Basel kennt ihn. Und er kennt Basel. Unai Emery hat sich als Trainer des FC Sevilla zweimal mit dem Schweizer Meister gemessen und später in Basel den Final der Europa League gewonnen. In der Champions League trifft er wieder auf den FCB – im Amt des Coaches von Paris Saint-Germain, zu dem er nur als zweite Wahl gekommen ist.
Vor dem Champions-League-Viertelfinale betrat der Präsident die Umkleidekabine. Er sah den Spielern in die Augen, aber ihm gefiel nicht, was er sah. Da war keine Leidenschaft, da war kein Hunger. In diesem Moment wusste der Präsident zweierlei: Das Viertelfinale ist verloren. Und es muss sich etwas ändern.
So erzählte es dieser Präsident, Nasser Al-Khelaifi, als er rückblickend erklärte, warum bei Paris Saint-Germain nicht mehr Laurent Blanc auf der Bank sitzt. Mit dem ehemaligen französischen Nationaltrainer gewann der Hauptstadtklub zwar elf Titel in drei Jahren. Aber es waren nur nationale Titel, die beim PSG angesichts des Etatvorsprungs gegenüber dem Rest der Ligue 1 als selbstverständlich eingepreist werden.
» Auslosung: Der FC Basel trifft auf Paris Saint-Germain, Arsenal und Ludogorets Razgrad
International sah es im Zweifelsfall immer so aus wie in jenem Viertelfinale der Saison 2015/16 gegen Manchester City, das trotz Favoritenrolle ja tatsächlich verloren gehen sollte: Im entscheidenden Moment versagte das sündteure Ensemble. Und dieser Moment kam regelmässig im Viertelfinale, zu wenig angesichts der Ambitionen.
«Man kennt Basel, schöne Stimmung, es geht heiss her da»
«Das Halbfinale, ihr wisst schon», antwortete Al-Khelaifi, Pariser Statthalter der katarischen Klubbesitzer, auch am Donnerstag wieder auf die Frage nach dem Ziel für diese Saison. Da hatte die Auslosung der Champions-League-Vorrundengruppen den Parisern gerade neben Arsenal und Ludogorets Razgrad auch den FC Basel als Gegner beschert. «Man kennt Basel, schöne Stimmung, es geht heiss her da», lobte Al-Khelaifi schon mal den St.-Jakob-Park, wo der französische Meister am 1. November auf den Schweizer Champion trifft. Man strebe trotzdem den Gruppensieg an. Und danach? Siehe oben, mindestens.
Wenn die beschlagene, elegante, für insgesamt über 500 Millionen Euro zusammengestellte Truppe bisweilen ziemlich entkoffeiniert daherkam – dann sollte es zumindest am Adrenalin unter Unai Emery nun wirklich nicht scheitern.
Erreichen soll das alles ein Mann, der an Basel sowieso nur die besten Erinnerungen hat. Unai Emery siegte vorige Saison in der Europa League mit seinem damaligen Club Sevilla nicht nur souverän im Achtelfinale gegen den FCB (0:0, 3:0), er gewann im Final am Dreiländereck dann auch den historischen dritten Titel in Folge. Und wenn es bei Paris in den letzten Jahren tatsächlich oft am letzten Kick zu fehlen schien, wenn die beschlagene, elegante, für insgesamt über 500 Millionen Euro zusammengestellte Truppe bisweilen ziemlich entkoffeiniert daherkam – dann sollte es zumindest am Adrenalin unter Emery nun wirklich nicht scheitern.
In Spanien brachten es seine bellenden Anweisungen vom Seitenrand zum Markenzeichen bei Satirikern. Die Spieler schwärmten von seinen Kabinenansprachen. Sachverstand und Taktikkompetenz sind über alle Zweifel erhaben. Ja, Emery kann pedantisch und nervig sein. Mit einem wie Zlatan Ibrahimovic, von Paris weiter nach Manchester gezogen, hätte man ihn sich vielleicht nicht so gut vorstellen können. Aber jeder Spieler, der bereit ist, zu hören, zu lernen und zu vertrauen – der kann sich über so einen Trainer freuen.
Vorhang auf für für Präsentation des neuen Coaches Unai Emery, der an der Seite des Clubbesitzers Nasser Al-Khelaifi die Bühne betritt. (Bild: Keystone/CHRISTOPHE PETIT TESSON)
Folglich passte der 44-jährige Baske perfekt ins Anforderungsprofil, als der PSG im Frühjahr einen Strategiewechsel beschloss. Der erste Instinkt wäre sicher gewesen, auf den neuerlichen Frust in der Champions League und den Abgang des jahrelangen Aushängeschilds Ibrahimovic mit dem Scheckbuch zu reagieren. Doch welcher Star könnte Niveau und Appeal einer Mannschaft mit Spielern wie Di María, Cavani, Verratti, Pastore noch signifikant heben? Einer aus der Kategorie Messi, Ronaldo, Neymar sollte es schon sein. Bei allen hat Al-Khelaifi dezent Interesse hinterlegt für den Fall, dass sie in Barcelona und Madrid mal wirklich unglücklich werden sollten. Bei allen dreien reichte das Unglück dafür bisher aber noch nie aus.
