Der FCB leistet sich mit Renato Steffen eine Reizfigur und bringt die Fanseele in Wallung

Weil sie schon seit Monaten durch Bern und Basel geisterte, ist die Vollzugsmeldung keine Überrumpelung mehr: Renato Steffen wechselt mit einem Vertrag bis 2020 von den Young Boys zum FC Basel und reist am Mittwoch bereits mit seiner neuen Mannschaft ins Trainingslager nach Spanien. Die Geschichte eines Transfers, der in beiden Städten die Seele zum Kochen bringt.

YBs Renato Steffen applaudiert im Fussball Meisterschaftsspiel der Super League zwischen den Berner Young Boys und dem FC Thun, am Sonntag, 19. April 2015, im Stade de Suisse in Bern. (KEYSTONE/Peter Schneider)

(Bild: Keystone/PETER SCHNEIDER)

Ein auslaufender Vertrag, ein verschmähtes Angebot zur Verlängerung, erstmalige Berufung in die Nationalmannschaft, ein routinierter Berater, ein brüskierter Arbeitgeber und ein potenter Interessent – so stellte sich die Lage für Renato Steffen im Herbst 2015 dar.
Das Tischtuch zwischen Steffen und den Young Boys war spätestens zerschnitten, als er seinem Club klarmachte, er werde seinen Vertrag im Sommer 2016 auslaufen lassen. Die Young Boys polterten und Sportchef Fredy Bickel gab sich beleidigt. Die Sache mündete darin, dass Steffen aus der 1. Mannschaft hinauskomplimentiert wurde und sich seit Wiederaufnahme des Trainings separat, unter Anleitung der Co-Trainer in Schuss hielt.

Und der FC Basel hat gemacht, was er schon einmal getan hat, 2009/10 bei Gilles Yapi: Er hat einem der grössten Konkurrenten in der Winterpause einen Leistungsträger weggenommen. Dafür dürfte eine Ablösesumme von 500’000, vielleicht auch 600’000 Franken geflossen sein. Wie immer wurde darüber Stillschweigen vereinbart. 

Das ist die eine Seite dieses Spielerwechsels.

Die andere hängt mit der Wahrnehmung von Renato Steffen an seinem neuen Arbeitsplatz zusammen. «Not amused», wie es ein TagesWoche-Leser prompt unter die nackte Schlagzeile dieses Beitrags gepostet hat, sind zumindest Teile der FCB-Fans. Und das ist noch eine elegante Formulierung.

Der FCB, Steffen und das rohe Ei

Der FC Basel behandelt diese Personalie wie ein rohes Ei. Da ist zum einen der Zeitpunkt, zu dem dieser Transfer offizialisiert und dann öffentlich bekannt gemacht wurde: ein Tag vor der Abreise ins Trainingslager. Am Mittwoch um 9.40 Uhr hebt die Mannschaft in Kloten Richtung Costa del Sol ab, und mit dabei ist Renato Steffen, der sich unter der Sonne des Südens zehn Tage herantasten kann an sein neues Umfeld, weit weg von wie auch immer gearteten Meinungsäusserungen.

Die Skepsis oder komplette Ablehnung, die Steffen aus Basel entgegenschlägt, rührt von seinem impulsiven Charakter her. Zumindest auf dem Fussballplatz. Der in Aarau geborene Steffen gilt als Hitzkopf. Schon im Herbst 2014, als der FCB im Stade de Suisse einen verbissenen Kampf 1:0 gewann, stand Steffen im Zentrum von verbalen Auseinandersetzungen, wie auf dem Bild unten andeutungsweise herausgelesen werden kann:


Die Basler Tomas Vaclik, links, und Marcelo Diaz, rechts, diskutieren mit YBs Renato Steffen, Mitte, beobachtet von Schiedsrichter Nikolaj Haenni, im Fussball Super League Spiel zwischen dem BSC Young Boys Bern und dem FC Basel, am Samstag, 18. Oktober 2014, im Stade de Suisse Wankdorf in Bern. (KEYSTONE/Peter Schneider)
18. Oktober 2014 im Stade de Suisse: Verbales Rencontre von Renato Steffen mit FCB-Goalie Tomas Vaclik (links), daneben Marcelo Diaz und Schiedsrichter Nikolaj Hänni. (Bild: Keystone/Peter Schneider)

