Am Mittwochabend ist Zdravko Kuzmanovic zurückgekehrt in den Schoss des FC Basel. Im Trainingslager stiess er zur Mannschaft, aus einem Trainingslager verschwand er vor achteinhalb Jahren auch plötzlich, um nach Florenz zu wechseln. Die Rekonstruktion des abenteuerlichen und seinerzeit teuersten Transfers eines Schweizer U21-Nationalspielers.
Man muss sich die Gefechtslage im Januar 2007 ungefähr so vorstellen:
Der FC Basel dümpelt mit 10 (in Worten: zehn) Punkten Rückstand auf den amtierenden 13.-Mai-Meister FC Zürich auf Platz 5 (!). Der FCB hat im Nachgang der Ausschreitungen im Meisterschaftsfinale 2006 viel mit sich selbst zu tun, aber ungeachtet der fussballerischen Baisse hat sich ein Junger aus dem Nachwuchs emporgeschwungen: Zdravko Kuzmanovic.
Von Chefscout Ruedi Zbinden in Bern bei den Young Boys entdeckt, spielt Kuzmanovic ab 2004 in der U21 des FCB. Am 22. Oktober 2005, im Cup-Derby gegen die Old Boys, debütiert Kuzmanovic in der ersten Mannschaft und trifft gleich zweimal beim 6:1. (Den Ehrentreffer erzielt übrigens ein gewisser Eren Derdiyok, der bald darauf im Kader von Christian Gross auftaucht. Aber das ist eine andere Geschichte.)
Sieben Tage später darf Kuzmanovic erstmals im St.-Jakob-Park ran. Vor 18’929 Zuschauern wird er in der 87. Minute des Meisterschaftsspiels gegen Yverdon (3:1) für Julio Hernan Rossi eingewechselt. Dann nehmen die Dinge ihren Lauf. Dass Kuzmanovic, der in Thun geboren wurde und dessen Eltern bosnische Serben sind, ein hochbegabter Mittelfeldspieler ist, bestätigt er rasch. 17 grösstenteils Teileinsätze kommen bis Saisonende 2005/06 zusammen, ein Tor erzielt er in der Liga und deren fünf bereitet er vor.
Abgelehnt: Angebote des FCB und von Palermo
Ein halbes Jahr später, Kuzmanovic ist am 22. September 2006 19 Jahre alt geworden, hat er sich bereits zu einer festen Grösse entwickelt. 28 Wettbewerbsspiele (fünf Tore) absolviert er bis Weihnachten, und der FCB legt seinem Juwel, der noch bis 2008 an den Club gebunden ist, ein Angebot zur Vertragsverlängerung vor.
Der Jubel nach einem von neun Toren für den FCB: Zdravko Kuzmanovic am 13. August 2006 gegen Thun. (Bild: Keystone/GEORGIOS KEFALAS)
Und erhält einen Korb. «Wir haben den FCB darüber informiert, dass Zdravko seinen Vertrag nicht verlängern wird», erzählt Marcel Schmid, ein in Zürich domizilierter Spielerberater, am 7. Januar 2007 der «Basler Zeitung».
Zu diesem Zeitpunkt liegt dem FCB bereits eine konkrete Offerte der US Palermo für Kuzmanovic vor. Auch die Bolton Wanderes aus der Premier League und Celtic Glasgow buhlen um das Talent, und die «BaZ» wittert: «Damit ist der Kampf um Kuzmanovic endgültig lanciert, und klar ist: Sollte der FCB sein Talent schon jetzt im Januar verkaufen, wird dieser der teuerste Schweizer U21-Nationalspieler aller Zeiten.»
Die Italiener erhalten eine Abfuhr vom FCB. Die Ablösesumme ist nicht nach den Vorstellungen des FCB. «Da müssten sie schon mit einem anderen Angebot kommen», sagt Zbinden.
Der FCB kann Geld gut gebrauchen
Geld kann der FCB zu dieser Zeit gut gebrauchen. Präsidentin Gigi Oeri hat dem Club einen Sparkurs verordnet. In der Gruppenphase des Uefa-Cup sind die Basler sang- und klanglos ausgeschieden, eine Kürzung der Lohnsumme ist das Ziel in der Winterpause und erstmals nach den glorreichen Zeiten der Champions-League-Teilnahme 2002/03 wirbt der Club wieder auf Plakaten in der Stadt um Jahreskartenkunden.
Harte Zeiten im Jahr 2007, in denen FCB-Präsidentin Gigi Oeri (links) ihrem Trainer Christian Gross nicht mehr jeden Wunsch von den Lippen abliest. (Bild: Keystone/PETER KLAUNZER)
Kuzmanovic findet, dass er dann eben seinen Vertrag erfüllt und sein Bestes für den FCB gibt. Christian Gross hält einen Wechsel des 19-jährigen Kuzmanovic ohnehin für verfrüht. Aber die Unione Sportiva Palermo meint es ernst. Sie erhöht ihr Angebot. Angeblich soll es nun umgerechnet um rund 4,5 Millionen Franken Ablöse gehen und um Einnahmen aus einem Freundschaftsspiel an den FCB. Kuzmanovic‘ Berater Marcel Schmid lässt ausrichten: «Zdravko hat sich alles nochmals überlegt. In seinem Kopf ist die Entscheidung gereift, dass er die Chance im Ausland nun packen möchte.»
1,5 Millionen Euro netto – Palermo reist ab
Dann platzt die ganze Geschichte mit Getöse. Am späten Abend des 15. Januar 2007 reist eine Delegation aus Palermo mit Club-Präsident Maurizio Zamparini entrüstet aus Basel ab. Zwischen den Vereinen war offenbar bereits alles verabredet, laut Zamparini die Papiere bereits unterschrieben. Doch in der Verhandlungsrunde mit Zdravko Kuzmanovic und dessen Vater Ljubomir werden für den Spieler plötzlich 1,5 Millionen Euro Jahresgehalt aufgerufen. Netto.
«Eine unglaubliche Summe für einen derart jungen Spieler», zürnt Zamparini. «Man konnte sich beim Vertrag nicht finden», erklärt Berater Schmid.
Die Sizilianer, zu diesem Zeitpunkt stolzer Dritter in der Serie A, geben sich brüskiert, Zdravko Kuzmanovic verteidigt sich und seinen Vater («Zu Vertragsdetails möchte ich mich nicht äussern. Nur so viel: Mein Vater ist nicht der Schuldige. Wir haben gemeinsam so entschieden.») und beim FCB seufzt Gigi Oeri: «Uns entgeht Geld.»
Immerhin hat der Tag auch noch seine schönen Seiten: Der FCB ist guter Dinge, seinen untauglichen Stürmer Cristiano an Willem II Tilburg loszuwerden und von der Lohnliste zu bekommen, Eren Derdiyok, inzwischen in der U21 des FCB, unterzeichnet seinen ersten Profivertrag und dem 18-jährigen Ivan Rakitic liegt ebenfalls ein Angebot vor.
Auftritt der Moralapostel
Der geplatzte Deal ruft die Moralapostel auf den Plan. Die «Basellandschaftliche Zeitung» schreibt: «Eine andere Tageszeitung in der Nordwestschweiz», womit niemand anderes als die «BaZ» gemeint ist, habe im Fall Kuzmanovic «seitenweise belangloses Zeugs geliefert». Spekulationen um Fussballtransfers seien «die Pestbeulen im modernen Sportjournalismus», aus denen sich, «wenn man sie aufsticht, literweise Eiter und Schleim ergiessen».
Auch ein bisschen entrüstet, aber in der ihm eigenen Gelassenheit liest Helmut Hubacher in seiner «BaZ»-Kolumne Vater und Sohn die Leviten und rechnet vor: «1,5 Millionen Euro netto Jahreslohn. Das sind 2,4 Millionen Franken oder 200’000 Franken im Monat.» Zumindest damals noch. Und: «Kultur und Takt werden klein geschrieben. Nicht einmal zwei Anstandsjahre als Dank für die gute Ausbildung möchte Kuzmanovic durchhalten.» Hubachers Schlussfolgerung: «Das Fussballgeschäft krankt am Kommerz. Am zu vielen Geld.» Wir schreiben das Jahr 2007.
Kuzmanovic’ Abgang aus La Manga
Ein paar Tage später reist der FCB zum Trainingslager ins spanische La Manga. Mit Zdravko Kuzmanovic und bei lausigem Wetter. Der Monat Januar neigt sich dem Ende entgegen und damit auch die Transferfrist. Zumindest in Ländern wie Italien.
Am Dienstag, 30. Januar, der Mittagstisch ist gerade abgeräumt, steht Zdravko Kuzmanovic plötzlich mit gepackter Reisetasche am Portal des Hyatt Regency Hotels in La Manga. Palermo ist Vergangenheit, jetzt ist die Fiorentina im Rennen, Dreizehnter der Serie A, gerade von Skandalen durchgeschüttelt, aber dessen ungeachtet beim FCB mit einem neuen Angebot für Kuzmanovic vorstellig geworden.
Ausschnitt Basler Zeitung vom 31.1.2007
Bevor der Spieler in ein Taxi steigt, um über Alicante und Mailand nach Florenz zu fliegen, sagt er: «Ich habe noch keinen Kontakt mit dem Verein gehabt. Das läuft alles über meinen Manager.» Christian Gross sagt: «Es ist schade. Wir verlieren einen Leistungsträger, aber es ist sein Wunsch und der seiner Entourage.»
Berater raus, neuer Berater rein
Hier nimmt die Sache eine weitere Wendung. Denn der Manager ist nicht mehr länger der Zürcher Marcel Schmid, sondern Marko Naletilic. Der Kroate, auf italienischen Mercati gut vernetzt, hat die Drähte zwischen Familie Kuzmanovic und Florenz gespannt. Schmid, drei Jahre lang mit dem Spieler verbunden, ist nicht mehr mit im Boot und konsterniert: «Ein schlechter Witz», sagt er zur «BaZ», «so was habe ich noch nie erlebt.» Kuzmanovic gibt kühl zu Protokoll: «Ich hatte zwar einen Beratervertrag mit Marcel Schmid, aber wir haben alles geregelt. Er ist nicht mehr mein Berater. Es ist kein Vertrauen mehr da.»
Ausgebootet: Marcel Schmid (links), Kuzmanovic’ Berater. Hier im Jahr 2009 mit dem Onegoal-Mitbegründer Paul Bollendorff. (Bild: Melanie Duchene/EQ Images)
Anderntags, fünfeinhalb Stunden bevor das Transferfenster schliesst, meldet der FCB Vollzug. Nachdem sich der übliche Irrsinn abgespielt hat, andere Vereine, auch Palermo noch einmal, in letzter Minute auf den Zug aufspringen wollten. Die Fiorentina sichert sich Kuzmanovic mit einem Vertrag bis 2011, der FCB erhält im Gegenzug knapp fünf Millionen Euro.
Damit wird Kuzmanovic tatsächlich zum kostspieligsten Schweizer U21-Nationalspieler. Nur zwei Monate später überrumpelt er den Schweizerischen Fussballverband SFV und entscheidet sich dafür, künftig für die serbische Nationalmannschaft anzutreten. Aber das ist noch einmal eine andere Geschichte.
In Basel sind die FCB-Fans natürlich enttäuscht, dass Kuzmanovic nach 53 Spielen (9 Tore) in Rotblau geht. Er sagt, wen wundert es, dazu: «Meine Zukunft stand im Vordergrund, nicht das Geld. Wenn es um Geld gegangen wäre, hätte ich woanders unterschreiben können.»
Im Trikot der «Viola» debütiert Kuzmanovic am 4. März 2007, es kommen lediglich noch drei Einsätze hinzu. Der Durchbruch unter dem späteren Nationaltrainer Cesare Prandelli gelingt ihm in der darauffolgenden Saison, in der er 48 von 56 möglichen Partien spielt.
Gross blitzt bei der FCB-Leitung mit Cabanas ab
Die sportliche Lücke, die Kuzmanovic beim FCB hinterlässt, wird nicht spontan geschlossen. Christian Gross blitzt bei der Clubleitung mit seinem Vorstoss, Ricardo Cabanas aus Köln zu holen, rundweg ab. Sozialisierungsprognose: schwierig. Ausserdem heisst es: sparen.
Auch ohne Kuzmanovic setzt der FCB im Frühjahr 2007 zu einer beeindruckenden Aufholjagd an. Er ist am Ende Leidtragender des berühmten Falls Muntwilers und einem Forfaitsieg für den FCZ, der den Zürchern schliesslich erneut den Titel mit einem Punkt Vorsprung sichert. «Aufholjagd nicht belohnt – FC Basel als Meister der Herzen» – so titelte damals, das muss man sich einmal vorstellen, nicht ein Nordwestschweizer Blatt, sondern die «Berner Zeitung».
Der FCB steht nach dem Schwarzen Samstag des 13. Mai 2006 ein Jahr später wieder auf den Beinen, und Kuzmanovic ist Geschichte – bis er achteinhalb Jahre später ziemlich unvermittelt im Trainingslager des FC Basel auftaucht.
» Die Leistungsdaten des Fussballprofis Zdravko Kuzmanovic bei transfermarkt.ch
Durchbruch in der zweiten Saison: Zdravko Kuzmanovic im Trikot der Fiorentina, hier im Champions-League-Duell mit Bayern München und Franck Ribery im November 2008. (Bild: Keystone/MAURIZIO DEGL’INNOCENTI)