Der FC Basel steht nach dem 4:2-Hinspielsieg in den Playoffs gegen Ludogorets Razgrad vor seiner fünften Champions-League-Teilnahme. Die sich im ständigen Umbau befindende Mannschaft lebt von individueller Klasse, sucht jedoch noch nach Stilsicherheit.
Es dauerte nicht lange nach Spielschluss, ehe in Sofia die Sprache auf einen geläufigen und doch unerforschlichen, fast geheimnisvollen Begriff kam: die internationale Erfahrung.
Ein rätselhaftes Ding ist sie, bezogen auf ein Mannschaftsgebilde, sie ist käuflich nur sehr teuer auf dem Transfermarkt erhältlich und muss ansonsten inklusive schmerzvoller Rückschlage und bitterer Lehrstunden über Jahre und viele Spiele hinweg angesammelt werden, um dann im richtigen Augenblick zur Anwendung zu kommen.
Stoycho Stoev, der Trainer von Ludogorets Razgrad, nahm die 2:4-Niederlage gegen den FC Basel deshalb mit Fassung und Sinn für Realismus: «Auf internationaler Ebene sieht man, was unserer Mannschaft fehlt: Erfahrung und Routine.» Dabei hatte der zweifache bulgarische Meister seinen erklecklichen Anteil an einem Spiel von phasenweise hoher Intensität und auch Unterhaltungswert, der wiederum von den Mängeln beider Abwehrreihen lebte.
Ludogorets sah sogar alle Vorteile auf seiner Seite, als es kurz nach Seitenwechsel das 0:1 in ein 2:1 verwandelt und mit seinem rasanten Umschaltspiel das nach wie vor anfällige Defensivverhalten beim FC Basel aufgedeckt hatte.
Mit dem Selbstbewusstsein des FCB
Noch immer kommt einem das Spiel des Marcelo Diaz im Trikot des FC Basel so vor, als ob er gerne mehr Bälle in den Füssen hätte. Und manchmal wirkt es so, als ob der vor einem Jahr aus Chile geholte Nationalspieler von seinen Mitspielern übersehen wird. An seiner Grösse (1,68 Meter) liegts wahrscheinlich nicht, eher an der Systematik des Basler Spiels, dass Diaz zuweilen wie nicht im Spiel erscheint.
Das Angebot, ihm den Ball zu spielen, erarbeitet er sich mit immenser Laufleistung. Laut Uefa-Statistik spulte der 26-Jährige am Mittwoch in Sofia über 13 Kiometer ab, ein hoher Wert, der höchste der über 93 Minuten eingesetzten FCB-Spieler.
Die Top 3 nach Laufleistung:
Marcelo Diaz 13’325 Meter
Mohamed Elneny 12’484
Fabian Frei 11’807
Interessant ist der Unterschied bei den beiden Aussenverteidigern: Rechts rannte Kay Voser 11’104 Meter auf und ab und öfter als ihm lieb war dem besten Bulgaren, Ivan Stoyanov, hinterher. Behrang Safari auf der anderen Seite kam auf 9’769 Meter. (cok)
Doch genau in diesem Moment passierte das vielleicht Erstaunlichste in dieser Vollmondnacht von Sofia: Razgrad schien – vor einer doch noch erstaunlich grossen und in diesem Moment dementsprechend begeisterten Kulisse von offiziell 11’927 Zuschauern – nicht zu wissen, wie mit diesem Vorsprung umzugehen ist.
Razgrad lugte durch die Pforte zum gelobten Land – und wurde vom FC Basel mit chirurgisch präzis und in hohem Tempo vorgetragenen Gegenstössen entblösst. «Hätten wir das Selbstbewusstsein des FC Basel», so Stoev, «hätte es vielleicht anders ausgesehen.» Sein Plan, mit einem frischen Stürmer (Michel für Bezjak) kurz nach dem Führungstor weiter für Druck zu sorgen, scheiterte.
«Match Meridian», eine der vielen täglich erscheinenden Sportzeitungen Bulgariens, packte die Partie in einem zartbitteren Bild zusammen («Ludogorets wird übel von zu viel Schweizer Schokolade») und analysierte nüchtern: «Basel zeigt uns exakt, wo wir stehen.»
Die Basler Reaktion und die Erleichterung
Auf Seiten des FCB ist man glücklich darüber, wie die Mannschaft auf den Rückstand reagieren konnte. Neun Auswärtsspiele war der FCB seit dem 1:0 von Molde im Juli des Vorjahres auf europäischer Bühne auswärts ohne Sieg geblieben. Nun, nach dem ersten internationalen Auswärtssieg unter Trainer Murat Yakin, ist den Baslern die fünfte Champions-League-Teilnahme eigentlich nicht mehr zu nehmen.
