Wenn heute Abend im Estadio da Luz in Lissabon die letzte Begegnung der Gruppe A zwischen Benfica und dem FC Basel angepfiffen wird, scheint auch schon der kommende Montag auf. Dann wird in Nyon am Hauptsitz der Uefa gelost, und der Schweizer Meister wird dabei sein, komme, was da wolle.
In Lissabon und in Manchester, wo die United den ZSKA Moskau empfängt, entscheidet sich an diesem Dienstag für den FCB nur noch, ob sein Name nächsten Montag bereits um 12 Uhr in einer der Loskugeln liegt, mit denen die Achtelfinals der Champions League bestimmt werden. Oder erst eine Stunde später, wenn die K.o.-Runde in der Europa League ausgelost wird.
Im Spätherbst eine Runde vor Schluss schon zu wissen, dass er im Frühjahr weiterhin international dabei sein wird – das ist dem FC Basel in seiner reichen internationalen Geschichte auch noch nicht oft passiert. 2010/11 war vor der 0:3-Niederlage bei Bayern München klar, dass der FCB Platz 3 vor Cluj und damit die Sechzehntelfinals der Europa League (gegen Spartak Moskau) erreichen würde. Und ein Jahr später war das Überwintern ebenfalls bereits gesichert, ehe mit dem legendären 2:1 gegen Manchester United sogar die Achtelfinals der Champions League gebucht wurden.
Noch einmal, 2015/16 in der ersten Saison von Urs Fischer, stand schon vor der letzten Runde fest, dass der FCB in der Europa League überwintern würde. Nun hat er das im ersten Halbjahr des grossen Umbruchs erneut vorzeitig sichergestellt. Ein Erfolg, der gar nicht hoch genug eingeschätzt werden kann – vom finanziellen Aspekt ganz abgesehen.
Mit Prämien und Zuschauereinnahmen aus den Heimspielen hat der FCB jetzt schon rund 25 Millionen Franken verdient. Heute in Lissabon stehen noch einmal 1,75 Millionen Siegprämie (oder knapp 600’000 Franken für ein Remis) auf dem Spiel und weitere sieben Millionen, die eine Achtelfinal-Qualifikation in der Champions League wert wäre. Und ganz nebenbei ist der Marktwert der Akanjis, Langs und Oberlins nach oben gejazzt worden.
Wicky: «Natürlich will ich jetzt in die Achtelfinals»
«Wir sind in einer super Ausgangslage, von der alle geträumt haben», sagte Raphael Wicky am Montag bei der Anreise nach Portugal und erinnerte: «Das ist überhaupt nicht selbstverständlich.» Schon gar nicht, wenn man den Saisonverlauf betrachtet. Wer hätte nach den Niederlagen im September gegen Lausanne, bei Manchester United und in St. Gallen einen solchen Höhenflug für möglich gehalten?
«Seither ist es stetig bergauf gegangen», sagt Wicky, «und was immer passieren wird: Ich bin stolz auf die Mannschaft, und wir spielen in Lissabon auf Sieg.» Auch wenn der Trainer einen Fortgang in der Europa League «prinzipiell nicht als Enttäuschung» empfinden würde, lässt er keine Missverständnisse aufkommen: «Natürlich wollen wir jetzt in die Achtelfinals der Champions League.»
Ein bisschen Europacup-Arithmetik
Voraussetzung dafür ist, dass Moskau in Manchester nicht mehr Punkte holt als der FCB in Lissabon. Bleiben Moskau und Basel gleichauf, entscheidet der direkte Vergleich zugunsten der Schweizer. Gewinnen sowohl der ZSKA als auch der FCB, stehen drei Mannschaften bei zwölf Punkten. In diesem Fall würde eine separate Rechnung unter diesen dreien ohne die Ergebnisse gegen Benfica aufgemacht. Bei einem Sieg in Manchester mit drei Toren Unterschied zöge Moskau noch am FCB vorbei. Mehr zur Europacup-Arithmetik:
Im Tross des FC Basel geht man einerseits davon aus, dass sich das «hoch ambitionierte» (Michael Lang) Manchester United nach der Niederlage in Basel vor eigenem Publikum nicht erneut eine Blösse geben will. Anderseits glaubt Raphael Wicky nicht, dass Benfica nach der bislang punktlosen Kampagne das Heimspiel gegen Basel «einfach so aus der Hand gibt». Denn: «Da geht es auch um Stolz, Prestige und Ehrgeiz.»
