Der Flachland-Adler fliegt zum Erfolg

Thomas Diethart schwebt in Richtung des Gesamtsieges an der Vierschanzentournee. Der 21-Jährige überrascht nicht nur die Konkurrenten, sondern auch Insider. Einen ersten Preis hat er schon mal auf sicher: ein Schwein, von seinem Vater.

Austria's Thomas Diethart soars in front of the Zugspitze mountain during his first competition jump at the second stage of the four hills ski jumping tournament in Garmisch-Partenkirchen, southern Germany, Wednesday, Jan. 1, 2014. (AP Photo/Matthias Schr (Bild: MATTHIAS SCHRADER)

Thomas Diethart schwebt in Richtung des Gesamtsieges an der Vierschanzentournee. Der 21-Jährige überrascht nicht nur die Konkurrenten, sondern auch Insider. Einen ersten Preis hat er schon mal auf sicher: ein Schwein, von seinem Vater.

Soll man Thomas Diethart jetzt eigentlich gratulieren, oder muss man ihn nicht doch vielleicht sogar bemitleiden nach seinem Höhenflug beim Garmischer Neujahrsspringen? Der sensationelle Triumph hat den jungen Mann aus Niederösterreich nicht nur auf Kurs Richtung Tournee-Gesamtsieg gebracht, er hat mit diesem Coup so nebenbei auch noch eine ordentliche Sauerei angerichtet.

«Mein Papa hat mir für meinen ersten Sieg ein echtes Schwein versprochen», sagte ein schmunzelnder Thomas Diethart nach seinem Überraschungserfolg vor Thomas Morgenstern und Simon Ammann im Auslauf der Garmischer Olympiaschanze, «das muss er jetzt aber auch gefälligst durchziehen.»

Vor drei Wochen noch in den Niederungen

Dass seine Wohnung eigentlich viel zu klein ist für ein Hausschwein, stört den 21-jährigen Senkrechtstarter im Moment genauso wenig wie der immer grösser werdende Rummel um seine Person. Das Phänomen Thomas Diethart beschäftigt längst auch die ausländische Konkurrenz. Dass ein Mann, der noch vor drei Wochen in den Niederungen des Kontinentalcups als verlässlicher Top-Ten-Springer bekannt war, plötzlich bei der Tournee den anderen um die Ohren fliegt, verblüfft auch Insider wie den österreichischen Olympiasieger und Skisprung-Doyen Anton Innauer. «Dass einer vom einen Tag auf den anderen so durchstartet, gibt es nur im Skispringen. Aber mir ist es trotzdem unerklärlich, wie so was geht.»

«Dass einer vom einen Tag auf den anderen so durchstartet, gibt es nur im Skispringen.»

Skisprung-Doyen Anton Innauer über Diethart

Zumal dieser Thomas Diethart so ziemlich die schlechtesten Startvoraussetzungen hatte, die es in Österreich für eine Skisprung-Karriere gibt. Der 21-Jährige stammt aus den Niederungen des Tullnerfelds, wo die höchste Erhebung der Kirchturm ist und die nächste Sprungschanze knapp 200 Kilometer entfernt ist. Der Kosename, den der Niederösterreicher mittlerweile in seiner Heimat vom Boulevard bereits erhalten hat, liegt deshalb auf der Hand: Flachland-Adler.

Diethart selbst will nach seinem ersten Weltcupsieg dem Erfolgsgeheimnis erst gar nicht gross auf den Grund gehen. «Ich mach’ eigentlich gar nichts Besonderes und habe einfach nur grossen Spass am Skispringen», erklärte der 21-Jährige Shootingstar, der nun mit 11,5 Punkten Vorsprung auf seinen Landsmann Thomas Morgenstern und 13 Punkten auf Simon Ammann zur dritten Tourneestation nach Innsbruck reist.

Ammann so gelöst wie selten

Den lockeren Zugang zum Sport hat Diethart mit Simon Ammann gemein. Auch der Schweizer Routinier wirkt dieser Tage so gelöst wie selten zuvor bei der Vierschanzentournee. Der Auftaktsieg in Oberstdorf hat dem 32-Jährigen sichtbar Flügel verliehen, was nicht zuletzt der dritte Platz beim Neujahrsspringen beweist. «Das hat mich selbst extrem erstaunt, dass es hier so gut gegangen ist», erzählt Ammann.

Denn der Routinier hatte in Garmisch bei seinen Sprüngen nicht nur schlechteren Wind, als viele Konkurrenten, er zählt die Olympiaschanze auch nicht zu seinen Lieblings-Bakken. «Unter diesen Voraussetzungen war die Leistung ganz in Ordnung», meinte Ammann. Denn auch ihm ist nicht verborgen geblieben, dass etliche Stars der Szene schlecht ins neue Jahr gerutscht sind.

In Garmisch verabschiedeten sich gleich mehrere Favoriten aus dem Kampf um den Tournee-Gesamtsieg.

In Garmisch verabschiedeten sich gleich mehrere Favoriten aus dem Kampf um den Tournee-Gesamtsieg. Anders Bardal (Nor), der Zweite von Oberstdorf? Diesmal abgeschlagen auf Rang 13. Peter Prevc (Slo), der Dritte von Oberstdorf? Als 18. unter ferner sprangen. Und Gregor Schlierenzauer, der Sieger der Tourneen von 2012 und 2013? Als Achter so schlecht wie noch nie in Garmisch. «Für mich ist das Kapitel Gesamtsieg erledigt», erklärte der Österreicher, «ich verwende die Tournee jetzt nur mehr als gutes Training.»

Ammann will den Sieg

Simon Ammann hat den Traum von seinem ersten Tourneesieg noch längst nicht aufgegeben. Auch wenn Thomas Diethart derzeit in eigenen Sphären zu schweben scheint und bereits 13 Zähler oder umgerechnet 7 Meter vor dem Schweizer Routinier liegt.

Ammann weiss nur zu gut, dass bei den Tourneespringen in Österreich der Druck auf den bislang so unbekümmerten Diethart ins Unermessliche steigen wird. Und dass die Erfolgsformel des jungen Mannes («ich denke im Moment nicht viel nach und lasse es einfach laufen») vermutlich ein Ablaufdatum besitzt. Und vor allem weiss Simon Ammann, dass er sein Potenzial noch lange nicht ausgeschöpft hat. «Ich bin weiter im Rennen um den Gesamtsieg», verspricht er, denn: «Wenn ich noch mehr Zunder in den Beinen habe, dann geht es bei mir auf der Schanze noch ein gutes Stück weiter.»

Für Anton Innauer ist die Tournee derweil bereits entschieden. Nur Thomas Diethart könne Thomas Diethart auf dem Weg zum Gesamtsieg noch stoppen. «Ich kenne das aus eigener Erfahrung: Der Thomas hat im Moment das Gefühl, dass er schwebt. So ist er nicht zu bremsen.»

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