Das System Yakin

Etwas passiert gerade mit dem FC Basel. Aber was? Warum steht das Team im Halbfinal der Europa League? Und – bleibt jetzt für immer alles gut?

17.01.2013; Estepona; Fussball Super League - Trainingslager FC Basel; Trainer Murat Yakin filmt mit dem Smartphone das Training (Andy Mueller/freshfocus) (Bild: Andy Mueller/freshfocus)

Etwas passiert gerade mit dem FC Basel. Aber was? Warum steht das Team im Halbfinal der Europa League? Und – bleibt jetzt für immer alles gut?

Christian Constantin hätte die Antwort schnell zur Hand. Der ­Prä­sident des FC Sion beurteilt die Arbeit seiner Trainer jeweils nach ­Totomat – solange sie nicht gerade ­Gennaro ­Gattuso ­heissen. Mit diesem Blick ist ­Murat Yakins Wirken beim FC Basel schnell erklärt: Der Münchensteiner gewinnt praktisch alles. Also muss er auch fast alles richtig machen.

Aber was? Gibt es ein System ­Yakin? Und erzählen Resultate wirklich alles? Hätte Yakin als FCB-Trainer schlechter gearbeitet, wenn Yann Sommer in diesem Frühjahr nicht Yann ­Sommer gewesen wäre und ­ausnahmsweise einen entscheidenden Elfmeter hätte passieren ­lassen?

Wohl kaum. Der Totomat erzählt eben immer nur einen Teil der ­Geschichte. «Das Ziel ist die Reise, der Prozess», erklärte Juanma Lillo einmal in einem Interview mit «The ­Blizzard», «was zählt, ist die Arbeit.» Nun mag der Spanier Lillo kein Trainer sein, der durch grosse Erfolge aufgefallen ist. Aber Pep Guardiola, der den ­FC Barcelona zur stilbildenden Mannschaft geformt hat, nennt ihn seinen Mentor.

«Was befruchtet, ist das Spiel»

Und Lillo wäre kein Freund von Constantin. «Was dich befruchtet, ist das Spiel, nicht das Resultat. Das sind bloss ein paar Zahlen», sagt er. «Die Geburtenrate steigt. Ist das befruchtend? Nein. Aber der Prozess, der dazu geführt hat? Nun, der ist befruchtend! Geht jemand eine Minute vor Spielende ins Stadion, schaut aufs Resultat und geht wieder? Du schaust dir 90 Minuten an, das ist der Prozess. Du kannst nicht den Prozess nach dem Resultat beurteilen.»

Als der FC Basel im letzten Oktober seinen Trainerwechsel bekannt gab, tat er das auch nicht vornehmlich mit dem Verweis auf die Resultate unter Heiko Vogel. Mitunter reichlich technokratisch klangen die Erklärungen damals («Beurteilungsprozess des Istzustandes und der perspektivischen Lage»). Gemeint war wohl, was Lillo «den Prozess» nennt. Das Verhalten der Mannschaft im Spiel, die Arbeit auf dem Trainingsplatz.

Das heisst nicht, dass Yakin bei seinem Amtsantritt in Basel erst den Schutt des Vorgängers hätte wegräumen müssen. Der 38-Jährige selbst sagte bereits im Trainingslager im Winter: «Ich habe grundsätzlich eine funktionierende und gut ausgebildete Mannschaft vorgefunden.»

«Man weiss gar nicht, wer spielt»

Yakin hat sozusagen das rotblaue Haus auf einem vorhandenen Fundament umgebaut. Er hatte in seiner Zeit als gegnerischer Trainer den FCB genügend analysiert, um zu wissen, was ihm gefiel – und woran das Basler Spiel seiner Meinung nach krankte. Das war, dass die Basler stets mit denselben Mitteln zum Erfolg kommen wollten: Ballbesitz, Ballbesitz, Ball­besitz. «Mir war das zu einfach. Man wusste immer, wie der FCB am Wochen­ende aufläuft», sagt Yakin.

Das ist heute anders. Bevor Basel Anfang April zu Yakins ehemaligem Arbeitgeber nach Luzern reiste, klagte der damalige Luzerner Trainer ­Ryszard Komornicki, es sei schwierig, sich auf Basel einzustellen: «Man weiss gar nicht, wer spielt.»

Das Wort «Flexibilität» ist für Yakin seit seiner Rückkehr nach Basel beinahe zum Mantra geworden. Und nicht nur das: Er hat dem Wort Taten folgen lassen. «Unter Heiko Vogel ­haben wir ein System gespielt und versucht, dieses zu perfektionieren. Bei Murat Yakin sollte man immer gut zuhören», erzählte Fabian Frei nach dem 1:1 in St. Gallen. «Wir sind un­berechenbarer geworden», sagt auch David Degen, «wir können uns zurückziehen und im nächsten Moment ins Pressing gehen.»

