Nach dem 2:2 im Testspiel gegen Kroatien weiss Nationalcoach Ottmar Hitzfeld ziemlich genau, woran er auf dem Weg an die WM mit seiner Mannschaft ist.
Die «Zeit des Experimentierens» sei vorbei, hatte Ottmar Hitzfeld schon vor dem Match gegen die Kroaten gesagt, obwohl der doch der letzte war, bevor die Nationalcoaches im Mai ihr 23-Mann-Kader für Brasilien benennen müssen. Hitzfeld liess es dann in der Tat beim einen oder andern «Versuch» bewenden, als er zu Beginn der zweiten Halbzeit Admir Mehmedi und Pirmin Schwegler brachte. Und ein Experiment war auch nicht, Josip Drmic als Sturmspitze in die Startelf zu nehmen. Dafür hatte sich der Wahl-Nürnberger mit seinen Leistungen im Verein aufgedrängt, ganz abgesehen von der Entwicklung um Haris Seferovic.
Wer schon vor einem Testspiel so redet wie es Hitzfeld tat, der muss sich seiner Sache also ziemlich sicher sein. Und wie richtig er damit lag, bestätigte das Spiel: Die Leistung der ersten Halbzeit war eindeutig besser als jene der zweiten – selbst unter der Berücksichtigung des Fakts, dass Wechsel eine Mannschaft durcheinander zu bringen drohen. In diesem Fall kam hinzu, dass die Tendenz bei den Kroaten gegenläufig war und sie mit der Einwechslung prominenter Spieler wie Luka Modric und Mario Mandzukic stärker wurden.
Aber deutlich wurde: Die erste Wahl Hitzfelds hat klare Konturen, und schon ziemlich klar sind auch jene des 23-Mann-Kaders, das sich für die WM-Reise abzeichnet.
Die erste Wahl
Die Startformation am Mittwoch in St. Gallen lautete: Diego Benaglio im Tor, Stephan Lichtsteiner, Johan Djourou, Steve von Bergen und Ricardo Rodriguez in der Abwehr; Valon Behrami und Gökhan Inler im zentralen, Xherdan Shaqiri, Granit Xhaka und Valentin Stocker im offensiven Mittelfeld. Und das war Drmic, so etwas wie der Mann der Stunde, als Sturmspitze.
Natürlich wirkte Lichtsteiner nicht so konzentriert wie in Pflichtspielen, es war Stocker nicht so auffallend wie oft beim FCB. Und der abwesende Fabian Schär ist kopfballstärker als jeder andere in dieser Elf. Aber sie funktionierte und dominierte den Gegner; das 2:1 bei Halbzeit war als Führung eher zu knapp. Weil Drmic mit seinen zwei Toren seine Chance nutzte und mindestens so gut spielte wie Haris Seferovic, als er in der Endphase der Ausscheidung Stürmer Nummer 1 war, lässt sich sagen: Das ist personell schon eine sehr tragfähige Basis für Brasilien.
Dann erhielten eben Mehmedi anstelle Shaqiris und Schwegler anstelle Behramis die Gelegenheit, sich eine Halbzeit lang zu zeigen – es kamen später für eine halbe Stunde noch Michael Lang für Lichtsteiner und Blerim Dzemaili für Inler. Die gut zehn Minuten, die dann Tranquillo Barnetta und Mario Gavranovic gegönnt wurden, waren für schlüssige Beurteilungen zu knapp. Aber was sich sehen liess: Schwegler vertat ein weiteres Mal die Chance, sich als ernsthafte Alternative zum Duo Behrami/Inler zu empfehlen – Dzemaili ist dieser Rolle näher, allenfalls gäbe es auch Xhaka. Mehmedi mag zurzeit in Form sein, aber das Niveau, der ersten Wahl nahe zu kommen, hat er kaum. Lang immerhin ist ein solider «back-up» als Rechtsverteidiger, womöglich wäre er es auch links.
Die Alternative: Schär und seine spezifischen Fähigkeiten
Hitzfeld sagte denn auch, es habe sich «vieles bestätigt», womit gesagt ist, dass die bisherigen Hierarchien eher noch gefestigt wurden. Natürlich wird Schär zum Thema, wenn er genesen ist. Er hat – trotz seiner Neigung zu gröberen Patzern – spezifische Fähigkeiten, die jedem andern (Innen-)Verteidiger dieses Kaders abgehen. Beispielsweise neben der Kopfballstärke auch in der Offensive die Fähigkeit des weiten Passes. Aber im Prinzip muss Hitzfeld einfach hoffen, es verletzte sich keiner seiner «Gesetzten» in Abwehr und Mittelfeld – schon gar nicht Shaqiri. Und er habe auch im Sommer im Sturm einen, der wie Seferovic im vergangenen Herbst spiele oder Drmic gegen Kroatien.
Der 23-Mann-Kader für Brasilien dürfte der Zusammensetzung von St. Gallen sehr nahe kommen: Die 21 Spieler, die gegen Kroatien aufgeboten waren, dazu Schär, plus ein dritter Torhüter. Was darüber hinaus passieren könnte, sind Einzelfälle wie Verletzungen oder massive Formschwankungen. Davon abgesehen könnte sich Pajtim Kasami im Mittelfeld einen Quotenplatz auf Kosten Schweglers erobern. Oder Eren Derdiyok einen in der Offensive, wenn er einen starken Meisterschafts-Endspurt in Leverkusen hinlegt und einer der Konkurrenten schwächelt – vielleicht weiterhin Seferovic, vielleicht Mehmedi, vielleicht auch Gavranovic.
Ausfälle verträgt dieses gute Team nicht
Kasami und Derdiyok stehen auf der 30er-Liste Hitzfelds. Sie gehören also über die 21 von St. Gallen hinaus zu den Spielern, die «unter genauer Beobachtung sind», wie es Hitzfeld formuliert. Sicher zählt auch Reto Ziegler dazu, der Linksverteidiger Nummer 2 hinter dem immer unangefochteneren Rodriguez. Aber Ziegler hat ein weiteres Mal Mühe, sich bei seinem Club zu profilieren – er hat sich wieder verletzt. Es würde jedenfalls nicht mehr überraschen, sähe Hitzfeld einen wie Lang oder den vielseitigen Gelson Fernandes als Lösung, während des Turniers hinter Rodriguez zu wachen.
Die Schweiz hält also drei Monate – und die beiden Luzerner Testspiele gegen Jamaika und Peru – vor dem WM-Start sehr wohl die Marschtabelle ein. Sie hat eine gute Mannschaft, aber nicht die Ressourcen eines grossen Fussballlandes. Also darf sich nicht wiederholen, dass wichtige Spieler ausfallen – wie an der Heim-EM 2008 oder der WM 2010 Alex Frei. Auch das gehört zu den Bestätigungen, die Hitzfeld im Spiel gegen die Kroaten sah, als die Zeit des Experimentierens ja schon vorbei war.