Maria Scharapowa ist positiv auf Meldonium getestet worden, eine Substanz, die seit dem 1. Januar 2016 verboten ist. Dass die russische Tennisspielerin dies nicht wusste, erstaunt. Sie gilt als Kontrollfreak und legt sonst Wert auf jedes Detail. Schlimmstenfalls droht ihr nun eine Sperre von bis zu vier Jahren.
Als der Management-Riese IMG am Wochenende eine «bedeutende Mitteilung» von Maria Scharapowa ankündigte, war in Fachkreisen und im Universum der sozialen Netzwerke das fiebrige Spekulationslotto eröffnet. Während auf dem Youtube-Kanal des Unternehmens eine seltsame Countdown-Uhr heruntertickte, wurden alle möglichen und unmöglichen Theorien durchgespielt, verworfen und wieder neu diskutiert.
Soll Scharapowa etwa schwanger sein? Ernsthaft krank? Würde sie einen neuen Mega-Deal mit einem Unternehmen bekannt geben? Oder gar ihren frühen Rücktritt – nach all den Verletzungsqualen auch der vergangenen Monate?
Was die bestbezahlte Sportlerin des Planeten dann am Montag, dem 7. März, mit brüchiger Stimme in einem schmucklosen Konferenzsaal eines Downtown-Hotels in Los Angeles vortrug, hatte freilich niemand auf der Agenda. Es war nicht weniger als der grösste anzunehmende Schadensfall, den Scharapowa zu verkünden hatte: das kleinlaute und traurige Bekenntnis, bei einem Dopingtest am 26. Januar in Melbourne, dem Tag des Australian-Open-Viertelfinalmatchs gegen Serena Williams, positiv auf die Substanz Meldonium getestet worden zu sein.
Das Unwissen eines Kontrollfreaks
«Ich habe einen Riesenfehler gemacht. Ich habe meinen Sport im Stich gelassen», sagte Scharapowa niedergeschlagen vor dem herbeigeströmten Reporterheer, «ich bin bereit, alle Konsequenzen zu tragen.»
Um diese Substanz geht es: Meldonium, hier beschriftet als Mildronat (wie die Substanz auch genannt wird). (Bild: Keystone/JAMES ELLINGWORTH)
Was Scharapowa zur Begründung vortrug, war zunächst schwer verständlich für all jene, die den Superstar des Frauentennis kennen, eins der einprägsamsten Gesichter des Sports überhaupt. Scharapowa hat nicht zu Unrecht den Ruf, ein absoluter Kontrollfreak zu sein, eine Perfektionistin, die bis ins kleinste Detail alles, absolut alles richtig machen will.
Und doch erklärte die 28-jährige Russin mit Wohnsitz in Kalifornien, es sei ihr entgangen, dass der Wirkstoff Meldonium seit dem 1. Januar 2016 auf der Doping-Verbotsliste gestanden habe. Sie habe, so erklärte Scharapowa zur allgemeinen Verblüffung, den Anhang einer E-Mail der Antidoping-Agentur Wada vom 22. Dezember nicht geöffnet, in dem sich die aktualisierte Verbotsliste befand. «Alles ist nur meine Schuld», gab die ganz in Schwarz gekleidete Scharapowa zu Protokoll, «es hätte nie passieren dürfen.»
Meldonium: eine Art In-Droge
Mit der spektakulären Pressekonferenz begann unmittelbar auch der erbitterte Kampf um die Interpretations-Hoheit in der Causa Scharapowa – mit Rechtsanwälten, vielen echten und selbsternannten Experten und diversen Sportfunktionären im Ring.
Rücktrittsankündigung erwartet und Dopinggeständnis zu hören bekommen: der Medienauflauf bei Maria Scharapowas Konferenz. (Bild: Keystone/MIKE NELSON)
Eine zentrale Frage überlagerte alles: Handelte es sich um ein Missgeschick, einen folgenschweren Fauxpas einer Sportlerin, die den Wirkstoff Meldonium nach eigenen Angaben schon seit 2006 u.a. wegen Herzrhythmusstörungen und Diabetesproblemen einnimmt und dann schludrig übersah, dass dieser Wirkstoff inzwischen verboten ist? Oder steckte doch eine andere Motivation und Systematik hinter dieser Einnahme?
Möglich sind bis zu vier Jahre Sperre. Wahrscheinlicher ist aber eine Suspension von einem oder zwei Jahren.
Die Substanz ist in Athletenkreisen jedenfalls international sehr beliebt. So beliebt, dass die Wada nach intensiven Studien 2015 ihre Einnahme mit Sanktionen belegte. Sie stellte nämlich fest, dass Meldonium nicht mehr primär aus medizinischen Gründen eingesetzt wurde.
Der jüngste ARD-Bericht zum russischen Doping-Unwesen hatte auch eine bedenkliche Zahl offengelegt: Bei 4316 Tests war 724 Mal Meldonium nachgewiesen worden, eine Art In-Droge, von der beispielsweise die Agentur Antidoping Schweiz nun sagt: «Diese Substanz kann die sportliche Ausdauerleistung positiv beeinflussen, steigert die Regeneration nach Belastung, schützt vor Stress und wirkt stimulierend auf das Zentralnervensystem.»
«Maria wusste nicht, dass diese Substanz leistungsfördernd wirkt»
Hatte Scharapowa von alldem nichts mitbekommen, vom Wirbel um diesen Wirkstoff? Ausgerechnet sie, die Tennis-Unternehmerin mit ihrem grossen Betreuerteam? Leicht nachzuvollziehen war das jedenfalls nicht. Auch, weil Meldonium in Scharapowas Wahlheimat, den USA, und in vielen anderen Ländern gar nicht zugelassen ist.
Nur in Russland und in den baltischen Ländern wird die Substanz weithin als Therapiemittel bei Durchblutungsstörungen und zur besseren Sauerstoffversorgung eingesetzt. Von dort müsste sich der Tennis-Superstar die Medikamente wohl auch beschafft haben. «Maria wusste nicht, dass diese Substanz leistungsfördernd wirkt», sagte dazu ihr Anwalt John Haggerty.
Maria Scharapowa wird vorerst nicht mehr auf den Tennisplätzen zu sehen sein. (Bild: Keystone/FRANCK ROBICHON)
Schwer begreifbar, eher entlastend war andererseits ja, mit welch gelassener Routine sich Scharapowa Anfang des Jahres zu den Turnieren auf den Platz stellte – auch bei den Australian Open, bei einem Grand-Slam-Wettbewerb mit all seinen regulären Dopingkontrollen. Eins konnte sie dort jedenfalls nicht annehmen: Von Überprüfungen verschont zu bleiben. Nicht aufzufliegen, wenn sie denn je absichtlich gehandelt hätte.
«Es ist ein Rätsel für mich. Sie hat einen grossen Stab von Leuten um sich herum», sagt dazu der frühere Leiter der australischen Antidoping-Agentur, Richard Ings, «am Ende bist du dann aber auch selbst verantwortlich für alles, was in deinem Körper ist.»
«Annus horribilis» des Welttennis
Der Dopingfall trifft das Welttennis in einem Jahr, das dereinst als «Annus horribilis» in seine Geschichte eingehen könnte. Schon zu den Australian Open war der Wanderzirkus wegen angeblichen Wettbetrugs in die Schlagzeilen geraten. Vieles an den Vorwürfen war aufgeblasen, aber keineswegs alles. Später kam auch noch heraus, dass sich Schiedsrichter in unteren Turnierregionen an Manipulationen beteiligt hatten.
Und nun die Affäre Scharapowa, der Sündenakt einer Athletin, die eine der bewegendsten Aufstiegsgeschichten der letzten Dekaden geschrieben hatte. Vor zwölf Jahren hatte das Tennis-Märchen des Mädchens aus Sibirien begonnen, das wegen besserer Karrierechancen nach Amerika ausgewandert war – damals, 2004, schlug sie als Teenager die haushohe Favoritin Serena Williams auf dem Centre Court von Wimbledon. Es war der dramatische, hollywoodreife Startschuss für eine grossartige Laufbahn, in deren Verlauf sie noch bei allen anderen Majorwettbewerben mindestens einmal triumphierte, zuletzt 2012 bei den French Open.
Die Frau, die über jedes Detail Bescheid wusste, gibt an, Entscheidendes übersehen zu haben. (Bild: Keystone/MIKE NELSON)
Scharapowa, die hochgewachsene Blondine, war auch der erklärte Liebling der Sponsoren. Keine andere Sportlerin hatte in den letzten Jahren bessere Deals und namhaftere Werbepartner als die Russin mit dem ganz besonderen Appeal und der ganz besonderen Professionalität, stets war sie die Nummer eins unter den Grossverdienerinnen im Sport.
Scharapowas Werbepartner reagieren unterschiedlich
Einige ihrer Werbepartner wendeten sich schon in den ersten Stunden nach der bekannt gewordenen Dopingaffäre von Scharapowa ab. Nike zum Beispiel legte das langjährige Vertragsverhältnis auf Eis. Beim deutschen Sportwagenbauer Porsche, für den Scharapowa als weltweite Markenbotschafterin tätig ist, verzichtete man bewusst auf solche Schnellschüsse: «Wir lassen Maria nicht fallen, aber Aktivitäten mit ihr ruhen im Moment. Wir warten ab, zu welchem Ergebnis die offizielle Untersuchung kommt», sagte die Sprecherin der Porsche-Sportkommunikation, Viktoria Wohlrapp, «wir bedauern natürlich die aktuellen Nachrichten.»
Und wie geht es weiter für Scharapowa? Die Russin, vom Weltverband inzwischen erst mal vorläufig gesperrt, hat auf die Öffnung einer B-Probe verzichtet, ihr Fall könnte so schon in vergleichsweise kurzer Frist auf den Tisch der Sportgerichtsbarkeit kommen. Die Juristen haben dann zu entscheiden, wie sie Scharapowas Fehlverhalten bewerten – als lässlichen, trotzdem zu ahndenden Irrtum oder als absichtsvollen Vorgang.
Davon hängt auch das Strafmass ab, möglich sind bis zu vier Jahren Sperre. Wahrscheinlicher ist aber eine Suspension von einem oder zwei Jahren. Russlands streitbarer Tennis-Verbandsboss und IOC-Mitglied Shamil Tapirschew glaubt indes nicht mal daran: «Maria wird bei den Olympischen Spielen starten», sagte er der russischen Nachrichtenagentur Tass.
(Bild: Keystone/DAMIAN DOVARGANES)