Zwölf Champions-League-Punkte – das wäre Clubrekord
Gewinnt der FCB auch noch in Lissabon, würde er mit zwölf Punkten aus den sechs Gruppenspielen die höchste Ausbeute bei seinen bisherigen acht Champions-League-Teilnahmen erzielen. Die elf Zähler aus der Saison 2011/12 stellen bisher das Höchstmass dar, eine Zeit, als Marco Streller selbst noch für Husarenstücke wie jenes gegen Manchester United mitverantwortlich war.
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Dass die Nachfolge-Generation nun diese Marke pulverisieren könnte, «damit könnte ich gut leben», sagt der Sportchef des FCB. Streller strahlte am Montag eine Mischung aus Gelassenheit, Angespanntheit und Zuversicht aus: «Wir sind im Moment sehr stabil, die Mannschaft kann die Achtelfinals erreichen. Ich glaube es allerdings erst, wenn wir durch sind.»
Strellers mutige Ansage – und die Bestätigung
Streller hatte sich weit aus dem Fenster gelehnt, als er zu Beginn diese Champions-League-Saison die Achtelfinals als Ziel ausgegeben hatte. «Das ist eine extrem mutige Aussage gewesen», räumt er ein und erklärt sein Motiv: «Man muss auch mal einen raushauen. Wenn man sich so exponiert, dann nimmt das auch Druck von der Mannschaft.»
Nun darf er sich bestätigt fühlen in seinem Optimismus, der Streller schon als Spieler und Captain des FC Basel gekennzeichnet hatte. «Dass es in der Champions League so optimal aufgeht, dass wir jeden der drei Gegner einmal schlagen konnten – das war nicht zu erwarten.» Der Sportchef und Verwaltungsrat meint, man könne jetzt bereits «von einem guten Halbjahr» sprechen.
Wahrscheinlich gewinnt das Abschneiden auf europäischer Ebene aber schon jetzt noch ein Stück weit mehr an Bedeutung. Das Selbstvertrauen, die spielerischen Fortschritte und die mentale Stärke – das sind Stabilitätsfaktoren, mit denen nun auch in der Meisterschaft die Young Boys wieder in Schlagdistanz gekommen sind. «Im Moment», sagte Marco Streller am Montag, als er auf dem Flughafen in Lissabon auf sein Gepäck wartete, «ist es die Leichtigkeit des Seins.»
Wicky: «Den Chip während des Spiels auszuwechseln, ist nicht möglich»
Was Manchester United und der ZSKA Moskau zeitgleich veranstalten hin oder her: «Wir wollen unseren Job machen», sagt Raphael Wicky. Natürlich wird die Bank des FCB im Estadio da Luz über den Fortgang der Dinge in Old Trafford auf dem Laufenden sein, fokussieren soll die Mannschaft nach der Massgabe des FCB-Trainers jedoch darauf, «dass wir auch in Lissabon gewinnen können». Eine andere Einstellung kommt für ihn nicht infrage, denn: «Den Chip während eines Spiels auszuwechseln, ist nicht möglich.»
Ausser den erkrankten Omar Gaber und Geoffroy Serey Dié fehlt beim FCB Germano Vailati. Dafür gehört Ricky van Wolfswinkel zur Reisegruppe. Der Niederländer hatte sich im Hinspiel einen Mittelfussbruch zugezogen. Noch hat er nicht wieder das Mannschaftstraining aufgenommen, doch als Ex-Spieler von Sporting ist er so etwas wie das Basler Maskottchen.
Zum sechsten Mal seit 2008 in Lissabon
Zum sechsten Mal seit 2008 tritt der FCB in Lissabon an: Gegen Sporting gab es drei Niederlagen und ein Null zu Null, bei Benfica spielte man 2012 in der Champions League unter Heiko Vogel 1:1 (Tor: Benjamin Huggel) und bei Belenenses gelang in der Europa League 2015 mit dem 2:0 der bislang einzige Sieg in der portugiesischen Hauptstadt.
Es würde nicht wundern, liesse Wicky bis auf eine Änderung die Elf auflaufen, die auch am Samstag in Lausanne in ihrem eingeübten 3-4-3 gespielt hat: mit Dimitri Oberlin anstelle von Albian Ajeti als Angriffsspitze. Das wird bei Benfica mit der bitteren Erfahrung aus dem Hinspiel und den beiden Oberlin-Toren die Erinnerung an das Basler Umschaltspiel wachhalten.
Voraussichtliche Aufstellung des FCB (3-4-3):
Vaclik – Akanji, Suchy, Balanta – Lang, Zuffi, Xhaka, Petretta – Steffen, Oberlin, Elyounoussi.
Gesperrt bei der nächsten Verwarnung: Balanta.