Spätestens seit dem spektakulären 4:3-Sieg der Young Boys über den grossen Dominator FC Basel im September vergangenen Jahres gilt Steffen als Provokateur. In der hitzigen Schlussphase der Partie im Stade de Suisse lud sich die Atmosphäre so auf, dass Taulant Xhaka und Steffen aneinandergerieten. Nach Spielende verpasste Xhaka dem Berner eine Art Ohrfeige. Steffen ging theatralisch zu Boden, Xhaka sah die Rote Karte und wurde schliesslich für drei Spiele gesperrt.

Steffen sagte damals im Nachgang der Partie: «Emotionen gehören in einem solchen Spiel dazu, da gibt es Sticheleien, von seiner Seite und von meiner, und am Schluss hat er sich nicht im Griff gehabt.»

Provokation und Tätlichkeit: Die Zusammenfassung der Partie am 23. September:

Petric und der brennende FCB-Schal

Nun ist es nicht so, dass Renato Steffen in einem unbedachten Moment einen FCB-Fanschal verbrannt hätte. So wie Mladen Petric bei der Meisterfeier der Grasshoppers 2003. Ein Jahr später wechselte er für den damals sehr stattlichen Betrag von rund drei Millionen Franken zum FCB – und die Fanseele kochte über. Petric‘ Entschuldigung («Tut mir leid») half zunächst wenig. Auf dem Weg zum ersten Training hing an einer Autobahnbrücke ein unübersehbares Transparent: «Ausfahrt St. Jakob für Petric gesperrt.» 

Dass nun auch Steffens Wechsel nach Basel keinen Räppliregen verursacht, ist den Beteiligten klar. In der vom FC Basel gefertigten Mitteilung lässt Steffen wissen: «Natürlich bin ich mir bewusst, dass dieser Wechsel Emotionen auslöst. Auch wenn es für mich einige Anfragen anderer Clubs gab, so habe ich mich nach Abwägen aller Faktoren mit grosser Überzeugung dazu entschieden, beim FCB zu unterschreiben.»

Mit noch spitzeren Fingern ist Bernhard Heuslers Stellungnahme formuliert: «Wir haben uns, wie wir es bei allen Transfers neuer Spieler tun, nach sorgfältiger Beurteilung unserer Bedürfnisse und Herausforderungen dazu entschieden, Renato Steffen zu verpflichten.» «Selbstverständlich», so der Präsident des FC Basel, «haben wir auch berücksichtigt, dass dieser Wechsel neben positiven auch negative Reaktionen auslösen kann.»

Zensur-Androhung des FCB bei 1,7 Millionen Facebook-Freunden

Wohlwissend hat der FCB in dem Moment, als er den Vollzug des Wechsels auf seinem Facebook-Account bekannt machte, seinen mittlerweile über 1,7 Millionen Facebook-Freunden angekündigt: «Liebe Fans. Wir bitten Euch um eine gemässigte Tonalität in den Kommentaren. Jegliche Kommentare unter der Gürtellinie werden wir löschen.»

Mit einem Klick auf das Bild geht es zum Facebook-Account des FC Basel und den Kommentaren. Das Foto im Post zeigt FCB-Sportdirektor Georg Heitz mit Renato Steffen. 

Mit einem Klick auf das Bild geht es zum Facebook-Account des FC Basel und den Kommentaren. Das Foto im Post zeigt FCB-Sportdirektor Georg Heitz mit Renato Steffen.  (Bild: Screenshot facebook.com)

Ausgelöst haben das unter anderem Kommentare, die hart an der Grenze oder darunter angesiedelt sind. Knapp 400 waren es bei Publikation dieses Artikels. Und fast noch harscher waren die Reaktionen der Fans auf die Zensur-Androhung. Das, nachdem erst mit Jahresbeginn eigens ein Social-Media-Manager die Arbeit beim FCB aufgenommen hat.

Die fussballerischen Qualitäten Steffens

Wie auch immer: «Absolut überzeugt» sind sie in der Clubleitung, «das Richtige im Interesse des FCB zu tun.» Von der Zurückweisung der Fans abgesehen, bekommen die Basler einen 24-jährigen Flügelspieler, der es vom SC Schöftland und dem FC Solothurn über Thun und Bern zum Nationalspieler gebracht hat und seit mindestens einem Jahr unter Beobachtung unter anderem diverser Bundesligisten steht.

