Der immer wieder neu erfundene Federer startet zum 16. Mal an den US Open

Im Spätherbst seiner Karriere begeht Roger Federer die Wege eines jungen Wilden: Mit aggressivem Angriffstennis strebt er bei seinen 16. US Open den grössten aller Siege an.

epa04892054 Roger Federer of Switzerland stands at the net after defeating Feliciano Lopez of Spain during their quarterfinal round match in the Western & Southern Open at the Linder Family Tennis Center in Mason, Ohio, USA, 21 August 2015. EPA/TANNEN MAURY

(Bild: Keystone/TANNEN MAURY)

Im Spätherbst seiner Karriere begeht Roger Federer die Wege eines jungen Wilden: Mit aggressivem Angriffstennis strebt er bei seinen 16. US Open den grössten aller Siege an.

Roger Federer hatte den Masters-Sieg jüngst in Cincinnati schon mit seiner Frau Mirka und seinen Zwillingstöchtern gefeiert, da sprach der Grandseigneur des Welttennis bei der offiziellen Championszeremonie grosse Worte gelassen aus: «Ich werde nächstes Jahr wiederkommen, um diesen Titel zu verteidigen», gab Federer unter stürmischem Jubel der Kulisse zu Protokoll und legte noch einen drauf, «ich werde sogar noch viele weitere Jahre hier spielen.»

Federer startet am Dienstag
Der Argentinier Leonardo Mayer ist am Dienstag Federers erster Gegner.
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Dann liess der siebenmalige Gewinner des Traditionswettbewerbs das Blitzlichtgewitter der Fotografen mit strahlender Geniessermiene über sich hereinbrechen.

Federer ist und bleibt ein Phänomen. Vielleicht auf seine älteren Tage sogar mehr denn je. Mehr als in den Jahren seiner Blüte- und Glanzzeit, in der er die Konkurrenz mit der Schönheit und Dynamik seines Spiels eisern beherrschte. Mehr als in jener Epoche, in der er sich noch mit dem spanischen Matador Rafael Nadal den Tenniskosmos aufteilte.

John McEnroe traut Federer alles zu

Doch wie er nun mit stolzen 34 Jahren die Fachwelt und die Konkurrenz als komplett furchtloser Vorwärtsstratege verblüfft, hat schon eine ganz besondere Qualität und Stilnote. Nichts scheint unmöglich für den vierfachen Familienvater in diesen bewegten Spätsommertagen: Weder ein Titelcoup bei den US Open, in die Federer am Dienstag eingreift, noch ein goldener Herbst und eine erfolgreiche Teilnahme an den World Tour Finals in London.

Im Frühjahr hatte Federer die oft und gern gestellte Frage nach einer Rückkehr an die Spitze der Weltrangliste von sich gewiesen, «weil das unrealistisch ist und weil Djokovic so weit weg ist». Doch inzwischen ist selbst diese Ambition auf den «Gipfel-Platz» keineswegs utopisch.

«Ich traue Roger alles zu», sagt US-Superstar John McEnroe, der bei den Grand-Slam-Festspielen im Big Apple als Kommentator bei gleich mehreren TV-Netzwerken im Einsatz ist. Jedenfalls ist der Schweizer Ästhet neben Djokovic und dem Schotten Andy Murray der hohe Wettfavorit bei den Buchmachern für das letzte der vier wichtigsten Turniere auf der Tour.

Die Kompassnadel Agassi

Federers späte Karrierejahre erinnern, wenn auch nicht in Form und Ausdruck, an den legendären Amerikaner Andre Agassi. Zufall ist das nicht, denn Federer sagt selbst, die grösste Inspiration für einen langen Karrierehorizont sei Agassi gewesen – der Mann, mit dem er sich oft genug in dessen Dreissigern duellierte, auch und besonders in New York.



Roger Federer, of Switzerland, holds the Rookwood Cup after winning the men's final against Novak Djokovic, of Serbia, at the Western & Southern Open tennis tournament, Sunday, Aug. 23, 2015, in Mason, Ohio. Federer defeated Djokovic 7-6 (1), 6-3. (AP Photo/John Minchillo)

Roger Federer versprach, dass er wieder kommt nach Cincinnati, den Rookwood Cup will er dann bestimmt erneut in die Höhe stemmen. (Bild: Keystone/JOHN MINCHILLO)

«Ich sah, wie konzentriert und methodisch Agassi an sich arbeitete, wie er sein Spiel immer wieder anpasste, das war schon vorbildhaft», sagt der 17-fache Grand-Slam-Sieger. Heute folgt Federer den Spuren des Elder Statesman Agassi, natürlich mit einer persönlich zugeschnittenen Strategie – und vor allem einem an Wichtigkeit nicht zu unterschätzenden Berater Stefan Edberg, der die souveräne und kontinuierliche Arbeit von Coach Severin Lüthi perfekt ergänzt.

Mit Sturm und Drang an der Spitze bleiben

Edberg hat zweifellos den entscheidenden Auslösungsimpuls dafür gegeben, dass Federer heute mit so viel Sturm und Drang spielt. Und dass er keineswegs mit zunehmendem Alter konservativer, vorsichtiger, gemessener agiert, sondern mit immer mehr Lust am Wagnis, am Abenteuer, an der überraschenden Volte.

Wie nie zuvor sorgt Federer für den verrückten Kniff, einen ungewohnten Trick – in Cincinnati wusste plötzlich gar keiner seiner Gegenspieler mehr, woran er mit Federer ist. Der Baselbieter war so etwas wie die personifizierte Abteilung Attacke, sinnbildlich dargestellt durch sein weites Aufrücken beim zweiten Aufschlag des Konkurrenten.



Novak Djokovic, of Serbia, reacts during a final match against Roger Federer, of Switzerland, at the Western & Southern Open tennis tournament, Sunday, Aug. 23, 2015, in Mason, Ohio. (AP Photo/John Minchillo)

Das Qualitätssiegel für Federer: wenn der Weltranglistenerste Novak Djokovic nicht mehr weiss, wie er gegen den 17-fachen Grand-Slam-Sieger agieren soll. (Bild: Keystone/JOHN MINCHILLO)

Selbst gegen Finalgegner Djokovic spielte er den Servicereturn wie ein Kamikazekämpfer: Kaum hatte der Ball den Boden verlassen, war Federer schon mit dem Schläger da, bugsierte die Kugel übers Netz – und zwang Djokovic wie alle anderen Kollegen zu einem hastigen Risikoschlag.

Ein Sieg am US Open wäre der grösste von allen

«Aus Spass» habe er das im Training probiert, auch solche Schläge beim virtuellen Tennis erlebt, sagt Federer, «aber dann dachte ich mir: warum nicht? Das könnte spannend sein. Und herausfordernd für den Gegner.» Was dann auch stimmte: Denn Federer servierte nicht nur selbst bärenstark, sondern erarbeitete sich auch regelmässig Breakchancen, irritierte das Teilnehmerfeld mit einem Angriffsdruck von beispielloser Wucht.

Federer, mit dem die Amerikaner in seinen frühen Jahren fremdelten, ist inzwischen in New York angekommen, die Amerikaner adoptierten und schlossen ihn in ihr Herz. Fünfmal hintereinander hat der Schweizer im Arthur-Ashe-Stadion gewonnen, von 2004 bis 2008. 2015 ist das Jahr seines 16. Gastspiels.

Gewänne er nun, wäre es der grösste Sieg von allen. Für den ewigen Roger, den Spieler, der sich immer wieder neu erfunden hat.

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