Die ungewöhnliche Prämisse: eine Stammplatzgarantie für Edinson Cavani
Also beschloss man, einen Trainer zu verpflichten, der aus denselben Spielern noch mehr macht. Einen dieser Workaholics, Nerds, Fussball-Fanatiker. Diego Simeone, der Favorit, war nicht zu haben. Emery folgte als Nummer 2 auf der Liste. Soweit das eine faire Klassifizierung ist für jemanden mit diesem sagenhaften Europa-League-Tripel.
Aber Emery wusste sich schon gut genug einzuschätzen, um die Pariser Offerte zu würdigen: Es ist der Sprung zu einem dieser handverlesenen Clubs, mit denen man wirklich alles gewinnen kann. Einen Job, wie er ihn immer wollte, aber aus den Augen verloren hatte – als er nach seinem kometenhaften Aufstieg zum Erstligatrainer mit 35 in Almería an seiner nächsten Station in Valencia «nur » gute Ergebnisse einfuhr und danach bei Spartak Moskau sogar krachend scheiterte.
«Wir wollen alle Titel holen. Und die Champions League ist der grosse Wunsch.»
Sevilla gab ihm die zweite Chance, er nutzte sie, und hat nun in Paris sogar eine ungewöhnliche Prämisse akzeptiert: eine Art Stammplatzgarantie für Edinson Cavani. Die soll Al-Khelaifi dessen Vater schon versprochen haben, als weder die Verpflichtung des neuen Trainers noch der Abgang von Ibrahimovic feststand, als Signal der Anerkennung für die Loyalität des oft ausgebooteten Uruguayers. Gleich bei seiner Vorstellung erklärte Emery den Mittelstürmer nun artig zur ersten Wahl.
Emery hat seinen polnischen Mittelfeldabräumer aus Sevilla mitgebracht
Den einzigen Spieler, den er explizit neu forderte, war Grzegorz Krychowiak, sein Mittelfeldabräumer aus Sevilla. Ein Transfer wie eine Regierungserklärung: Teamplayer statt Star, Zerstörer statt Kreator, Arbeit statt Glitzer. Für den Polen überwies Paris gut 30 Millionen Euro nach Andalusien, ansonsten hat es sich mit Spielern wie Real Madrids Ersatzmann Jesé und dem in Nizza zuletzt zu grosser Form zurückgekehrten Hatem Ben Arfa eher ergänzt. Der Kader verfügt über 15 bis 20 potenzielle Stammspieler, aber keine feste Elf: auch das Vintage-Emery.
Alexander Fransson vom FC Basel (links) trifft auch in Paris auf Grzegorz Krychowiak. Unai Emery hat seinen Mittelfeldspiel beim Umzug von Sevilla nach Frankreich mitgebracht. (Bild: Keystone/GEORGIOS KEFALAS)
Seine berühmt undurchschaubare Aufstellungspolitik hält die französische Journaille schon nach wenigen Wochen auf Trab. Wie die Spieler waren auch die Berichterstatter von Blanc eine gewisse Gemütlichkeit und Berechenbarkeit gewohnt. Jetzt gilt Emerys Maxime, für jeden Gegner und jede Situation eine eigene Strategie auszutüfteln, die dann auch während der Partien gern wechseln kann.
«Ich bin gekommen, um die Details zu verbessern», sagt Emery; und dieser Schub Professionalität ist wohl auch nötig, um ausserhalb der Komfortzone Ligue 1 den letzten Schritt zu gehen. «Wir wollen alle Titel holen, und die Champions League ist der grosse Wunsch», so der Coach.
Dankbar für jedes gute Omen
Bislang läuft alles nach Plan. Emerys PSG gewann vor dem Spitzenspiel am Sonntag in Monaco nicht nur seine ersten beiden Ligaspiele und den französischen Supercup, sondern zuvor schon den «International Champions Cup». So nennt sich neuerdings der lose Reigen an Testspielen, mit denen Europas Topklubs im Sommer die Welt beglücken.
An sich hat das natürlich rein gar nichts zu bedeuten. Aber in Paris ist man angesichts vieler Enttäuschungen inzwischen schon für ein gutes Omen dankbar: Voriges Jahr gewann die Serie Real Madrid, der spätere Champions-League-Sieger.