Prestigeträchtig ist er allemal, der 1:0-Sieg der Schweiz über Brasilien. Aber Trainer Ottmar Hitzfeld schwankt zwischen Genuss und Realismus und scheint zu ahnen, welche Gefahren ein kleiner Triumph über den Rekordweltmeister birgt.
Trainer, die grossen, geschickten sowieso, haben es an sich, dass sie antizyklisch vorgehen. Deshalb war von Felipe Scolari keine Wutrede zu hören, als der mit der Seleção im St.-Jakob-Park unterlegen war: «Ich habe es so erwartet». Und von Ottmar Hitzfeld gab es keine Jubelarie. Ein Sieg, der gut tut, sagte der Schweizer Nationaltrainer und lenkte nach dem wenn nicht historisch so doch prestigeträchtig einzuordnenden Resultat die Aufmerksamkeit sogleich auf den 6. September und das nächste WM-Qualifikationsspiel.
28.6.1950 in Sao Paulo
Brasilien–Schweiz 2:2
11.4.1956 in Zürich
Schweiz–Brasilien 1:1
21.12.1980 in Cuiaba
Brasilien–Schweiz 2:0
19.5.1982 in Recife
Brasilien–Schweiz 1:1
17.6.1983 in Basel
Schweiz–Brasilien 1:2
21.6.1989 in Basel
Schweiz–Brasilien 1:0
15.11.2006 in Basel
Schweiz–Brasilien 1:2
14.8.2013 in Basel
Schweiz–Brasilien 1:0
Dann geht es gegen – Island. Um drei Punkte. Dann, sagt Hitzfeld, «müssen wir mentale Stärke zeigen». Der Lörracher hat zu viel erlebt in seinem Fussballerdasein, als dass er nicht wüsste, welches Gift in einem 1:0-Sieg einer Schweizer Nationalmannschaft gegen den Rekordweltmeister steckt. Die fröhliche Samba-Stimmung im mit 31’100 Zuschauern nicht einmal vollbesetzten Joggeli war noch nicht verebbt, da gab der Trainer schon Gegensteuer: «Wir geniessen diesen Sieg, aber wir machen nicht den Fehler und überbewerten das Resultat.»
Und dennoch: Es war ein phasenweise mitreissendes Spiel der Schweizer, von einer Beseeltheit getragen, die diese Nationalmannschaft unter Ottmar Hitzfeld noch selten an den Tag gelegt hat. Immerhin seit zehn Spielen hat sie nicht mehr verloren, sie ist jetzt fast 400 Minuten ohne Gegentor, und jetzt wäre es einmal schön, wenn sie ihr spielerisches Vermögen auch auf den Platz brächte, zum Beispiel gegen Island oder dann vier Tage später in Oslo gegen Norwegen, wenn es darum geht, Brasilien bald wieder zu beehren. Im Juni nächste Jahres bei der WM-Endrunde.
Beherzt und kraftvoll
Nun kann man lange hin und her wenden, ob es am Fitnesszustand der Brasilianer lag (Scolaris These) oder an ihrer Lust, die lediglich für eine schwungvolle erste Halbzeit reichte, aber für nicht viel mehr. Was das Ergebnis, aber noch viel mehr die Vorstellung der Schweizer so wertvoll macht, ist das beherzte und kraftvolle Spiel nach vorne.
Auch wenn es im Strafraum nicht die grossen Chancen gab – die Mannschaft strahlte bei ihren Gegenstössen stets Gefahr aus, es ging mit Tempo und zielstrebig über die Mittellinie, und die Räume, die der Rekordweltmeister anbot, wurden weidlich genutzt. Da agierte eine Schweizer Nationalelf, die über ein Gerüst verfügt und bei der einige Automatismen gut griffen.
Starker Behrami, starker Shaqiri
Es kommt nicht von ungefähr, dass Hitzfeld sein zentrales Mittelfeldduo Valon Behrami und Blerim Dzemaili hervorhob. Die beiden Napoli-Söldner kauften die Brasilianern nicht nur den Schneid ab, Dzemaili war auch offensiv präsent und Behrami machte eines seiner besten Länderspiele überhaupt: «Er ist», sagte Hitzfeld, «in blendender Verfassung und stellt sich mit seiner Zweikampfstärke und seinem Laufvermögen in den Dienst der Mannschaft.»
Keiner der Schweizer Spieler fiel ab, vielleicht am ehesten noch Philippe Senderos, der mit der Quirligkeit Neymars in der Anfangsphase Mühe bekundete und für ein Foul, das ihn für eine nachträgliche Nominierung fürs Eidgenössische Schwingerfest qualifizieren würde, im frühen Stadium der Partie Gelb sah. Auch Granit Xhaka hatte nicht den Einfluss seiner Nebenleute im Aufbau.