Fordern und überfordern

Die Partie in der Ostschweiz zeigte ­allerdings, dass auch Yakin nicht alle Winkelzüge gelingen. Er mag mit ­seinen Wechseln in der Aufstellung manch einen Gegner irritieren. Manchmal überfordert er aber auch die eigenen Untergebenen, die bisweilen auf Positionen auflaufen, die sie zuvor kaum einmal gespielt haben. «Wichtig ist, Flexibilität üben zu ­lassen», sagt Yakin dazu, «damit jeder Spieler weiss, was er auf welcher Position zu tun hat.»

Er will seine Spieler fördern und fordern. Dass seine Entscheidungen dabei durchaus eine irrationale Komponente beinhalten können, gibt er offen zu: «Meine Aufstellungen sind Fünfzig-zu-fünfzig-Entscheidungen: halb Kopf, halb Bauchgefühl.»

Doch nicht nur seine Spieler müssen flexibel sein. Auch Yakin selbst bleibt geistig beweglich. Als Füh­rungs­­spie­ler irritiert darauf reagierten, dass ihr Trainer erst gegen Ende des Trainingslagers ein System mit einer Dreier-­Abwehr einstudieren liess, verschwand der Plan fürs Erste wieder in der yakinschen Schublade. Was nicht heisst, dass er nicht wieder hervorgeholt werden könnte.

Auch die Zweifler überzeugt

Inzwischen haben Yakins Arbeit und die damit einhergehenden Erfolge­ offenbar sämtliche Zweifel bei den Basler Spielern ausgeräumt. «Ich vertraue ihm voll und ganz», sagte Fabian Frei in St. Gallen. Und selbst Spieler, die nach der Winterpause noch grosse Bedenken hatten, sind heute überzeugt, dass Yakin der richtige Mann am richtigen Ort ist. Das ist der wichtigste Punkt in der Arbeit eines Trainers: dass die Spieler glauben, was er ihnen erzählt.

Ganz wichtig ist es Yakin, die Spannung in der Mannschaft hoch zu halten. Seine Aufstellung gibt er darum ganz bewusst jeweils erst am Morgen des Spieltags bekannt. Und noch nie hat der FCB unter Yakin zweimal hintereinander mit derselben Startelf begonnen. «Da ist mehr Biss drin», stellt er zum erhöhten Konkurrenzkampf im Team zufrieden fest, «anders als zum Ende des Jahres, als den Stammspielern klar war, dass sie am Wochenende auf dem Platz stehen.»

Doch ohne feste Achse kommt auch Yakin nicht aus. Gesetzt sind Goalie Sommer, die Verteidiger Dragovic und Schär, der unter Yakin zur Ent­deckung der Saison wurde, Zentrumsspieler Serey Die, mit dessen Zuzug im Winter Versäumnisse aus der Sommertransferperiode ausgebessert wurden, sowie Stürmer Streller.

Vertrauen bewirkt Selbstvertrauen

Es ist also einerseits etwas übertrieben, wenn Yakin erklärt: «Ich kann auf zwanzig Stammspieler zählen.» Und andererseits auch nicht. Denn Yakin gelingt, dass tatsächlich jeder Spieler mit genügend Selbstvertrauen auftritt, um dann eine gute Leistung abzu­rufen, wenn es auf ihn ankommt.

So wie Kay Voser, der seit der ­Winterpause kein einziges Spiel mit dem Team absolviert – und dann im Viertelfinal der Europa League auftritt, als sei er eine Stammkraft. ­«Jeder hat seine Chance erhalten», sagt Yakin, «und jeder hat sie genutzt.»

Ganz neu ist dieses breite Vertrauen in sämtliche Kaderspieler in Basel nicht. Es wird gepflegt, seit Thorsten Fink im Sommer 2009 Christian Gross als Cheftrainer ablöste. Und ­natürlich ist es auch dem Dreitage-rhythmus geschuldet, in dem der FCB derzeit seine Spiele absolviert. Er habe immer zwei Aufstellungen in ­seinem Kopf, sagt Yakin: «Eine für das kommende Spiel. Und eine für die Partie danach.»

Manchmal selbst überrascht

Dass er mit seiner Arbeit Erfolg hat, verblüfft Yakin nicht. Dazu ist er zu sehr von sich und seinen Ideen überzeugt. Doch die Geschwindigkeit, mit der sich Automatismen eingespielt ­haben, kann ihn durchaus über­raschen. Nachdem er das Ruder in Basel­ übernommen hatte, sei es ihm in ­einem ersten Schritt nämlich erst ­einmal darum gegangen, sich «mit Disziplin, Ordnung und hartem Kampf» wieder den Respekt der nationalen Gegner zu verschaffen, sagte Yakin dem clubeigenen «Rotblau Magazin».

Und seit der FCB 2013 Pflichtspiele absolviert, bleibt kaum mehr Zeit, um wirklich mit den Spielern auf dem ­Rasen zu arbeiten. Dass Yakins Ideen trotzdem so schnell greifen, spricht dafür, dass sie manchmal gar nicht so weit von dem entfernt sind, was bereits unter Vogel trainiert wurde.

Yakin ist zum Beispiel fasziniert von der Abwehrarbeit des FC Barcelona. Barça zieht sich nach einem Ballverlust nicht in die eigene Abwehr ­zurück, sondern versucht, den Ball mit hohem Pressing an Ort und Stelle zurückzuerobern. Ein Mittel, das Yakin­ ebenfalls einsetzen will – und das der FCB schon unter seinen Vorgängern Fink und Vogel eingeübt hat.

Gemeinsamkeiten mit Vogel

Auch bei den Positionswechseln in der Offensive, der Aufforderung an die Spieler, sich nicht an einer Aufstellung zu orientieren, sondern an Ball, Raum und Gegner, sind sich Yakin und Vogel nicht fremd.

Aber natürlich sind auf dem Feld klare Unterschiede in der Handschrift zu erkennen. Am augenfälligsten ist der Wechsel an der Grundordnung des FCB abzulesen. Vogels 4-4-2 wurde durch ein System mit fünf Mittelfeldspielern ersetzt. Als Yakin den FCB übernahm, erkannte er sofort das Zentrum als Basler Problemzone und reagierte, indem er drei Aufbauer in die Mitte rückte.

Das Resultat ist dem Basler Spiel anzusehen. Der FCB ist im Zentrum nachweislich stabiler geworden. Unter Vogel hatte das Team in dieser Saison über zwei Drittel der Gegentore durch die Mitte erhalten, unter Yakin ist es noch knapp die Hälfte (vgl. Grafik).

Über Ordnung zum Spass

Gleichzeitig hat sich die Art ver­ändert, wie der FCB selbst zu seinen Toren kommt. Das Angriffsspiel ist vertikaler geworden. Wenn möglich, wird das Mittelfeld schnell überbrückt; gerne auch mit einem weiten Pass aus der Abwehr heraus. Und während die Flügelspieler unter Vogel häufig in die Mitte zogen, um nach­rückenden Aussenverteidigern Raum zu geben, stossen sie unter Yakin viel öfter auf direktem Weg mit dem Ball am Fuss in den Strafraum.

Dazu kommt eine weitere Variante, die Yakin konsequent spielen lässt: Die Innenverteidiger, meist Schär, schalten sich immer wieder mit Läufen durchs Zentrum ins Angriffsspiel ein. All das hat zur Folge, dass der FCB unter Yakin weit häufiger durch die Mitte zum Torerfolg kommt als unter Vogel.

Yakins Massnahmen haben dem Team jene defensive Ordnung verliehen, die den Spielern erlaubt, in der Offensive wieder mit Spass ans Werk zu gehen. «Es ist enorm wichtig, dass man die Spielfreude nie vergisst», sagt er. Und doch – eine Garantie für einen immerwährenden Höhenflug hat auch Yakin nicht in der Tasche.

Trainer sind in ihrer Arbeit immer auf ihre Spieler angewiesen – und auch auf Glück. Sie haben keinen ­Einfluss darauf, ob Alex Frei seinen letzten Freistoss als Profi ins hohe Eck zirkelt – oder ob Mohamed Salah in der Qualifikation zur Champions League das Tor nicht findet. Trainer können bloss dafür sorgen, dass die Wahrscheinlichkeit möglichst gross ist, dass die eigenen Spieler in den Abschluss kommen – und der Gegner am besten nie. Dafür, dass der Prozess stimmt.

Sollte das mit den Resultaten vielleicht einmal nicht klappen, kann ­Murat Yakin also immer noch darauf hoffen: dass beim FC Basel Trainer nicht nach Totomat beurteilt werden.

Das gestärkte Zentrum

Im Vergleich zu Heiko Vogel hat Murat Yakin das Zentrum ge­­stärkt. In der Grafik unten sind jene Positionen verzeichnet, von denen in dieser Saison ein Assist gegeben oder ein Angriff ausgelöst wurde, der zu einem Tor führte. Je dunkler die Farbe, um so mehr Aktionen geschahen an der Stelle.

Unter Vogel kassierte der FCB fast 70 Prozent seiner Tore durch die Mitte und war selbst häufig über rechts erfolgreich. Unter Yakin geht mehr durch die Mitte und es werden mehr schnelle Angriffe aus der eigenen Platzhälfte ausgelöst. Eckbälle sind nicht dargestellt.

Auf unserer Seite rotblaulive.ch können Sie sich durch alle FCB-Tore und Gegentore der Saison klicken.

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 19.04.13

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