Der deutsche Feldversuch mit dem offenen Tor

15 Gegentore in den letzten 8 Spielen – die deutsche Fussball-Nationalmannschaft scheint das Verteidigen verlernt zu haben. Bundestrainer Jogi Löw verkündet nach dem 3:3 gegen Paraguay zwar, dass nun alles besser werde. Die Anzeichen dafür fehlen jedoch.

epa03824763 Germany's goalkeeper Manuel Neuer on the bottom after Paraguay's Wilson Pittoni scores the 2-0 during the international friendly soccer match between Germany vs Paraguay at the Fritz-Walter-Stadium in Kaiserslautern, Germany, 14 August 2013. (Bild: Keystone)

15 Gegentore in den letzten 8 Spielen – die deutsche Fussball-Nationalmannschaft scheint das Verteidigen verlernt zu haben. Bundestrainer Jogi Löw verkündet nach dem 3:3 gegen Paraguay zwar, dass nun alles besser werde. Die Anzeichen dafür fehlen jedoch.

Verteidigt haben sich die Deutschen auch – nach Spielschluss, als die Gegentore beim 3:3 gegen Paraguay nicht mehr wegzureden waren. Zu wenige Trainingseinheiten, zu wenig Spielpraxis, zu wenig Frische lauteten die saisonalen Spätsommerargumente, die auch Bundestrainer Joachim Löw bemühte, als er die Kurve hin zu frühherbstlichem Optimismus kriegen wollte.

Schliesslich war das Duell mit dem Neunten und Letzten der südamerikanischen Weltmeisterschafts-Qualifikation nur ein Test, nur ein Warm-up-Kräftemessen, ehe es im September wirklich zählt und durch Siege über Österreich und die Färöer schon die Reise zur WM 2014 in Brasilien gebucht werden soll.

Also fand der Cheftrainer der deutschen Fussball-Nationalmannschaft, der vor dem Duell mit Paraguay am Mittwochabend in Kaiserslautern aus gegebenem Anlass die richtige Balance zwischen Offensive und Defensive eingefordert hatte, zumindest zu einem ausbalancierten Gesamturteil aus Kritik und Zuversicht.

«Das wird nicht so weitergehen»

Der 53 Jahre alte Südbadener sprach zunächst die «elementaren Fehler» an, die sein Team bei der Defensivarbeit nicht zum ersten Mal in diesem Jahr der vielen Gegentreffer begangen hatte, und gab danach ein Versprechen ab. «Das wird nicht so weitergehen», prophezeite der Fussballlehrer, der in der Pfalz tauben Ohren gepredigt hatte, «wir werden uns mit Sicherheit stabilisieren. In den nächsten Spielen werden wir das alles verbessern.»

Eine Verheissung, die schon zu Beginn der WM-Saison vor 47’500 Zuschauern im ausverkauften Fritz-Walter-Stadion wahr werden sollte und dann doch zum leeren Versprechen geriet. Was nutzten schliesslich die hübsch herausgespielten Treffer durch Gündogan (18. Minute), Müller (31.) und Lars Bender (76.), wenn die Mannschaft schon nach 13 Minuten 0:2 durch Tore von Nunez (9.) und Pittoni nach krassen Schnitzern von Hummels (Stellungsfehler) und Khedira (Ball verschusselt) zurückliegt und sich kurz vor der Pause das 2:3 durch Samudio (45.+1) fängt, als der Dortmunder Innenverteidiger Hummels, überlaufen vom ehemaligen Münchner Stürmer Santa Cruz, seinen zweiten schweren Lapsus beging?

«Das war ein Warnschuss», beurteilte Torhüter Neuer, in der ersten Hälfte gelegentlich als Nothelfer für seine anarchisch organisierte Verteidigung gefordert, das wilde Treiben vor seinem Reich, «so können wir gegen Österreich nicht spielen.»

Der Blick zurück auf ein paar Basisaufgaben

Dann aber soll ja, glaubt man Löws Worten, alles besser werden. Es wird zumindest höchste Zeit, dass die im Vorwärtsgang auch am Mittwoch rasch auf Betriebstemperatur gekommenen Deutschen auch mal wieder den Blick zurück auf ein paar Basisaufgaben richten. Andernfalls bleibt der von Löw in diesen Tagen recht forsch formulierte Titelanspruch für das Unternehmen Brasilien 2014 auch nur eine Prophezeiung, die sich rasch in Luft auflösen könnte.

Zieht man die jahreszeitlich bedingten Gründe für die Mängel in der körperlichen Verfassung und Wettkampftauglichkeit einmal ab, blieb am Mittwoch dennoch der Eindruck, dass der deutschen Nationalmannschaft derzeit ein gemeinsam verinnerlichter, vereint durchgezogener Plan fehlt. In den vergangenen acht Spielen musste sie 15 Gegentore einstecken, mehr als jedes andere Weltklasseteam.

Zu vieles wirkt, auch bei so manchem Star des Aufgebots wie etwa bei Mesut Özil in Kaiserslautern, eine Spur selbstgefällig bis selbstzufrieden. Die Ballverluste, die fehlende Zweikampfaggressivität, die schlechte Raumaufteilung, die die Abwehr in die Bredouille brachte, der nach der Pause sukzessive nachlassende Gemeinschaftsesprit deuteten darauf, dass Löw und sein Trainerteam in nächster Zeit auch an elementaren Dingen wie Spielfreude, Kampfeslust, Behauptungswille und Kollektivarbeit feilen müssen, soll diese Ansammlung der Hochbegabten mehr als individuelle Highlights setzen.

Die Suche nach der Grundidee im Defensivverhalten

Löw, der vor dem Spiel gegen Paraguay bekannt hatte, «ich liebe es über alles, offensiv zu spielen, ich liebe das Risiko», wäre vermutlich nicht schlecht beraten, selbst einen ganzheitlich besseren Ansatz zu wählen, um die evidenten Offensivtugenden seiner Spieler wieder mit den verschütt gegangenen defensiven Notwendigkeiten zu verquicken. «Wichtig ist, dass die komplette Mannschaft im Defensivverhalten eine Grundidee hat», hatte Mats Hummels vor dem ersten Länderspiel der neuen Saison gesagt.

Diese Grundidee der frühen Balleroberung haben sie bei Borussia Dortmund, wo Hummels sportlich zu Hause ist, seit langem, wenn sie auch in der vorigen Spielzeit nicht konstant in die Tat umgesetzt wurde. Wie und ob die Nationalelf unter der Anleitung des ehemaligen Offensivspielers Löw zurückkehrt zu den defensiven Urvoraussetzungen für dauerhaften Erfolg, ist die spannende Frage.

Im Moment ist da nur ein Versprechen des Bundestrainers. Was davon zu halten ist, werden die nächsten Feldversuche offenbaren.

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