren reichen Erfahrungsschatz als Tour- und Nationalspieler mit dem ultimativen Davis-Cup-Coup zu veredeln. «Sie sind durch alle Höhen und Tiefen gegangen. Euphorie und Enttäuschung gab es. Verletzungspech, strahlende Comebacks, wieder Rückschläge», sagt der neue Davis Cup-Boss Arnaud Clement, «diese Jungs haben schon jetzt ein breites Rückgrat.»

Stolz sei er, sagt Ex-Coach Forget, dass es nie «Egoismus, Neidereien und Eitelkeiten» gegeben habe. «Es geht zwar auch mal kontrovers zu, aber am Ende ist da eine erstaunliche Harmonie.» Selbst Yannick Noah, der charismatische Altmeister, kann da nur schwärmen. «Bei dieser Mannschaft ist das Ganze grösser als die Summe seiner Teile», sagt Forget.

Nationale Pflicht

Seit jeher geniesst der älteste jährliche Teamwettbewerb bei den besten Franzosen höchste Priorität – als nationale Pflicht genauso wie als Chance, dem Verband und dessen Trainern etwas zurückzuzahlen nach jahrelanger Karriereförderung.

«Wir beklagen uns nie über den engen Terminkalender. Wir spielen einfach Davis Cup. Immer wieder», sagt Monfils, der akrobatische Künstler. Genau wie er verbrachte auch Tsonga lange Ausbildungsjahre im Leistungszentrum Roland Garros, eine Zeit, die die neuen Musketiere zusammenschweisste und enge Freundschaften schuf.



Höchste Priorität: Französische Tennis-Fans in Roland Garros beim 4:1-Halbfinal-Sieg im September über Tschechien.

Höchste Priorität: Französische Tennis-Fans in Roland Garros beim 4:1-Halbfinal-Sieg im September über Tschechien. (Bild: Imago)

Tsonga, der Publikumsliebling über die Grenzen und Kontinente hinweg, sagt sogar, seine Kollegen hätten ihn vor nahezu einem Jahrzehnt vor dem Karriereende bewahrt: «Ich hätte sicher aufgehört, wenn die Jungs mir nicht immer wieder Mut gemacht hätten.» Umgekehrt half er Monfils aus dem Tal der Tränen heraus, als der wegen Knie- und Schulterverletzungen pausieren musste.

Und gemeinsam kümmerten sich Tsonga, der Puncher, und der gereifte Clown Monfils auch um Mannschaftskamerad Gasquet, als der wegen einer undurchsichtigen Doping-Affäre vorübergehend ins Zwielicht geraten war. «Davis-Cup-Wochenenden sind für alle im Team ein Fest – und keine Pflicht», sagt Llodra, der Doppelexperte.

Zentralistische Talentförderung

Dass sie in der Spitze und der Breite so stark ist, die Tennis-Nation Frankreich, das ist im Wesentlichen der zentralistischen Talentförderung und einem planvollen Diktat der Fédération Française de Tennis (FFT) zu verdanken. Im Gegensatz zu anderen grossen Tennisverbänden hat die FFT ihre Organisation mit den Millioneneinnahmen der French Open straff aufgebaut und organisiert. Ein Heer von jungen, hoch qualifizierten Sport- und Wirtschaftsmanagern verwaltet die üppigen Etats ohne die branchenübliche Verschwendung sehr zielorientiert.

Die anderswo oft beobachteten Kompetenzstreitigkeiten zwischen lokalen, regionalen und nationalen Trainern haben die Franzosen ausgeschaltet. Die Autorität und Entscheidungsbefugnis der Machtzentrale Paris wird allgemein akzeptiert.

Auch im Tennis führen in Frankreich somit die meisten Wege nach Paris, ins Tennis-Internat im Stadion Roland Garros. Die meisten der jetzt aufstrebenden Tour-Grössen haben dort vor ihrer professionellen Laufbahn schulische Ausbildung und harte Trainingseinheiten sinnvoll miteinander verquickt.

Davis-Cup-Final 2014, 21. bis 23. November
Ort: Lille, Stade Pierre-Mauroy; gespielt wird auf Sandbelag.

Programm:
Donnerstag, 20.11., 12.30 Uhr: Auslosung
Freitag ab 14.00 Uhr: erstes und zweites Einzel
Samstag, 15.30 Uhr: Doppel
Sonntag ab 13.00 Uhr: drittes und viertes Einzel

Frankreichs Aufgebot unter Captain Arnaud Clément:
Jo-Wilfried Tsonga, ATP 12
Richard Gasquet, ATP 26
Gaël Monfils, ATP 19
Julien Benneteau, ATP 25

Schweizer Aufgebot unter Captain Severin Lüthi:
Roger Federer, ATP 2
Stanislas Wawrinka, ATP 4
Marco Chiudinellei, ATP 212
Michael Lammer, ATP 508

Stand Frankreich vs. Schweiz im Davis Cup: 10:2 – Details zu den bisherigen Begegnungen;
die offizielle Website zum Davis Cup

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