Beat Feuz schien im Kampf um den Gesamtweltcup alle Trümpfe in den eigenen Händen zu haben. Nach dem Super G ist plötzlich Konkurrent Marcel Hirscher in der Pole Position. Nervös machen lassen sich davon beide nicht.
Marcel Hirscher verzog keine Miene, als er Beat Feuz plötzlich über die Planai-Piste rutschen sah. Seine Freundin neben ihm zuckte kurz zusammen, der Mann in seinem Rücken konnte sich ein Grinsen sichtlich nicht verkneifen, und im Zielraum von Schladming war das Raunen nicht zu überhören. Nur Marcel Hirscher stand regungslos da und tat so, als würde ihn das ganze nichts angehen.
Vielleicht weil er wusste, dass in diesem Moment, als sein härtester Widersacher im Kampf um die grosse Kristallkugel das Gleichgewicht verlor, die Kameras auf ihn gerichtet waren. Vielleicht auch, weil ihm in der Person von Beat Feuz einmal mehr vor Augen gehalten wurde, wie schmal der Grat ist zwischen Glück und Leid, zwischen Held und Pechvogel. Und Marcel Hirscher zeigte auch deshalb öffentlich keine Emotionen, weil ihm Gefühle wie Schadenfreude fremd sind. «Ich wünsche niemandem einen Ausfall», meinte Hirscher, der durch das Malheur des Schweizer Konkurrenten den Rückstand im Gesamtweltcup auf 75 Punkte verringern konnte.
Erfolgreiches Fremdgehen
Dabei waren beim Weltcup-Final alle Zeichen auf Vorentscheidung gestanden. Nach dem zweiten Platz in der Abfahrt vom Mittwoch hatte Beat Feuz alle Trümpfe in der Hand: 135 Punkte Vorsprung, Topform, dazu den geliebten Super-G vor sich – die Weltcup-Statistiker hatten bereits mehrere Szenarien entwickelt, wie der Schweizer bereits im Super G die grosse Kristallkugel fixieren hätte können. Doch sie alle hatten die Rechnung ohne Marcel Hirscher gemacht, der beim «Fremdgehen» mit dem dritten Platz den besten Super G seines Lebens absolvierte.
Vor allem aber hatte niemand mit einer Panne von Beat Feuz gerechnet, denn der 25-Jährige hatte sich in den letzten Rennen als Mister Cool präsentiert und war in Stress- und Drucksituationen immer besonders souverän aufgetreten. Doch dann kam alles anders, und mit einem Schlag scheint plötzlich der Technik-Experte Marcel Hirscher die besseren Karten zu haben.
Es war ein simpler Fahrfehler, der Beat Feuz im Super G aus der Bahn geworfen hatte. Ein Ausrutscher an einer harmlosen Stelle der Strecke, die keinem anderen Läufer beim Weltcup-Final zum Verhängnis geworden war. Eine kurze Unachtsamkeit, eine falsche Gewichtsverlagerung – und schon lag der 25-jährige Weltcupleader im Schnee.
Feuz bleibt gelassen
«Ein Innenskifehler», analysierte Beat Feuz überraschend gelassen, «ein unerwarteter Innenskifehler.» Denn der Schweizer hatte bis zu seinem Ausscheiden im Mittelteil des Super G weder nervös noch unsicher gewirkt. Im Gegenteil: «Ich habe mich sogar besser als am Mittwoch in der Abfahrt gefühlt», erklärte Feuz nach seiner Panne.
Das Malheur tat dem Schweizer gleich doppelt weh. Denn während Feuz einen Nuller einfuhr und sein Punktekonto bei 1330 Zählern eingefroren blieb, setzte Widersacher Hirscher zur grossen Aufholjagd an. Der Österreicher, der normal nur auf den Slalom- und Riesenslalom-Pisten daheim ist, hatte vor wenigen Tagen sogar noch an der Sinnhaftigkeit eines Super-G-Startes gezweifelt, doch dann überraschte er plötzlich Gegner, Publikum und vor allem aber: sich selbst. «Bisher war ich im Super G ja immer ein Hosenscheisser und hab’s mir nie zugetraut», meinte Hirscher, der auf der selektiven Strecke seine technischen Qualitäten ausspielen konnte und sogar nur sechs Hundertstelsekunden langsamer war als der italienische Sieger Christof Innerhofer.
Damit zeichnet sich nun auf der Zielgerade des Ski-Weltcups ein Fotofinish ab. Ein Fotofinish, vor dem keiner der beiden Sieger-Kandidaten grosse Sprüche klopft. Leader Beat Feuz schiebt trotz seiner Führung die Favoritenrolle Marcel Hirscher in die Skischuhe. «Er hat den Super G gut gelöst. Jetzt sind die Vorteile sicher bei ihm und ich bin im Hintertreffen», gesteht der 25-Jährige, der nur mehr eine Disziplin hat, um sein Punktekonto zu erhöhen. «Ich kann nur noch versuchen, im Riesenslalom Punkte zu holen.»
Immerhin Hirscher glaubt noch an Feuz
Herausforderer Hirscher traut dem Schweizer im Riesenslalom allerdings ein ähnliches Husarenstück zu, wie es ihm im Super G gelungen ist. «Ich trau‘ ihm alles zu, aber es wird definitiv spannend, egal, was kommt.» Was definitiv kommt, ist der Druck. Denn nach dem Coup im Super G wird von Hirscher in seinen Paradedisziplinen Riesenslalom und Slalom das finale Überholmanöver regelrecht erwartet.
Immerhin hat der 23-Jährige in diesem Winter diese beiden Wettbewerbe dominiert (acht Saisonsiege). Doch Hirscher weiss nicht erst seit dem Missgeschick von Beat Feuz, wie schnelllebig der Ski-Weltcup ist: «Ein Ausfall von mir und schon schaut wieder alles ganz anders aus.»
Schladming (Ö). Weltcup-Super-G der Männer: 1. Christof Innerhofer (It) 1:21,24. 2. Alexis Pinturault (Fr) 0,02 zurück. 3. Marcel Hirscher (Ö) 0,06. 4. Matteo Marsaglia (It) 0,22. 5. Benjamin Raich (Ö) und Hannes Reichelt (Ö) 0,29. 7. Matthias Mayer (Ö) 0,47. 8. Kjetil Jansrud (No) 0,48. 9. Didier Cuche (Sz) 0,77. 10. Ted Ligety (USA) 0,83. Ferner: 13. Didier Défago (Sz) 1,08. – Ohne Weltcuppunkte: 16. Aksel Lund Svindal (No) 1,21. 17. Klaus Kröll (Ö) 1,30. 22. Ralph Weber (Sz) 2,16. 24. Silvan Zurbriggen (Sz) 2,51. – Ausgeschieden u.a.: Beat Feuz (Sz). – Der Stand im Gesamt-Weltcup: 1. Feuz 1330 Punkte. 2. Hirscher 1255.