Der in grosse Fussstapfen tritt

Henri Laaksonen ist die mutmassliche Nummer 1 im Schweizer Tennis nach der Ära Federer/Wawrinka. Die Geschichte eines jungen Mannes, der von Finnland kam, sich mit Stanislas Wawrinka anlegte, verlor – und auf dem Platz zu gewinnen versucht.

Henri Laaksonen schaut etwas ratlos drein. (Bild: sda)

Henri Laaksonen ist die mutmassliche Nummer 1 im Schweizer Tennis nach der Ära Federer/Wawrinka. Die Geschichte eines jungen Mannes, der von Finnland kam, sich mit Stanislas Wawrinka anlegte, verlor – und auf dem Platz zu gewinnen versucht.

Juan Martin Del Potro trifft die Filzkugel mit dem Rahmen seines Schlägers, von wo sie in Richtung des Stadiondachs fliegt und an der grossen Lautsprecheranlage einen roten Papierschnipsel löst. Im darauf folgenden Ballwechsel schwebt dieser sich um die eigene Längsachse drehend zu Boden und bleibt dort erst nach Ende des Schlagabtauschs liegen.

Henri Laaksonen, der Gegner Juan Martin Del Portos in dieser Erstrundenpartie an den Swiss Indoors Basel, verliert diesen Ballwechsel. Vielleicht vom Papierschnipsel gestört, vor allem aber des Gegners wegen nervös.

Die Nervosität ist erklärbar: Del Potro ist die Nummer 5 der ATP-Weltrangliste und die Nummer 1 des Turniers; Laaksonen die Nummer 224 der Welt und nur dank einer Wildcard im Haupttableau. Auf dem Center Court in der gut gefüllten St.-Jakobs-Halle ist diese Nervosität spürbar, hindert Laaksonen aber nicht, eine gute Partie zu zeigen, lange dagegen zu halten und letztendlich gehobenen Hauptes unter dem Applaus der Zuschauer die Halle zu verlassen.

Federer: «Henri muss nun einen Schritt zurückmachen – oder zwei»

Es war Laaksonens elftes Spiel auf der ATP-World-Tour, vier davon hat er gewonnen. Das Spiel gegen Del Potro darf der 21-Jährige als Hauptprobe betrachten für das, was in Zukunft wohl auf ihn zukommen wird: Wenn Roger Federer und Stanislas Wawrinka dereinst nicht mehr professionell zum Schläger greifen, wird mutmasslich er das Schweizer Gesicht des grössten hiesigen Tennisturniers sein.

Das aktuelle Tagesgeschäft sind für den schweizerisch-finnischen Doppelbürger ab sofort wieder die Turniere tieferer Kategorien, das nächste in Genf. «Henri muss nun einen Schritt zurück machen», sagt Roger Federer, der Laaksonen aus Trainings unter anderem in seiner Residence secondaire Dubai kennt. «Oder zwei. Er muss wieder bei Challenger-Turnieren antreten und sich bei den grösseren Turnieren auf Platz Nummer 13 durch die Qualifikationen kämpfen.»

Del Potro standesgemäss
Laaksonens Bezwinger Juan Martin Del Potro zieht nach dem Sieg gegen den Zyprioten Marcos Baghdatis in die Viertelfinals der Swiss Indoors ein. Beim 6:1, 6:2-Erfolg profitierte der Argentinier unter den Augen von FCB-Verteidiger Ivan Ivanov, der für seinen später spielenden Landsmann Grigor Dimitrov in die Halle gekommen war, vor allem von der fehlerhaften Darbietung Baghdatis‘. Allerdings zeigte auch der 198 Zentimeter-Mann aus Tandil ungewohnt viele Fehler und war mehrere Mal kurz davor, seinen Schläger mit zerstörender Wucht dem Platz zu übergeben. Er wird am Freitag gegen den Franzosen Paul-Henri Mathieu seine Viertelfinalpartie bestreiten – der Final zwischen ihm und Roger Federer ist weiterhin möglich. 

Federer wird am Freitag nicht vor 20.00 Uhr zum Viertelfinalmatch in die St.-Jakobs-Halle einlaufen. Gegner ist der Bulgare Grigor Dimitrov (ATP 22), der den Ukrainer Alexandr Dolgopolov (ATP 38) mit 6:1, 6:2 schlug.

Wie sich diese Phase der Karriere anfühlt, weiss Roger Federer selbst: «Es ist einfach, auf dem Center Court eine gute Leistung zu zeigen, das Adrenalin ist da, und die Lust. Danach ist es wichtig, die Umstellung zu schaffen. Mit diesen Problemen schlug ich mich auch rum zu meinen Juniorenzeiten.»

Lieber Tennis als Schule, «for sure»

Um diese Phase seiner Karriere zu überstehen, trainiert der U16-Europameister von 2008 in Biel auf den Anlagen von Swiss Tennis, wo er die Woche durch auch wohnt. Der Verband hat Laaksonen vertraglich an sich gebunden, ihn, der vor drei Jahren das letzte Mal die Schulbank drückte und seit da nur noch Tennis spielt: «Ich mag Tennis mehr als die Schule, for sure.»

Begonnen hat die Liaison zwischen ihm und dem Verband vor drei Jahren, als er von Finnland, dem Heimatland seiner Mutter Pirjo, in dasjenige seines Vaters Sandro kam. Spätestens seit dem Eklat vor rund einem Monat, zu dem es im Rahmen der Davis-Cup-Partie gegen Ecuador zwischen Wawrinka und Laaksonen kam, ist klar, dass die Beziehung wohl nicht immer einfach ist.

«In gewissen Bereichen bin ich faul»

Laaksonen, der zuvor bereits zwei Davis-Cup-Partien für Finnland bestritten hatte, wurde Faulheit in den Trainings mit der Schweizer Mannschaft vorgeworfen – eine Suspendierung war die Folge. Wer mit der Nachwuchshoffnung spricht, spürt schnell das finnische im seinem Wesen; die nordische Zurückhaltung. «In gewissen Bereichen bin ich faul», gibt Laaksonen zu, stellt aber sogleich richtig: «Wenn ich an meinem Tennis arbeite oder im Fitnessraum trainiere, dann bin ich es nicht.»

Die Geschichte rund um die Suspendierung ist vom Tisch, zumindest für Laaksonen. Zumindest sagt er das. Wawrinka, der als Nummer 1 im Schweizer Team den Jungen zurechtgewiesen hatte, sagte noch am Montag: «Wir haben uns noch nicht gesehen seit damals, werden uns aber vermutlich an den Swiss Indoors über den Weg laufen. Über was wir sprechen werden? Keine Ahnung …»

Laaksonen, der vor allem Finnisch und Englisch spricht, aber gute Fortschritte in der deutschen Sprache macht, will über das Ärgernis nicht mehr reden und stellt die sportlichen Aspekte in den Vordergrund. Dabei stellt sich bei einem Spieler seines Alters und seiner aktuellen Platzierung (siehe Grafik unten) in der Weltrangliste die Frage, wohin ihn sein Weg noch führen kann. «Ich kenne mein Potential, vielleicht schaffe ich es dereinst in die Top-100, allenfalls in die Top-50. Aber eine Zahl kann ich eigentlich nicht nennen.»

Federer glaubt an Laaksonen

Sein Vorbild Federer sagt zum mutmasslichen Nachfolger an der Spitze des Schweizer Tennis: «Ich nehme an, er hat das Potential für die Top-100. Aber das muss er noch beweisen.»

Federers Karriere ist ein Unikat in der Tennisgeschichte; und Wawrinka ist ebenfalls weit mehr als ein solider Tennisprofi, der seiner Arbeit nachgeht. Das Loch, das die beiden dereinst im Schweizer Tennis hinterlassen werden, wird Laaksonen nur schwer füllen können. Ein Hindernis seien die beiden allerdings nicht: «Mein Fokus liegt bei mir selber, ich schaue nicht auf die beiden.»

Del Potro sagte nach dem Spiel – freilich vor dem Schweizer Publikum und mit medial wirksamer Diplomatie – dass Laaksonen «eine grosse Zukunft haben wird». Meister fallen im Tennis aber keine vom Himmel. Nur Papierschnipsel, das kommt zuweilen vor.

Swiss Indoors Basel, Resultate (siehe auch Tableau)

2. Runde:
Juan Martin Del Potro ARG–Marcos Baghdatis CYP 6:1, 6:2
Paul-Henri Mathieu FRA–Michael Llodra FRA 6:4, 6:3
Edouard Roger-Vasselin FRA–Tobias Kamke GER 7:5, 6:3
Grigor Dimitrov BUL–Alexandr Dolgopolov UKR 6:1, 6:2
Vasek Pospisil CAN–Ivo Karlovic CRO 6:3, 6:4
Lukasz Kubot POL–Daniel Brands GER 2:6, 4:6

Viertelfinals am 25. Oktober (komplettes Tagesprogramm hier
Edouard Roger-Vasselin FRA–Daniel Brands GER, 14.00 Uhr
Ivan Dodig CRO–Vasek Pospilis CAN, nicht vor 16.00 Uhr
Juan Martin Del Potro ARG–Paul-Henri Mathieu FRA, nicht vor 18.00 Uhr
Roger Federer SUI–Grigor Dimitrov BUL, nicht vor 20.00 Uhr

Nächster Artikel