Stanislas Wawrinka war acht Jahre alt, als er mit Brüdern die ersten Bälle zu schlagen begann. Seine Karriere im Erwachsenentennis verlief schleppend. Nun befindet sie sich auf dem Höhepunkt.
Auf dem Weg zu seinem ersten Grand Slam-Sieg schlug er sogar die Nummer 1 und 2 der Welt, den spanischen Matador Rafael Nadal zuletzt, den serbischen Titelverteidiger Novak Djokovic im Viertelfinale. Soviel Durchsetzungskraft und Selbstbewusstsein war ihm lange nicht gegeben, jenem frischgebackenen Pokalgewinner Stanislas Wawrinka, der seine ganze Karriere irgendwie verzögert aufnahm und dann auch sehr langen Atem bis zur Australian Open-Krönung benötigte.
Auf dem heimatlichen Bauernhof, den seine Eltern Wolfram und Isabelle im waadtländischen St. Barthelmey als Stiftungsbetrieb für Menschen mit geistigen Behinerungen oder auch Drogenproblemen führen, geriet der neue Star erst vergleichsweise spät mit dem gelben Filzball in Kontakt – und auch nur, weil ihn die Söhne von Familienfreunden energisch dazu animierten.
Vater war sein Coach
Acht Jahre alt war Wawrinka, als er mit den Brüdern Dimitri und Gregori Zavialoff die ersten Bälle zu schlagen begann, ein anderes Bewegungsprogramm für den jungen Burschen, der bis dahin lieber auf Skiern oder mit dem Fahrrad unterwegs gewesen war. Schnell zeigte sich indes das Talent des Kindes, so dass sich Dimitri Zavialoff, der Vater der beiden Spielpartner von Stanislas, ernsthaft um eine gute, seriöse Ausbildung bemühte. Er blieb später für anderthalb Jahrzehnte Wawrinkas Coach und wichtigster Bezugsperson im Tennis. «Ohne ihn hätte ich diesen Weg sicher nicht gehen können», sagt er.
Wawrinka machte sich bald einen Namen in Juniorenkreisen, auch wenn ihm seine Schüchternheit und das mangelnde Selbstbewusstsein in entscheidenden Momenten hin und wieder üble Streiche spielten. Mit Zavialoff verbrachte er noch in Teenagerzeiten drei lange, harte Winter im Trainingscamp in Barcelona, wo Wawrinka erstmals begriff, was alles für eine Karriere im Profitennis gefordert sein würde – Disziplin, der Wille, mehr zu leisten als andere. Und auch die Kraft, immer wieder Enttäuschungen als Motivation zu nehmen, es im nächsten Anlauf besser zu machen.
«Damals hat sich Stan sehr verwandelt. Er begann, Tennis rund um die Uhr zu leben, zu atmen, zu essen», sagt sein Vater Wolfram Wawrinka, «das war schon ein enormes Übungsprogramm, das er da absolvierte.» Indes: Die Qualen zahlten sich erst mal aus, spätestens, als Wawrinka mit 18 den Juniorentitel bei den French Open holte und so auch erstmals Indizien lieferte, dass sich da ein weiterer Spitzenspieler aus der Schweiz auch im Tourtennis entwickeln könnte.
Zurück zu Frau und Kind
Seine Karriere im Erwachsenentennis verlief dann freilich schleppend, eher als eine Aneinanderreihung der verpassten Chancen und enttäuschten Hoffnungen. Bis zum Frühling 2010 hatte Warinka gerade einmal einen Titel geholt, den auch schon 2006 durch einen Aufgabe-Finalsieg gegen Novak Djokovic im kroatischen Umag. Erst recht zweifelten viele an dem zaudernden Kraftmeier, als 2011 die Trennung von Frau Ilham bekanntgegeben wurde – das fiel in eine Zeit, in der Wawrinka mit dem Schweden Peter Lundgren als Coach zusammenarbeitete.
Er wolle sich in seiner verbleibenden Zeit als Profi ganz dem Sport widmen, liess Wawrinka damals offenbar auf Geheiss von Lundgren verkünden. Bald aber erkannte Wawrinka, dass er sich, sowohl was Lundgren wie sein Privatleben anging, auf einem Irrweg befand. Lundgren musste die Koffer packen, Wawrinka kehrte reumütig zu Frau und Tochter Alexia zurück.
Vielleicht legten diese Entscheidungen das eigentliche Fundament für die sportliche wie menschliche Entwicklung, die am 26. Januar 2014 ihren krönenden Höhepunkt erfuhr. Glücklich als Ehemann und Familienvater, startete Wawrinka jedenfalls noch einmal so richtig los im Wanderzirkus, wirkte auf einmal als Ausdauerkünstler und Siegertyp wie befreit von allen früheren Zweifeln. Aus dem schwermütigen Grübler wurde einer, der die Muskeln herzeigte und plötzlich nicht mehr wie gelähmt wurde von der Aussicht, Grosses schaffen zu können.
Den Charakterwandel hin zum Siegspieler mit einem sportlichen Killerinstinkt beförderte in den letzten zwölf Monaten dieser Karriere dann auch wegweisend der schwedische Coach Magnus Norman. Einer, der in aktiven Zeiten selbst ganz vorne mitspielte, einmal die Nummer 2 war und auch in einem Grand Slam-Endspiel stand. Zu Norman rannte Wawrinka am Sonntagabend in der Rod Laver-Aren auch zunächst und zuallererst hin, ihm galt der vordringlichste Dank des Königs von Melbourne.