Das erste grosse Saisonziel ist zum Greifen nah, und wieviel Gewicht von den Schultern der Club-Verantwortlichen fallen wird, wenn nächsten Dienstag auch noch der letzte Schritt getan ist, formulierte Bernhard Heusler in Sofia: «Eigentlich hat der FC Basel in den Playoffs nur etwas zu gewinnen. Aber in der Wahrnehmung der Leute ist das anders. Wenn wir es nicht schaffen, ist das eine Katastrophe.» Dementsprechend, so Heusler, «ist der Druck wahnsinnig gross.»
Verständlich, dass der FCB-Präsident den Rückflug entspannt antreten konnte. Und Razgrad-Trainer Stoev vermied blumige Überlebensparolen: «Wir machen uns keine Illusionen: Von uns wird im Rückspiel nichts mehr erwartet.»
Die merkwürdige Befreiung
Murat Yakin wird also nächsten Dienstag (20.45 Uhr, St.-Jakob-Park) mit seiner Ermahnung zur Mannschaft vordringen müssen: «Wir dürfen das Rückspiel nicht auf die leichte Schulter nehmen.» Kapriolen genug hat diese Mannschaft in dieser Saison schon geschlagen, und auch am Mittwoch in Sofia schaffte sie es, ihren Trainer zu verblüffen: «Der 1:2-Rückstand war wie eine Befreiung», merkte Yakin an, «und zwar für uns.»
Was sich anschliessend abspielte, war eine Mischung aus bulgarischer Naivität und der sogenannten «internationalen Erfahrung» des FC Basel, gepaart mit dessen individueller Klasse. Namentlich jener der Torschützen Mohamed Salah und Giovanni Sio sowie der Passgeber Marcelo Diaz und Valentin Stocker.
Noch fehlt es diesem FCB an Stilsicherheit, um nach einer frühen Führung ein Spiel mit einer gewissen Ruhe zu gestalten. Wie schon in Tel Aviv monierte der Trainer, dass die Mannschaft nach der Führung aufgehört habe Fussball zu spielen und rätselt selbst über die Ursache dafür.
Das risikoreiche Spiel
Wahrscheinlich liegt ein Teil der Lösung im System Yakin selbst: Die Mannschaft nimmt mit ihrem weniger auf Ballbesitz (am Mittwoch: 54 Prozent) und dafür vertikaler und risikoreicher ausgerichteten Spiel in Kauf, labil zu sein, wenn der Ball verloren geht. Wenn es der Gegner dann auch noch schafft, selbst zügig umzuschalten oder zu verlagern, sind die Wege zurück in den eigenen Verteidigungsbereich weit.
«Eines darf man nicht vergessen», sagt Yakin, «in der Zentrale ist diese Mannschaft sehr jung.» Er meint damit Schär (21) und Ajeti (19) und auch die beiden Ägypter Salah (21) und Elneny (21) aus seiner Startelf die im Schnitt 23,5 Jahre alt war (Razgrad: 27,5). Yakin sagt: «Wenn der Gegner Druck macht, braucht es Spieler, die es in die Hand nehmen. Das ist noch nicht unsere Stärke.»
Kommt hinzu, dass sich die Startelf in einem ständigen Umbauprozess befindet. Immerhin: Die umgehende Integration von Giovanni Sio glückte – der Stürmer zeigte, dass er mit seinen Qualitäten eine grössere Hilfe sein könnte als der abgeschobene Raul Bobadilla. Die nächsten Aufgaben sind der Einbau von Verteidiger Ivan Ivanov – und natürlich von Spielmacher Matias Delgado.
Dringender Verbesserungsbedarf
Die sogenannte internationale Erfahrung, die einige dieser jungen Spieler inzwischen schon reichlich aufweisen, ist nur ein Argument auf dem Platz. Manchmal kommen ganz banale fussballerische Dinge dazu wie das Stellungsspiel der Aussenverteidiger – hier: Voser und Safari – oder deren Unterstützung. Beides ist dringend verbesserungswürdig.
Sieben Auswärtstore in zwei Spielen sind eine stolze Bilanz, fünf Gegentore aber auch ein Wert, der Trainern Sorgenfalten auf die Stirn treibt. Und bei allem Respekt vor Ludogorets Razgrad – die fussballerischen Gradmesser werden erst in der Champions League kommen.
Und zuvor schon in der Super League. Am Samstag Luzern und am Sonntag darauf die Young Boys. Man darf annehmen, dass den FC Basel national noch mehr Widerstand erwarten wird, als ihm auf seinem Weg in die Champions League bisher begegnet ist.
Die Tore beim 4:2-Sieg des FC Basel in Sofia gegen Ludogorets Razgrad: