Es war die Nacht des Luis Suárez: Der Mann, der wegen seines Bisses an der WM berüchtigt wurde, wendete das Finalspiel der Champions League entscheidend zugunsten Barçelonas. Barça meldet sich damit wieder zurück: elektrisierender und unterhaltsamer als je zuvor.
Dani Alves schlug wild auf die Hand von Michel Platini ein und Xavi Hernández liess sich ausgiebig herzen von dem euphorischen Uefa-Präsidenten. Einzig Luis Suárez wahrte Distanz auf der Ehrentribüne des Berliner Olympiastadions. Natürlich: Suárez wird so schnell nicht mehr zum Freund der Fussball-Autoritäten.
Es ist schon eine besondere Pointe, dass das wichtigste Fussballspiel dieser Saison ein Spieler entschied, der die Saison als Outlaw begann. Der bis Ende Oktober nicht spielen durfte, nach seinem Biss bei der WM gegen Italiens Giorgio Chiellini. Der beim FC Barcelona nicht offiziell vorgestellt werden, ja anfangs nicht mal einen Fussballplatz betreten durfte. Der immer noch nicht voll rehabilitiert ist: für die am Donnerstag beginnende Copa América ist der Uruguayer noch gesperrt.
Dieser Suárez also entschied in der 69. Minute ein spektakuläres Finale, als es gerade zugunsten von Juventus Turin zu kippen schien. Die Italiener hatten mit der ihnen eigenen Stoik das grandios herausgespielte Express-Tor von Ivan Rakitic ertragen und weitere Angriffszüge der besten Offensive der Welt überstanden. Sie hatten sich in die Partie gekämpft, langsam deren Balance verändert, und in der 55. Minute hatten sie durch Álvaro Morata ausgeglichen. Sie waren am Zug. Eine Sensation lag in der Luft.
Der fünfte Sieg in der Vereinsgeschichte
Doch dann kam Lionel Messi. Entschlossener denn je zog er zum Strafraum, und dann war es Suárez, der den von Gigi Buffon abgeklatschten Schuss abstaubte. Der FC Barcelona, für den Neymar in der siebten Minute der Nachspielzeit noch zum 3:1-Endstand traf, feierte den fünften Champions-League-Sieg der Vereinsgeschichte und den vierten innerhalb der letzten neun Jahre.
Lionel Messi (FC Barçelona) mit dem begehrten Pokal. (Bild: Kay Nietfeld)
Es ist das gleiche Barça und doch ein anderes. Die drei Torschützen Rakitic, Suárez und Neymar kamen erst in den letzten zwei Jahren neu dazu. Ein Umstand, der unterstreicht, dass sich auch die Elf von Messi, Andrés Iniesta und dem seit gestern abgetretenen Xavi Hernández erst reformieren musste, um wieder ganz oben zu stehen.
Der FC Barcelona ist zurück, nicht mehr ganz so kontrollsicher wie vor einigen Jahren, aber elektrisierender, unterhaltsamer denn je zuvor, und so ist es wohl kein Zufall, dass er an einem Finale beteiligt war, das in die Geschichte eingehen wird als eines der besten überhaupt. Vorbei die Zeiten, als Europapokalendspiele taktische Annullierungsschlachten waren, die durch wenige Torszenen entschieden wurden, durch eine Standardsituation oder ein Elfmeterschiessen. Barcelona und Juventus lieferten sich eine Hommage an den Fussball, an den Mut und die Kreativität. 18:14 Torschüsse standen am Ende auf dem Statistikbogen. Barcelona gewann verdient. Was aber nicht heisst, dass es Juventus nicht verdient gehabt hätte.
Und Buffon fehlt immer noch ein Champions-League-Titel
Trainer Massimiliano Allegri führte bei der Siegerehrung eine Mannschaft auf die Tribüne, die sehr aufrecht ging und von den eigenen Fans stürmisch gefeiert wurde. «Wir haben getan, was wir tun mussten, und mit viel Persönlichkeit gespielt», sagte Allegri. «Wir gehen aus diesem Finale mit gestärktem Selbstbewusstsein heraus.»