Das Tor des Abends im Video:
Unter den vielen guten Spielern, zu den auch die Basler Valentin Stocker und Debütant Fabian Schär zählten, ragten ausserdem Xherdan Shaqiri, er vor allem, und Haris Seferovic heraus. Sie waren die Autoren des Tor des Abends, Shaqiri mit dem richtigen Timing für den Pass in den Lauf von Seferovic, und der Stürmer von Real Sociedad mit seinem Zug auf die Grundlinie. Seine Flanke aus vollem Lauf köpfelte Dani Alves beim Klärungsversuch ins eigene Tor: sehenswert in die hohe Ecke.
Seferovic – ein Versprechen
Seferovic, der 2009 in Nigeria mit seinem Tor die Schweizer U17 zum Weltmeister gemacht hatte, demonstrierte in Basel, dass nicht umsonst einige Hoffnungen auf ihm ruhen. Als einzige Spitze aufgeboten, wich er geschickt auf die Flügel auf, von wo er immer wieder gefährlich wurde. Fast erinnert er von Statur und noch mehr von der Spielanlage her an Marco Streller.
Hitzfeld fand für die Kräfteverhältnisse auf dem Feld diese Formel: «Brasilien führt die noch feinere Klinge, aber wir haben Druck mit unseren Mitteln gemacht.»
Bei der Seleção dagegen erinnerte nicht mehr allzu viel an den Confed-Cup-Gewinner vor fünf Wochen mit dem 3:0-Finalsieg über Spanien. Zwar hatte Scolari die Elf nur auf zwei Positionen verändert – Jefferson stand anstelle Julio Cesars im Tor, Dante verteidigte statt David Luiz – und die Brasilianer wirkten zumindest in den ersten 45 Minuten motiviert und auch spielfreudig.
Neymar – Sinnbild Brasiliens
Aber die Kompaktheit und die offensive Entschlossenheit, die sie noch beim WM-Vorbereitungsturnier ausgezeichnet hatte, ging Brasilien in Basel ab. Sinnbildlich dafür steht Neymar, der junge Mann, der die Hoffnungen einer ganzen Fussballnation auf seinen schmalen Schultern trägt.
Neymar fummelte sich anfangs ein paar mal durch, geriet dann in Clinch mit Lichtsteiner, der Schweizer Nervensäge, die von der brasilianischen Nervensäge Marcelo eine Ohrfeige kassierte und sich mit einem Tritt revanchierte. Nach der anschliessenden Rudelbildung verlor Neymar zusehens den Faden, und am Ende musste sich der zum FC Barcelona gewechselte Superstar sogar Pfiffe des Basler Publikums gefallen lassen.
Vom grossen Filipão bekam Neymar ins Stammbuch geschrieben, dass er sich nun an den europäischen Weg gewöhnen müsse, sein Art zu spielen anpassen müsse. Das galt unter anderem der Szene, als sich Neymar von Dzmailis Textilvergehen penaltyreif gebremst wähnte, der deutsche Schiedsricher Deniz Aytekin dies aber längstens nicht als ausreichend für einen Pfiff taxierte.
Hitzfeld, der Realist
Das passierte noch vor der Pause, als die Brasilianer es noch verstanden, die Schweizer Deckung aufzumischen, als Paulinho mit einem Kopfball die Querlatte traf (39.) und Benaglio mit seiner Fussparade gegen Oscar seinen Beitrag zum gelungenen Abend beitrug (44.). «Ich bin Realist», sagte Hitzfeld noch, «ich habe Schwächen gesehen, wo wir verwundbar sind.»
Diese Einschätzung ging natürlich unter an einem Abend, an dem sich die Fussball-Schweiz wieder einmal richtig mit ihrer Nationalmannschaft freuen konnte. Das gab es mit dem realistischen Ergebnistrainer Hitzfeld nicht allzu oft in den vergangenen viereinhalb Jahren. Die beiden harzigen Spiele gegen Zypern (0:0, 1:0) gehören auch zum jüngsten Leistungsausweis dieses Teams. Und Island lauert bereits.
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- Russlands Blamage in der WM-Qualifikation
10 Spiele ohne Niederlage – die Schweizer Serie | |||
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Datum | Wettbewerb | Partie | Resultat |
15.8.2012 | Testspiel | Kroatien–Schweiz | 2:4 |
7.9.2012 | WM-Qualifikation | Slowenien–Schweiz | 0:2 |
11.9.2012 | WM-Qualifikation | Schweiz–Albanien | 2:0 |
12.10.2012 | WM-Qualifikation | Schweiz–Norwegen | 1:1 |
16.10.2012 | WM-Qualifikation | Island–Schweiz | 0:2 |
14.11.2012 | Testspiel | Tunesien–Schweiz | 1:2 |
6.2.2013 | Testspiel | Griechenland–Schweiz | 0:0 |
23.3.2013 | WM-Qualifikation | Zypern–Schweiz | 0:0 |
8.6.2013 | WM-Qualifikation | Schweiz–Zypern | 1:0 |
14.8.2013 | Testspiel | Schweiz–Brasilien | 1:0 |
Die nächsten Spiele (WM-Qualifikation): 6.9., Bern: Schweiz–Island | 10.9., Oslo: Norwegen–Schweiz | 11.10., Tirana: Albanien–Schweiz | 15.10, Bern: Schweiz–Slowenien. |