Auch der FCB hat Steffen schon länger im Auge. Noch zu Zeiten beim FC Thun gab es den ersten Kontakt. «Er hat eine gute Schnelligkeit, er ist gut in Eins-gegen-Eins-Situationen und er hat eine gute Flanke – das reicht für einen Aussenbahnspieler», sagt Sportdirektor Georg Heitz. Meist auf dem rechten Flügel eingesetzt, hat Steffen in der laufenden Saison in 14 Einsätzen drei Tore für die Young Boys erzielt.



epa04975493 Switzerland's' Renato Steffen (L) vies for the ball with Estonia's Artur Piik during the UEFA EURO 2016 qualifying match between Estonia and Switzerland at A. Le Coq arena in Tallinn, Estonia, 12 October 2015. EPA/JAREK JOEPERA
Im Oktober 2015 gab Renato Steffen sein Debüt im Nationalteam, für das er hier im Oktober auch in Tallinn gegen Estland im Einsatz war. (Bild: Keystone/JAREK JOEPERA)

Insgesamt hat Steffen für den FC Thun und YB 106 Wettbewerbsspiele bestritten, 25 Tore geschossen und weitere 21 vorbereitet. Das hat ihm zum Debüt in der Nationalmannschaft unter Vladimir Petkovic verholfen – und das Interesse auf dem Spielermarkt ausgelöst, wo er von Pius Minder vertreten wird. Der Innerschweizer betreibt mit dem ehemaligen Bayern-Profi Ludwig Kögl eine Beratungsagentur, von der auch Weltmeister Thomas Müller betreut wird. 

Die traumatisierten Young Boys

Auf Steffen sind nicht nur FCB-Fans nicht gut zu sprechen, sondern nun auch Fredy Bickel. Der YB-Sportchef hat den Kürzeren gezogen, und in Bern fühlt man sich an das traumatisch nachwirkende Frühjahr 2010 erinnert, als der (ablösefreie) Yapi-Wechsel zum Saisonende nach Basel ein Grund dafür war, dass die Young Boys den Meistertitel in einer Finalissima gegen den FCB in den Sand setzten.

«YB als Verlierer des Transfertheaters zu bezeichnen, wäre zu einseitig» – die Berner Zeitung kommentiert den Steffen-Wechsel

Die Basler haben nun nicht erneut zugewartet bis zum Sommer. Das wäre auf Kosten des Spielers gegangen, der sich mit Spielpraxis für den EM-Kader von Petkovic empfehlen will. Dafür hat er in Basel gute Voraussetzungen, bis mindestens Saisonende allerdings auch einen Konkurrenzkampf mit Breel Embolo auf dem rechten und mit Birkir Bjarnason sowie Jean-Paul Boëtius auf dem linken Flügel.

Fischer und Petric wissen, wie man salonfähig wird

Vielleicht hat Urs Fischer auch noch eine andere Idee. Jedenfalls kennt der Trainer Steffen aus dem ersten Jahr (2012/13) beim FC Thun. «Er hat sich nicht für den leichtesten Weg entschieden», findet Bernhard Heusler und freut sich auf einen «schnellen und trickreichen» Spieler, dem der FCB ein Umfeld bieten will, «in dem er seine Fähigkeiten entfalten kann».

Die Entspannungsphase bei Petric begann übrigens vor über zehn Jahren mit einem krachenden 8:1 des FCB gegen den Erzrivalen und Petric‘ Ex-Verein Grasshoppers. Und am 23. November 2006 machte sich Petric in einem Europacupspiel, als Torhüter Franco Costanzo vom Platz gestellt worden war, mit einem gehaltenen Elfmeter wenn nicht unsterblich, so doch bei den meistens Fans einigermassen salonfähig. Und das ist ja auch dem in Basel mit Skepsis empfangenen Zürcher Urs Fischer in Basel relativ schnell gelungen.

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» Die Mitteilung des FC Basel zum Steffen-Transfer
» Die Young Boys auf ihrer Webseite zum gleichen Thema

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