Mitte 2013 wurde Roger Federer in der Krise der Rücktritt nahe gelegt. Aber Federers Rechnung ging auf: Eineinhalb Jahre danach feiert er zu Beginn der Saison 2015 in Brisbane seinen tausendsten Sieg.
Als er Mitte 2013 in die schwerste Krise seiner Laufbahn geriet, empfahlen ihm selbst wohlmeinende Experten den schnellen Rücktritt: Abdanken solle der angeschlagene Roger Federer, bevor er seinen Ruf noch vollends mit bitteren Niederlagen gegen namenlose Rivalen beschädige.
Doch von solch harschen Zwischenrufen und auch von anderen, regelmässigen Untergangsprophezeiungen hat sich Federer noch nie beirren lassen, der Ausnahme-Professional, der sich selbst und seine Potenziale noch immer am besten einzuschätzen weiss. Wenn er spüre, nicht mehr mit den Besten mithalten zu können, sagt Federer, «bin ich der Erste, der seinen Abschied nimmt.»
Aber soweit ist es noch nicht. Noch lange nicht. Denn als sich am 11. Januar abends um 21.22 Uhr Ortszeit im australischen Brisbane der Schlussvorhang senkte für das erste hochklassig besetzte Turnier der Saison 2015, da hatte genau jener Federer einen neuen grossartigen Meilenstein seiner Karriere erreicht – als Mann der 1000 Siege grüsste vom anderen Ende der Welt der Eidgenosse, der die Schallmauer punktgenau mit dem 6:4, 6:7 (2:7), 6:4-Triumph über den Kanadier Milos Raonic durchbrach.
«Diesen Moment hier, den werde ich nie vergessen», sagte der gerührte Federer, der sich auf die harte Tour zu diesem denkwürdigen Erfolgserlebnis durchkämpfen musste, zum mittlerweile auch schon 83. Turniersieg seiner über anderthalb Jahrzehnte währenden Karriere im globalen Tourbetrieb. Umso mehr erinnernswert war der Sieg, da Federers grosses Idol Rod Laver höchstpersönlich das Gratulationskorps auf dem Centre Court anführte. Verdächtig tränenfeucht schimmerten Federers Augen, als ihm der Held der eigenen Kindheit eine Bildcollage und den Siegerpokal überreichte.
Nach wie vor ein Hauptdarsteller
Die letzten Kapitel des Federer-Coups im Nordosten Australiens illustrierten, dass Federer auch in dieser 17. Saison im Nomadengeschäft ein Hauptdarsteller sein wird, der immer und überall für grössere Siege und Schlagzeilen gut sein wird. Auf der Zielgeraden des Brisbane International besiegte er, der inzwischen deutlich älteste aller Weltklasseleute im Herrentennis, gleich zwei der jungen Herausforderer, die immer wieder genannt werden, wenn es um zukünftige Nummer 1-Spieler geht: Im Halbfinale deklassierte Federer den Bulgaren Grigor Dimitrow, dann, im Endspiel, rang er in einer Nervenschlacht über gut zwei Stunden den Aufschlagspezialisten Raonic nieder.
So durften ihm dann auch seine beiden Zwillingstöchter von den Rängen zujubeln, als er als erst dritter Berufsspieler in der Tennismoderne den 1000er-Sieghügel erklomm – einzig Jimmy Connors (1253) und Ivan Lendl (1071) rangieren noch vor Federer.
Von Verletzungen geschont
Viele Bestleistungen und Rekordwerte hat Federer in den Jahren seiner Reisetätigkeit rund um die Welt aufgestellt. Doch kaum eine Marke verdeutlicht die ganze Qualität und Mentalität des Champions aus Basel so wie die 1000 Siege seit dem ersten gewonnenen Zweikampf im Jahr 1998 gegen den Franzosen Guillaume Raoux in Toulouse.
Federer ist nicht nur der überragende Ästhet und Techniker, sondern auch und vor allem ein Spieler, der dank hochprofessioneller Attitüde in seiner Schaffenszeit fast völlig von schweren Verletzungen verschont blieb – schon seit Anfang dieses Jahrhunderts spielt Federer etwa alle Grand Slam-Turniere pausenlos durch.
Und Federer ist ein harter, methodischer Arbeiter in jeder Tennisminute, ob nun im Training oder im Ernstfall auf dem Trainingscourt, einer, der noch nie gleichmütig oder lustlos ans Hand-Werk gegangen wäre: «In dem Moment, wo ich keinen Spass oder keine Motivation mehr hätte, wäre Schluss», sagt Federer, «aber das war noch nie der Fall.»
Keine Spur Müdigkeit
1000 Siege hat er nun auf dem Konto, aber müde ist er noch längst nicht. Im letzten Jahr gewann er die meisten Spiele im Profizirkus, 73 an der Zahl, und viel weniger sollen es nach seinem Willen auch in dieser Saison nicht werden. «Ich traue mir noch einen grossen Schlag zu – und sehr gute Ergebnisse eigentlich immer dort, wo ich starte», sagt Federer.
Beflügelt fühlt er sich dabei auch von der geglückten Transformation seines Spiels im Zusammenwirken mit dem alten Schweden Stefan Edberg: Neuerdings prägen wieder mehr Aggressivität und Angriffslust die Aktionen des 33-jährigen Familienvaters, der – ganz gegen den Trend des einförmigen Grundlinienspiels – sein Heil zunehmend in der Vorwärtsstrategie sucht.
So könnte er auch noch einmal in Wimbledon gewinnen, formvollendet geradezu, und andernorts für Unruhe im Revier der Allerbesten sorgen. In der Ferne lockt im Sommer 2016 dann auch noch das olympische Tennisturnier von Rio. Dort zu gewinnen, die goldene Einzelmedaille zu holen, damit würde Federer wirklich die letzte offene Rechnung begleichen, die noch bleibt. Zuzutrauen ist ihm, dem Mann der 1000 Siege, nach wie vor alles.
Wawrinka mit achtem Titel
Die Schweizer Festspiele dieser ersten Turnierwoche rundete Federers Weggefährte beim Davis Cup-Sieg ab: Im Schatten Federers verteidigte Stan Wawrinka im indischen Chennai seinen Titel erfolgreich mit dem 6:3, 6:4 gegen den slowenischen Aussenseiter Aljaz Bedene. Nach dem Vorjahressieg war der Romand bekanntlich zu seinem ersten Grand Slam-Sieg in Melbourne gestürmt. Der dritte Chennai-Titel insgesamt schraubte die Zahl der Turniererfolge Wawrinkas hoch auf acht.