Gerade 18 Jahre alt geworden, steht Martin Ödegaard am Scheideweg. Das vor zwei Jahren hochgejazzte norwegische Talent spielt bei Real Madrid keine Rolle und soll nun ausgeliehen werden. Das einzige, was bisher Schlagzeilen machte, war eine Klarstellung seines Vaters an die spanischen Finanzbehörden.
Natürlich hat Martin Ödegaard bei Real Madrid schon positive Schlagzeilen geschrieben. Nicht mal einen Monat ist es her, da wurde er sogar als leuchtendes Vorbild für Cristiano Ronaldo gefeiert. Grund dafür war allerdings nicht eines seiner gelegentlichen Kabinettstückchen im Training mit dem Superstar, sondern die Email seines Vaters an eine spanische Steuerkanzlei.
Die Anregung, die Einkünfte aus seinen Bildrechten doch – wie etwa Ronaldo – ein bisschen kreativer zu verrechnen, lehnte Hans Erik Ödegaard vor gut einem Jahr mit folgendem Schlusssatz ab: «Es ist auch eine moralische Frage, wie stark er sich bemühen sollte, Steuern zu sparen, während andere Menschen viel mehr kämpfen müssen, die ihren zu bezahlen. Frohe Weihnachten!»
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Wenn es doch nur auch auf dem Platz so vorbildlich laufen würde. Doch da wird Ödegaard längst nicht mehr als der Optionsschein auf die Fussball-Weltherrschaft gehandelt, als der er im Januar 2015, kaum 16 Jahre alt geworden, von den Topklubs des Kontinents umgarnt wurde.
Schliesslich entschied er sich für Real: ausgestattet mit einem Jahresgehalt von drei Millionen Euro und der Zusicherung, stets mit der ersten Mannschaft trainieren zu dürfen. Da lautet die Bilanz: 32 Ligaminuten im letzten Spiel der Saison 2014/15 gegen Getafe. 90 Minuten im Pokalrückspiel gegen den Drittligisten León vor einem Monat (nach 7:1 im Hinspiel). Am Mittwoch beim 3:0 im Achtelfinalhinspiel gegen Sevilla sass er wegen diverser Verletzungsausfälle auf der Bank. Fast schon ein Highlight.
Ödegaards Spiel fehlt Klarheit und Gefährlichkeit
Mit so niederschmetternden Zahlen konnte keiner rechnen angesichts der Bewerbungsunterlagen. Ödegaard kam ja als Nationalspieler, der jüngste, der jemals für eine europäische Auswahl ein Pflichtspiel bestritten hatte. Ausserdem hatte er für seinen Verein Strömsgodset IF, bei dem er mit 15 Jahren und vier Monaten debütiert hatte, in 23 Pflichtspielen immerhin fünf Tore und sechs Torvorlagen verbucht.
Norwegische Liga, das ist wohl in etwa das Niveau der dritten spanischen, in der er seitdem für Real Madrid Castilla kickt, die zweite Mannschaft des Champions-League-Siegers. Doch eine Weiterentwicklung ist schon statistisch nicht festzustellen: 62 Spiele, fünf Tore, acht Torvorlagen.
Jedes Scouting unterstreicht den Eindruck auch optisch: Nominell meist aufgeboten als Flügelstürmer, wirkt er oft abgekoppelt vom Teamspiel. Seinen Dribblings von aussen nach innen, Markenzeichen zeitgenössischer Ausnahmeangreifer gerade in jungen Jahren, fehlen Klarheit und Gefahr.
Eine Kur in Demut bei einer Ausleihstation
Wie die Generationskollegen Borja Mayoral, 19 (Wolfsburg) oder Jesús Vallejo, 19 (Frankfurt) soll auch das Wunderkind deshalb jetzt den Weg über eine Ausleihe gehen. Obwohl es dabei durchaus eine Nummer kleiner sein darf als die Bundesliga, gestaltet sich die Vereinssuche schwierig. Dafür, dass ihn das «Time Magazine» 2015 sogar auf die Liste der «30 einflussreichsten Teenager» der Welt setzte, hält sich das Interesse zwei Jahre später in erstaunlich engen Grenzen. Das favorisierte Stade Rennes sagte ab, als aktueller Favorit wird nun der SC Heerenveen gehandelt.
Holländische Eredivisie – es wäre eine Kur in Demut. Denn die sonst so gefestigten Ödegaards haben einen Fehler gemacht, sich eine Eitelkeit geleistet, eine nur – aber eine fatale. Wo sie alle Starprivilegien bei der Steuererklärung ablehnten, hatten sie bei der sportlichen Sonderbehandlung keine Bedenken.
Womöglich waren sie einfach zu unerfahren, um die Gefahr der Vertragsklauseln zu erkennen, auf die sie am meisten Wert legten. Dass Martin ein Zimmer im Gebäude der ersten Mannschaft zustehe. Dass er erst am Abend vor einer Partie zur zweiten Mannschaft stossen müsse.
Zwischen Starbehandlung und Nachwuchsrealität
Mit Ronaldo und Bale trainieren, aber im Spiel die Unterstützung von Sánchez und Gutiérrez brauchen: das kann kaum funktionieren. Neid und Missgunst sind dabei nur eine Seite des Problems, es gilt ja auch Mechanismen einzuüben. Wie soll einer in den Mittelpunkt einer Mannschaft rücken, mit der er nicht regelmässig arbeitet? Er müsste schon ein fertiger Messi sein und kein Messi-Projekt.
Und so scheint sich Ödegaard zwischen seinen zwei Welten verloren zu haben. In der Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen – Starbehandlung und Nachwuchsrealität – ist sein echtes Potenzial kaum noch zu dechiffrieren. Ohne Selbstbewusstsein ist auch ein Ausnahmesportler nur gewöhnlich. Ohne Unbekümmertheit verliert ein Talent seinen Unterscheidungsfaktor.
Im gewaltigen Medienbetrieb um Real Madrid ist er schon fast vergessen. «El País» attestiert ihm kürzlich, «Pinselstriche» zu hinterlassen, «As» bezeichnete seinen gehemmten Fussball als «Kleinmalerei». Sein Vertrag in Madrid läuft bis Sommer 2018. Momentan spricht nichts für eine Verlängerung.
Doch auch wenn es das schon gewesen sein sollte: zumindest eine moralische Botschaft haben die Ödegaards hinterlassen.
Martin Ödegaard im Cup-Match Ende November: