Der HSV und Peter Knäbel: Verirrt im Hamburger Nebel

Peter Knäbel war einer der grossen Architekten des Fussballnachwuchses beim FC Basel. Jetzt muss er als Interimstrainer des Hamburger SV erkennen, dass der erstmalige Abstieg des Bundesliga-Dinosauriers kurz bevorsteht.

epa04691883 Hamburg's coach Peter Knaebel pictured before the German Bundesliga soccer match between Bayer Leverkusen and Hamburger SV at the BayArena in Leverkusen, Germany, 4 April 2015. ....(EMBARGO CONDITIONS - ATTENTION: Due to the accreditation guidelines, the DFL only permits the publication and utilisation of up to 15 pictures per match on the internet and in online media during the match.) EPA/Caroline Seidel EPA/Caroline Seidel (Bild: Keystone/CAROLINE SEIDEL)

Peter Knäbel war einer der grossen Architekten des Fussballnachwuchses beim FC Basel. Jetzt muss er als Interimstrainer des Hamburger SV erkennen, dass der erstmalige Abstieg des Bundesliga-Dinosauriers kurz bevorsteht.

Sein Blick: traurig. Seine Körpersprache: resigniert. Seine Hoffnung: nach sieben Minuten so gut wie zerstört. Und doch sagte Peter Knäbel, der Aushilfstrainer des Hamburger SV, nach der deprimierend deutlichen 0:4-Niederlage des Bundesliga-Sechzehnten beim Tabellenvierten Bayer 04 Leverkusen über sein Debüt an der Seitenauslinie: «Ich habe mich sehr wohlgefühlt.»

Wirklich? Man sah dem 48 Jahre alten Westfalen am Karsamstag in der BayArena wohl sein Unbehagen am Spielverlauf und Auftreten seiner Profis an. Nichts aber in seiner Mimik und Gestik deutete auf einen belebenden Feelgood-Faktor in der Innenwelt des Peter Knäbel. Mag sein, dass der vom Direktor Profifussball beim HSV zum Nothelfer im Trainingsanzug mutierte Analytiker mit seinem Wohlfühlsatz nur ein trotziges Ausrufezeichen gegen den Trend setzen wollte. Und gegen die Hamburger Furcht vor dem ersten Abstieg des Bundesliga-Gründungsmitglieds in die Fussballzweitklassigkeit.

Denn das, was er vom «Platz mit dem besten Blick aufs Feld» bei seiner Premiere als Nachfolger des vor rund zwei Wochen entlassenen Josef Zinnbauer sah, war eher eine Hamburger Horrorvorstellung am Rande des Abgrunds als ein Aufbruchsignal zu rettenden Gefilden. Entsprechend bedient war am Tag danach Dietmar Beiersdorfer, der Vorstandsvorsitzende des HSV. «Wenn wir uns so präsentieren wie in Leverkusen werden wir keine Chance haben, die Klasse zu halten», sagte Beiersdorfer.

Erneut ein verlorener Nachmittag

Die Spieler, mit denen Knäbel in der BayArena dem qualitativ hoch überlegenen Gegner mutig widerstehen wollte, verkrochen sich, als es gegolten hätte, Farbe für den sechsmaligen deutschen Meister zu bekennen. Am meisten Courage bewies das Fähnlein der Geknickten noch nach Spielschluss, als die Profis auf ihre wütenden Fans zugingen und denen ihre Trikots zum Trost für einen wieder mal verlorenen Nachmittag schenkten.



epa04691956 Leverkusen's Stefan Kiessling and Hamburg's Johan Djourou (oben) compete for the ball during the German Bundesliga soccer match between Bayer Leverkusen and Hamburger SV at the BayArena in Leverkusen, Germany, 4 April 2015.....(EMBARGO CONDITIONS - ATTENTION: Due to the accreditation guidelines, the DFL only permits the publication and utilisation of up to 15 pictures per match on the internet and in online media during the match.) EPA/Caroline Seidel EPA/Caroline Seidel EPA/Caroline Seidel

«Wir gehen hier zu einfach unter. Wir haben gar nicht gekämpft.» – Der Schweizer Nationalspieler Johan Djourou (oben, hier gegen den Doppeltorschützen Stefan Kiessling) nach der niederschmetternden Niederlage in Leverkusen. (Bild: Keystone/CAROLINE SEIDEL)

Die siebzehnte Saisonniederlage nach sieben sieglosen Spielen, die bei lausigen 16 Saisontoren aufs Neue sichtbare Verzagtheit vor des Gegners Tor und dazu eine fast schon an Arroganz grenzende Sorglosigkeit bei der Arbeit haben den HSV noch ein Stück weiter zurückgeworfen bei seiner Mission Klassenverbleib. Und ohne deren Gelingen wird der auserkorene Wunschtrainer Thomas Tuchel wohl kaum nach Hamburg zu lotsen sein.

Djourous Fehlpass leitete das Desaster ein

Captain Johan Djourou, dessen Fehlpass in der 7. Minute das Desaster von Leverkusen und damit Castros Führungstor für Bayer einleitete, sagte nach den weiteren Treffern durch Kiessling (44./56.) und noch einmal Castro (63.): «Wir gehen hier zu einfach unter. Wir haben gar nicht gekämpft, wir schiessen gar nicht aufs Tor.»

Eine Hamburger Innenansicht, die Schlimmes befürchten lässt. Dass Leverkusen nicht 7:0 oder 8:0 beim fünften Sieg ohne Gegentor nacheinander triumphierte, war reine Glückssache für den HSV, der schon in der vorigen Saison in den durch die Auswärtstorregel entschiedenen Relegationsspielen am Abstieg vorbeischrammte und daraus nichts gelernt hat.

Noch tickt die Hamburger Stadionuhr für den Traditionsklub, der als letzter der 16 Gründervereine aus der Spielzeit 1963/64 noch nie Bekanntschaft mit der Zweiten Liga schloss. Noch.

Knäbel weiss, wie brüchig das Terrain ist

Knäbel aber weiss spätestens seit seinem misslungenen Einstand am Zweitarbeitsplatz, wie brüchig das Terrain für die Hamburger geworden ist. Und so klangen Bemerkungen, wie, «wir brauchen im Abstiegskampf Männer, heute habe ich keine elf Männer gesehen», nach Hilferufen in höchster Not.

«Was mir Hoffnung macht», sprach sich der Trainer auf Zeit ein wenig Mut zu, «ist, dass ich gesehen habe, auf wen ich mich verlassen kann und auf wen nicht.» Beim Zusammenzählen dürfte Knäbel allerdings nicht mehr als eine Handvoll zupackender Unterstützer gefunden haben.

Ein Mann, ein Ziel – sonst droht der Untergang

Eine Woche vor der nächsten Hamburger Hochgebirgsetappe – dem Heimspiel gegen den Ligazweiten VfL Wolfsburg – fehlte es an allem, was zum elementaren Rüstzeug von Siegern gehört. «Es geht um Präsenz, Mut, die Eroberung zweiter Bälle und darum, nachzulaufen, Bälle zu suchen, Kollegen zu unterstützen», listete Knäbel seine Leverkusener Mängelliste en detail auf. Es ist also eine Frage der Haltung, die darüber entscheidet, wer im Kampf gegen den Abstieg besteht und wer nicht. Die Hamburger sind noch auf der Suche nach der Basis für ihr Unternehmen Klassenverbleib.

Eine alarmierende Situation, der Knäbel auf die Schnelle Herr werden will. Sein Lösungsansatz lautet: «Durch intensives Training das Selbstbewusstsein finden und aufbauen.» Knäbels Spieler haben sich auf der Suche nach dem Aha-Erlebnis in Leverkusen aufs Neue verirrt; ihr neuer Trainer muss nun in dem Hamburger Dunkel den Weg hinaus ins Licht finden. Er muss dabei seinem eigenen Tastsinn und Orientierungstalent vertrauen, denn ein standardisiertes GPS-System gibt es für diese Pfadfinderaufgabe nicht.

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