Sie denken, nur die Deutschen oder die Schweizer schlängeln sich glanzlos durch die WM-Qualifikation? Dann ist ein Blick auf die Insel angeraten.
Zwei Minuten vor dem Abpfiff applaudierte Steven Gerrard auf dem Weg in die Kabine dankend dem Publikum, das ihn zugleich ausgiebig beklatschte. Man kennt das, im Wembley-Stadion und auch sonst auf der Insel, grosszügige Sympathiebekundungen für vorzeitig vom Platz gehende Kicker gehören dazu. Aber so sinnentleert wie am Dienstagabend wirkte das Ritual selten: Gerrard, 32, war soeben wegen eines zweiten dämlichen Fouls mit Gelb-Rot des Feldes verwiesen worden, nur eine Minute nachdem Frank Lampards 1:1-Ausgleich mittels Handelfmeter eine Peinlichkeit gegen die Ukraine abgewendet hatte.
Die übermotivierte, verspätete Grätsche des englischen Captains gegen Denys Garmash beendete die kurze Druckphase der Gastgeber und brachte den Stadionsprecher in Schwierigkeiten. «Man of the Match: England’s number 4…», schallte es aus den Lautsprechern, bevor plötzlich doch Lampard, dem Mann mit der 8 auf dem Rücken, die Ehre zukam. Rotsünder dürfen laut Verbandsregel keine Matchwinner sein, Ausländer schon gar nicht.
Die Kicker bleiben ihrer Inkompetenz treu
Die offiziell 68‘000 Zuschauer im doch eher spärlich besuchten Nationalstadion waren sehr nachsichtig mit Gerrard und seinem Team, das gerade noch Schlagzeilen à la «Hühnchen 0 – Kiew 1» vermieden hatte. Man begnügte sich mit dem Punktgewinn und goutierte die unkoordinierten Bemühungen von Roy Hodgsons Elf. In den Medien aber fiel das Urteil vernichtend aus, da die phasenweise chaotische Vorstellung der «Three Lions» als schmerzhafte, die nationale Hochstimmung der vergangenen Wochen regelrecht zerstörende Zäsur empfunden wurde.
«Roy-Flops machen unseren goldenen Sommer kaputt», titelte die «Sun» mit keineswegs gespielter Wut. Im Gegensatz zu den vielen britischen Olympia-Helden – von denen einige zur Halbzeit auf dem Rasen gefeiert wurden – und dem frisch gebackenen US Open-Sieger Andrew Murray bleiben die Kicker sich und ihrer jahrzehntelangen Inkompetenz hartnäckig treu. Dass England von der Fifa als drittbeste Mannschaft der Welt geführt wird, sorgt selbst bei den treuesten Anhängern nur noch für Belustigung.
«Ich bin nicht sicher, ob ich bereit bin
zu akzeptieren, dass dies
keine sehr gute Leistung war»
Hodgson musste gegen Olge Blochins technisch feine, klug konternde Elf mit Bayerns Anatoliy Tymoschchuk als Captain unter anderem Wayne Rooney, John Terry und Ashley Cole ersetzen. Es gab auch, der Überlegenheit der Gäste zum Trotz, einige Torgelegenheiten. Der von Hodgson im Vorfeld etwas unglücklich mit Cesc Fàbregas verglichene Tom Cleverley (Manchester United) vergab die beste, als er aus kürzester Distanz den neben (!) seinem Kasten stehenden Torhüter Piatov traf. Kurz darauf hämmerte der junge Yevgen Konoplianka den Ball aus der Distanz in den Giebel, Gerrard war ihm nicht hinterhergekommen (39.).
Hodgsons verquaste Untersekretär-Rhetorik
Englands Nationaltrainer tat sich hinterher keinen Gefallen, als er über «75 Minuten Dominanz» dozierte, England «besser als beim 1:0-Sieg» gegen den selben Gegner bei der EM wähnte und mit verquaster Untersekretär-Rhetorik («Ich bin nicht sicher, ob ich bereit bin zu akzeptieren, dass dies keine sehr gute Leistung war») über offensichtlichen Schwächen in allen Mannschaftsteilen ablenken wollte.
Das Wohlwollen, das den 65-Jährigen noch im Juni begleitet hatte, ist nun aufgebraucht; der Weg durch die durchaus knifflige Gruppe H mit der Ukraine, dem Angstgegner Polen und den defensivstarken Montenegrinern wird nach diesem Resultat beschwerlich. «Am 12. Oktober geht es (im Wembley) gegen San Marino, dieses Spiel darf man nicht verpassen!», warb der Stadionsprecher am Ende mit einer Spur von Verzweiflung in der Stimme. Der rotgesperrte Gerrard wird das insgeheim vielleicht anders sehen.
Die Situation in der WM-Qualifikation.
WM-Qualifikation, Gruppe H
England–Ukraine 1:1 (0:1)
Wembley, London. – 68’000 Zuschauer. – SR Cakir (Tür).
Tore: 38. Konopljanka 0:1. 87. Lampard (Handspenalty) 1:1.
England: Hart; Johnson, Jagielka, Lescott, Baines (73. Bertrand); Gerrard, Lampard; Milner, Cleverley (62. Welbeck), Oxlade-Chamberlain (69. Sturridge); Defoe.
Bemerkungen: England u.a. ohne Rooney, Ashley Cole und Terry (alle verletzt). 88. Gelb-Rot gegen Gerrard (Foul).