Auf dem Spielfeld unterhielt er sich noch lange mit seinem Kapitän Buffon, dem zur Vervollständigung einer grossen Karriere weiterhin der Champions-League-Titel fehlt. Er wird es weiter versuchen. 37 ist er jetzt, und noch in der Nacht kündigte er an, drei Jahre weiterspielen zu wollen. Mindestens. Zum Abschied warf er Küsschen ins Publikum.
Eine historische Saison
Derweil zog Barça-Verteidiger Gerard Piqué das Tornetz hinter sich her wie ein Fischer seinen Fang – er hatte das Olympiastadion gerade darum erleichtert. Xavi wiederum, eingewechselt in seinem 767. und letzten Spiel für den Klub seines Lebens, trug den Spielball unter dem Arm wie ein Kind seinen Lieblingsteddy. Und dann kamen die Söhne und Töchter der Spieler wirklich auf den Platz. Wie schon nach dem Gewinn der spanischen Liga und nach dem des spanischen Pokals.
Barça-Trainer Luis Enrique in Feierlaune. (Bild: Andreas Gebert.)
Barça feierte das zweite Triple seiner Vereinsgeschichte und eine historische Saison mit 50 Siegen aus 60 Spielen. «Die besten Zahlen aller Zeiten», erinnerte Luis Enrique. Der Trainer hatte auf dem Platz ausgelassener gewirkt als je zuvor in seiner Amtszeit und erschien zur Pressekonferenz mit noch heiserer Stimme als sonst – aber so kratzbürstig wie das bei ihm längst Gewohnheit ist. Auch er hat nicht vergessen: die Kritiken, die ihn nach Barças mässiger erster Saisonhälfte als Mann ohne Plan darstellten.
Ob auch das einer der Gründe ist, warum er sich zu seiner Zukunft weiter ausschweigt? Nicht mal das verrät Luis Enrique. «Ich hoffe, dass er weiter macht», sagte Iniesta. «Ich bin überzeugt, dass er bleibt», sagte Piqué. Luis Enrique selbst sagte auf die Bitte, seinen Verbleib im Amt zu bestätigen: «Es gibt nichts zu bestätigen. Ich bestätige, dass es heute Nacht eine grosse Fiesta gibt und morgen eine grosse Strassenparty.»
Zuhause in Barcelona, wo mit besonderer Genugtuung registriert wird, dass Barça den Zyklus von Real Madrid beendet hat, bevor der überhaupt richtig begann. Stattdessen beerben die Katalanen den Erzrivalen als Champions-League-Sieger. Spanien hat es jetzt als erste Liga in der Geschichte des 1992 eingeführten Formats geschafft, zwei Ausgaben nacheinander zu gewinnen. Spanien hat durch die Europa-League-Siege von Sevilla ausserdem im zweiten Jahr nacheinander beide kontinentale Titel gewonnen. Auf Barça wartet nun in der nächsten Saison – mal wieder – die Gelegenheit, die Champions League als erster Klub zu verteidigen und damit einen weiteren Meilenstein im eigenen Denkmal einzubauen.
Und Xavi wird fehlen
Einer wird dann fehlen, Xavi. Mit einem verweinten Andrea Pirlo lag er sich nach dem Schlusspfiff innig in den Armen: zwei der grössten Spielmacher der Fussball-Geschichte, einer auf dem Weg nach Katar, der andere womöglich in die USA. Die Szene war einer der vielen grossen Momente dieses Abends, einer Nacht, in der die Juventus-Fans bei dessen Auswechslung dem Barça-Spieler Iniesta applaudierten und die Barça-Fans bei der Medaillenübergabe den Juve-Spieler Pirlo feierten.
Eines Abends, an dem sich die symbolische Wiederauferstehung von Suárez gewissermassen auf den ganzen Fussball erweitern liess. Nach zwei Wochen, in denen Handschellen und Durchsuchungsbefehle die Nachrichten über den Lieblingssport der Welt dominierten, Korruption, Gier und Machtpolitik, sendete dieses furiose Finale auch die Botschaft, dass nicht alles schlecht ist dieser Tage. Dem Spiel auf dem Platz geht es gut. Nicht mal die Funktionäre können es kaputt kriegen.
Neymar (links) feiert den Sieg des FC Barçelona mit seinen Kollegen. (Bild: Frank Augstein)