La Decima – den zehnten Titel bei den French Open – könnte Rafael Nadal gewinnen. Und es gibt kaum jemanden, der das dem Mallorquiner, der am Samstag 31 wird, nicht zutraut. Sein Comeback ist nicht weniger erstaunlich als jenes von Roger Federer.
Auf dem Centre Court von Miami hatte Roger Federer Anfang April eine ziemlich genaue Vorstellung, wie die nächsten Tennismonate ablaufen würden. Federer, der Champion des Florida-Masters, blickte an jenem Finalsonntag herüber zu seinem gerade geschlagenen Gegner Rafael Nadal und prophezeite dies: «Du wirst nicht lange traurig sein. Die Sandplatzsaison geht jetzt los. Und ich habe das Gefühl, dass das ein richtiger Siegeslauf für dich werden wird.» Dann verabschiedete sich Federer in eine ganz lange Urlaubszeit und Entspannungsphase – und überliess Nadal, dem ewigen Gegenspieler und Freund, buchstäblich das Feld.
Es ist dann auch genau so gekommen, wie der Schweizer es vorhergesagt hat, wenn man von einem kleinen Schönheitsfehler absieht, nämlich der Viertelfinal-Niederlage des Strassenkämpfers Nadal beim Masters in Rom gegen Dominic Thiem. Aber in die Internationalen Französischen Meisterschaften, traditionell das herausforderndste aller Major-Turniere, geht der bullige Mallorquiner mit einer furchterregend starken Bilanz, den Siegen in Monte Carlo, Barcelona und Madrid, und in altgewohnter Favoritenpose.
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«Nadal, ganz klar», sagt Boris Becker auf die Frage, wer Titelkandidat Nummer eins bei dieser 2017er-Auflage des Roland-Garros-Spektakels ist. Auch Mats Wilander, einst in den 1980er-Jahren die marktbeherrschende Tenniskraft, kann sich «nichts anderes vorstellen als den Sieg von Rafa». Und dieser Sieg hätte historische Dimension, versehen mit dem Etikett «La Decima». Nummer zehn, sage und schreibe.
Nadals schwierige Zeit: Mehr Fragen als Antworten
Was allerdings für viele Pariser Jahre fast Gewohnheitsrecht gewesen ist, die herausragenden Titelambitionen Nadals vor allen anderen Mitbewerbern, das ist längst keine Selbstverständlichkeit mehr. Dazu muss man nur knappe zwölf Monate zurückblicken, zu den French Open 2016: Sie endeten für den «Stier von Manacor» mit einem frustrierenden Tiefpunkt, wegen einer Handgelenksblessur zog sich der neunmalige Champion mitten im Turnier zurück, liess dann auch andere Grosstermine wie Wimbledon sausen.
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Ob und wie es mit seiner verletzungsgeplagten Karriere weitergehen würde, war ein Rätsel. «Es war eine Zeit, in der es mehr Fragen als Antworten gab. Und viele Zweifel», sagt Nadal.
Drei Jahre hat Nadal in Summe schon pausieren müssen, sein Körper streikte immer wieder unter den Belastungen, die das kräftezehrende Spiel ihm abverlangte. Aber keiner kämpfte sich auch mit einer unbeugsamen Moral und Leidenschaft immer wieder so stark zurück wie der Spanier – ein Mann, den der augenblickliche Tennis-Frontmann Andy Murray einmal ein «Mentalitäts-Monster» nannte.
Spitznamen gibt es ohnehin genug für den Unermüdlichen, in Paris, rund um Roland Garros, nennen sie ihn martialisch «Kannibale» oder auch «Oger» – nach einem Märchen-Ungeheuer. Es hat vor allem mit seiner ungestümen, überwältigenden Spielweise im Sand zu tun gehabt, jenen Auftritten, mit denen er alle in Grund und Boden spielte, auch die Allerbesten wie Federer und Djokovic.
Federer hat bis heute unterm Eiffelturm kein einziges Spiel gegen Nadal gewonnen, Djokovic verlor ein halbes Dutzend Mal, bevor er 2015 den Nadal-Fluch überwand.
Alptraum einer ganzen Spielergeneration
Nadal, der Alptraum einer ganzen Spielergeneration in Paris, erlebte dann selbst eine Schreckenszeit mit immer neuen Verletzungssorgen und Ungewissheiten. Er war sogar noch klarer abgeschrieben als sein Mitstreiter Federer, der es den Untergangspropheten dann in den ersten drei Monaten der Saison mal so richtig zeigte, als Grand-Slam-Champion von Melbourne, als Masters-Sieger von Indian Wells und Miami.
Rafael Nadal wird doch nicht Onkel Tonis Gene haben? (Bild: Reuters/BENOIT TESSIER)
Schon dabei überzeugte auch Nadal, seine Comeback-Leistung etwa im Australian-Open-Endspiel war imponierend. «Die Art und Weise, wie Nadal zurückgekehrt ist, das ist eine absolute Sensation», sagt jetzt Altmeister John McEnroe. Der Mallorquiner sei nicht nur Topfavorit für Paris, sondern auch wieder Anwärter auf Platz 1 der Weltrangliste: «Man muss ihn überall beachten, auch in Wimbledon.»
Nadal eröffnete im letzten Herbst seine millionenschwere Tennisakademie in Manacor, er hat längst für die Zukunft nach dem Tourleben vorgesorgt. Aber noch ist er selbst die Gegenwart im Tennis, in der Weltspitze. Ein Stehaufmännchen, auch nach all den Jahren. Der zehnte Titel in Paris, es wäre gewiss einer der grössten, emotionalsten in seiner Profikarriere.
Liste aller Finalisten im Männereinzel (Bild: Wikipedia)